Landwirtschaftsminister Schmidt über „böse Massentierhaltung“, den „Kampfbegriff Agrarwende“ und die Grenzen der Nutztierhaltung

Bundeslandwirtschaftsminister Christian SchmidtBundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (© BMEL/Sarbach)

Das Dispensierrecht-Thema ist für Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt noch nicht abschließend bewertet. Das Antibiotika-Resistenzproblem dagegen ist für den Minister explizit eines, das den Antibiotikaeinsatz in Human- und Tiermedizin gleichermassen auf den Prüfstand bringen wird. Und die Nutztierhaltung muss sich ändern, ohne die Produktion außer Landes zu treiben. Das sind die zentralen Informationen aus einem Interview der ZEIT mit dem Minister.  

Die Antworten im ZEIT-Interview sind ein klares Indiz dafür, dass auch die Bundesregierung in der Nutztierhaltung Veränderungen erreichen will. Im folgenden lesen Sie Auszüge, gewichtet nach den für Tierärzte wichtigen Themen:

Dispensierrecht: Auswertung läuft noch

Die ZEIT fragte: In der Humanmedizin gibt es Ärzte und Apotheker, in der Tiermedizin nur Tierärzte, die Arzneien verschreiben und genau dadurch oft kräftig verdienen, auch mithilfe von höchst umstrittenen Rabattsystemen. Wie sehen Sie das?

Christian Schmidt: Sie meinen das Dispensierrecht. Auch diese Praxis steht auf dem Prüfstand. Wir haben die Diskussion darüber mit Fachleuten geführt. Eine Frage ist: Führt dieses Dispensierrecht zu einem höheren Arzneimittelverbrauch? Wir haben auch Alternativen zum Dispensierrecht überprüft. Die Auswertung dieses Prozesses läuft noch.

(Anm. d. Red. Damit verweist der Minister auf den Fachdiskurs zum Dispensierecht vom 8. Dezember (Bericht hier), ohne allerdings dessen Ergebnisse bereits als Regierungsposition zu übernehmen.) 

Das System aus Agrarfabriken und Tierärzten

Frage: Es gibt Kritiker, die verzweifeln an der Macht des Systems aus Agrarfabriken, Bauern und Tierärzten: Am Ende gewinne immer das System.

Schmidt: Ich teile diese Einschätzung nicht. Ich kenne mich ein bisschen aus mit Systemen. In meiner alten Branche nannte man das den militärisch-industriellen Komplex, den es heute so nicht mehr gibt. In der Landwirtschaft bin ich noch dabei, auszuloten, wo die Vorteile und die Nachteile des Systems liegen. Ich glaube schon, dass die intensive Landwirtschaft an manchen Orten an Grenzen stößt. Das reine Prinzip von Effizienz und Ertragsmaximierung greift da nicht mehr.

Zentraler Themenkomplex des Interviews war der Antibiotikaeinsatz kombiniert mit dem – von der Zeit in den Fragen, vom Minister aber nie in den Antworten – verwendeteten Begriff der Massentierhaltung. Das motivierte die ZEIT dennoch in der gekürzten Online-Fassung des Gesprächs zu folgender Schlagzeile:

ZEIT-Schlagzeile: „Bundesregierung verspricht weniger Antibiotika in Massentierhaltung“

Ob das in dieser Fokussierung durch die Ministerantworten so gedeckt ist, mag jeder selbst bewerten.

Frage: Herr Minister, wie beurteilen Sie den massenhaften Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung mit der damit verbundenen Problematik von antibiotikaresistenten Keimen?

Christian Schmidt: Das Thema hat bei mir allerhöchste Priorität. Unser Ziel muss es sein, nicht in eine Zeit vor der Entdeckung des Penicillins zurückzufallen. Deswegen muss der Einsatz von Antibiotika insgesamt auf den Prüfstand, und ich sage ausdrücklich: sowohl in der Humanmedizin als auch in der Tiermedizin. Wir müssen die Dissonanzen zwischen Humanmedizinern und Tiermedizinern auflösen. Es bringt gar nichts, wenn der eine mit dem Finger auf den anderen zeigt. Wir haben eine gemeinsame Aufgabe, der Befund lautet salopp: „Houston, wir haben ein Problem.“ Wie wichtig uns das ist, können Sie daran ablesen, dass die Bundesregierung ihre G-7-Präsidentschaft nutzen wird, um das Thema global anzugehen. …
… Ich betrachte das ausdrücklich als ein Gemeinschaftswerk von Gesundheitsminister Gröhe und mir. … Wir haben die strategischen Ansätze besprochen. Also, es ist ein Stück Chefsache, wenn man diesen etwas abgegriffenen Terminus verwenden will.

Keine Mengenvorgabe bei Antibiotikareduzierung

Frage: Können Sie eine Größenordnung nennen, welche Dimension der Antibiotikareduzierung Sie anstreben?

Schmidt: … Mein erklärtes Ziel ist es, den Antibiotikaverbrauch in der Tierhaltung insgesamt auf das absolut unerlässliche Maß zu reduzieren, und ich bin überzeugt: Dieses Ziel können wir mit dem Antibiotikaminimierungskonzept erreichen. … In Mastställe gehören nur Antibiotika, die zur Behandlung erkrankter Tiere erforderlich sind. Wir haben uns bewusst dagegen entschieden, eine konkrete Zahl als Ziel festzulegen. Wenn wir allein nach der Tonnenzahl entscheiden, was zu viel ist, laufen wir Gefahr, dass antibiotische Stoffe mit einer höheren Wirksamkeit eingesetzt werden, nur um unter dem Strich die Menge zu reduzieren.

Adäquate Wirkstoffe aus Tierschutzgründen gezielt einsetzen

Frage: Diese Tricks werden ja bereits angewendet: Es wird vermeldet, der Antibiotikaverbrauch sei um 15 Prozent gesenkt worden, bei genauerem Blick stellt sich aber heraus, dass vor allem die Dosierungen gestiegen sind.

(Anm. d. Redaktion: Die „Tricks“ meinen den Anstieg der Fluorchinolone, die – auf Dosierungen umgerechnet – den Tonnenrückgang beim Antibiotikaeinsatz in 2013 in etwa ausgleichen – Bericht dazu hier)

Schmidt: Unser Ziel muss es sein, den adäquaten Wirkstoff an der Stelle einzusetzen, wo er unbedingt erforderlich ist – nicht weniger, aber vor allem nicht mehr. Übrigens dürfen wir auch nicht aus den Augen verlieren, dass ein erkranktes Tier schon aus Tierschutzgründen einer Behandlung bedarf. Die können wir ihm nicht verwehren, weil möglicherweise die Statistik dagegenspricht.

Umgang mit Antibiotika: „Sorglosigkeit in der gesamten Gesellschaft“

Frage: Herr Minister, Sie sagen: „Houston, wir haben ein Problem.“ Haben Sie das Gefühl, dass diese Erkenntnis schon überall angekommen ist? Wir haben da unsere Zweifel, wenn wir uns die teilweise heftigen Proteste verschiedener Bauernvertreter gegen unsere ZEIT- Serie anschauen.

Schmidt: Es bringt nichts, wenn ich mich auf die Suche nach Schuldigen mache. Es geht um eine gewisse Sorglosigkeit in der gesamten Gesellschaft, was den Umgang mit Antibiotika betrifft. Und leider finde ich diese Sorglosigkeit sowohl in der Tier- als auch in der Humanmedizin. Die Herausforderung ist nun, diese Sorglosigkeit in eine angemessene Besorgnis umzuwandeln. … Und ich sage Ihnen, bei den Bauern hat diese angefangen, davon bin ich nach vielen Gesprächen fest überzeugt. Die Bauern haben bereits vor unserer Gesetzesnovelle ein System entwickelt, das sie für die eigenen Kontrollen ihrer Betriebe nutzen. Die Sensibilität für die hohe Bedeutung, die Antibiotikaresistenzen haben, ist also vorhanden.

(Anm. d. Red.: Auch Tierärzte haben heftig protestiert, etwa gegen die Bezeichnung als „Teufel im grünen Overal“die Bundetierärztekammer gegen die Bezeichnung als „Dealer“ oder der Bundesverband praktizierender Tierärzte (bpt) gegen die „reißerische Darstellung“ in den Artikeln insgesamt.)

Produktionsverlagerung verschiebt nur die Probleme

Frage: Was für eine Rolle spielt die EU? (Anm.d. Red.: bei der Antibiotikareduzierung)

Schmidt: Was Lebensmittel betrifft, haben wir einen gemeinsamen Markt mit gemeinsamen Standards für Lebensmittelsicherheit und Tiergesundheit. Und da müssen auch die Produktionsbedingungen vergleichbar sein. Denn sonst besteht die Gefahr, dass unterschiedliche Standards dazu führen, dass die Produktion verlagert wird. Das würde Probleme verschieben, sie aber nicht lösen. Das werden wir auch im G-7-Rahmen ansprechen. Ich habe dies gerade in Washington mit meinem Kollegen Tom Vilsack erörtert. Eine so großzügige Verabreichung von Antibiotika im Tierbereich wie in den USA, zum Teil nicht mal verschreibungspflichtig und oft als reiner Wachstumsbeschleuniger, ist für uns nicht akzeptabel.

„Pauschale Tierhaltungs-Kritik ist zu billig“

Frage: Essen Sie selbst noch Fleisch aus der Massentierhaltung?

Schmidt: Aber natürlich. Die pauschale Kritik an der Tierhaltung ist mir zu billig, diese Vorstellung, dass die böse Massentierhaltung Ausgangspunkt für alles Böse ist. Das kann übrigens auch nur jemand sagen, der die Nutztierhaltung in den vergangenen Zeiten nicht gekannt hat. …

Kampfbegriff: Agrarwende – Landwirtschaft muss sich dennoch ändern

Frage: Was halten Sie von der Agrarwende, die die Grünen fordern?

Schmidt: Das ist ein Kampfbegriff, der eignet sich gut für Demonstrationen – und bringt einen nicht weiter. Ich bin überzeugt, dass sich die landwirtschaftliche Produktion in Deutschland ändern muss und dass dies zu schaffen ist, auch ohne die Produktion außer Landes zu treiben.

Berufsgruppe der Landwirte nicht ausgrenzen

Frage: Was war in Ihrem Amt bisher die größte Überraschung für Sie?

Schmidt: Wie sehr die Landwirte inzwischen das Gefühl haben, an den Rand der Gesellschaft gedrückt zu werden. Das ist keine gute Entwicklung, da müssen wir entgegenwirken.

Das vollständige Interview hat das Bundeslandwirtschaftsministerium im Wortlaut auf seiner Internetseite veröffentlicht.
Die Fragen für die ZEIT stellten Stephan Lebert und Daniel Müller

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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