Das tierärztliche Dispensierrecht bleibt erhalten – zumindest wenn es nach der überwältigenden Mehrheit der rund 80 Vertreter aus Bundes- und Länderbehörden, Tierärzteschaft, Landwirtschaft, Wirtschaft, Tierschutz und Wissenschaft geht, die in Berlin den Einfluss des Dispensierrechtes auf die Bildung antimikrobieller Resistenzen diskutierten. Am Ende des fast sechsstündigen Meinungsaustausches votierte nur eine einzige Stimme dafür, das Dispensierrecht abzuschaffen: Dr. Arno Piontkowski als Vertreter des Grünen Landwirtschaftsministeriums NRW. (erstellt: 4.12.2014 / update 8.12.2014)
Die Bundestierärztekammer (BTK) und der Bundesverband praktizierender Tierärzte (bpt) zeigten sich erleichtert, dass im Fachdiskurs letztlich die fachlichen Argumente statt populistischer Forderung den Ausschlag gegeben hätten. Sie erwarten, dass die Debatte über das Dispensierrecht zumindest in Deutschland jetzt beendet ist.
bpt: „In Europa jetzt klare Kante zeigen“
„Eine Abschaffung wäre reine Symbolpolitik, ohne erkennbaren Nutzen für die Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen“, fasst bpt-Präsident Dr. Hans-Joachim Götz den Fackdiskurs zusammen und fordert: Die seit Jahren andauernde Diskussion um das Dispensierrecht müsse nun ein Ende haben. Er hoffe, dass die Bundesregierung mit diesem eindeutigen Votum im Rücken nun auch bei den Verhandlungen im Europäischen Rat zum EU-Tierarzneimittelrecht klare Kante zeige.
BTK: „Populismus hatte keinen Platz“
„Ich bin froh, dass die unüberlegten Forderungen einiger populistischer Journalisten oder Politiker hier keinen Platz hatten“, erklärt Prof. Dr. Theo Mantel, Präsident der Bundestierärztekammer in einer Pressemitteilung. „ Der Verbrauch an Antibiotika lässt sich nicht dadurch senken, dass der Landwirt bei einer Erkrankung seiner Tiere zur Apotheke läuft oder gar Antibiotika im Internet bestellt. Damit würde nur der Schwarzmarkt gefördert und die Überwachung erschwert.“ Der wichtigste Einflussfaktor sei die Tiergesundheit. Daran und am Tierschutz müssten Tierärzte gemeinsam mit Tierhaltern und anderen Berufsgruppen arbeiten. „Einfache und schnelle Lösungen, wie mancher sie gerne hätte, gibt es leider nicht!“ betont Prof. Mantel.
Kernfrage: Erhöht das Dispensierrecht den Antibiotikaeinsatz?
Der Bundesrat hatte die Bundesregierung damit beauftragt, zu überprüfen, ob und wenn ja welche Rolle das tierärztliche Dispensierrecht bei der Resistenzbildung in Nutztierbeständen spielt. Zentraler Kritikpunkt war: Tierärzte verdienen am Medikamentenverkauf und könnten so einen Anreiz haben mehr Antibiotika einzusetzen als nötig.
Das von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KMPG und Prof. Dr. Rolf Mansfeld, von der Klinik für Wiederkäuer der LMU München erstellte Gutachten, hat dazu auf über 100 Seiten die Situation in Deutschland auch im internationalen Vergleich analysiert und auf dieser Basis drei Szenarien mit jeweils Pro & Contra-Positionen und Folgenabschätzungen entwickelt. Diese waren Grundlage des Fachdiskurs:
- Das Dispensierrecht unverändert beibehalten
- Das Dispensierrecht erhalten, aber Einfluss auf die Preisgestaltung für Antibiotika nehmen – durch einzelne oder eine Kombination der folgenden Massnahmen: Steuer, Höchst- und/oder Mindestpreise, Preisbindung, Abschaffung von Rabatten.
- Das Dispensierrecht komplett abschaffen
„Es gibt einen Berufsstand, der kein Dispensierrecht, aber dennoch ein Resistenzproblem hat: die Humanmedizin.“
Am knappesten brachte Dr. Markus Schick vom bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) auf den Punkt, was praktische alle Diskutanten in unterschiedlicher Ausprägung formulierten: Das Dispensierrecht ist für die Eindämmung antimikrobieller Resistenzen schlicht die falsche Stellschraube. Nur eine bessere Tiergesundheit senke den Antibiotikaeinesatz. Zentraler Ansatzpunkt dafür seien die Tierhaltungsbedingungen.
Differenzierter waren die Positionen zu der Frage, ob niedrige Antibiotikapreise und Rabatte Einfluss auf die Art der verordneten Antibiotika-Klasse haben? Und ob es letztlich momentan nicht schlicht billiger ist, Tiere mit Antibiotika zu therapieren, statt die Haltungsbedingungen zu verändern. Beides könne aber nicht durch das Dispensierrecht selbst (als Vertriebsweg) direkt beeinflusst werden, sondern nur durch andere (rechtliche) Vorgaben – die unter anderem in dem mit der 16. Novellierung des Arzneimttelgesetzes (AMG) auf den Weg gebrachten Antibiotikamonitoring und den flankierenden Regelungen enthalten seien.
Stärkste Fürsprecher für einen Erhalt des Dispensierrechtes waren – neben den praktizierenden Tierärzten selbst – die Überwachungsbehörden. Sie wollten ohne Not keineswegs eine gut funktionierende und kurze Überwachungskette aufgeben.
Tierschutzbund pro Dispensierrecht
Auch für den Deutsche Tierschutzbund (DTB) überwiegen die Dispensierrechtsvorteile „eindeutig“. Die Probleme in der Nutztierhaltung müsse man anders angehen. „Für Tierschutzvereine und Tierheime erwarten wir – fiele es weg – sogar steigende Medikamentenpreise und das würde Nachteile für den Tierschutz zumindest im Bereich der Tierheime bedeuten,“ betonte Patrick Kluge als DTB-Vertreter.
Apothekerverbände wenig interessiert am Tierarzneivertrieb
Selbst Arndt Preuschof von der Bundesvereinigung der Deutschen Apothekerverbände (ABDA) sah „keinen Anlass den Vertriebsweg für Tiermedikamente zu verändern.“ Wenn man davon ausgehe, dass das Gros der Tierärzteschaft Medikamente sachgerecht verschreibt, sei das nicht der Weg Missstände zu beseitigen.
Die Rezeptierung durch den Tierarzt aber steht nicht zur Diskussion.
Schweigen der Kritiker
Kritiker, die zuvor in der öffentlichn Debatte vehement die Abschaffung des Dispensierrechtes einforderten – etwa der BUND – meldeten sich, obwohl zur Veranstaltung angemeldet, nicht zu Wort. Mit Ausnahme von NRW gab es auch aus anderen Grün-regierten Bundesländern keine Forderungen in diese Richtung.
Landwirtschaft beteiligt sich nicht an Debatte
Auch Landwirtschaftsvertreter – die ebenfalls angemeldet waren – beteiligten sich nicht am Fachgespräch – bis auf einen Vertreter des Bundes ökologischer Landwirtschaft (BÖLW). Auch dieser votierte für das Dispensierrecht, da die Regeln für die Tierhaltung in Biobetrieben zeigten: Nicht der Vertriebsweg beeinflusse den Antibiotikaeinsatz, sondern die Art der Tierhaltung.
Das Gutachten wird jetzt noch um die aufbereiteten Ergebnisse des Fachdiskurses ergänzt und dann dem Bundesrat – der die Bewertung ja von der Bundesregierung gefordert hatte – sowie dem Bundestag zugeleitet. Argumente für eine Abschaffung des Dispensierrechtes dürften daraus nicht mehr abzuleiten sein. Ob – und wenn ja wie – die Politik eventuell versuchen könnte, Einfluss auf die Preisgestaltung zu nehmen, war am Ende dieses Tages nicht klar zu erkennen, auch wenn die Mehrheit der Meinungsäußerungen auch dies für nicht zielführend hielt.
(Eine Pressemeldung des Bundeslandwirtschaftsministeriums zur Veranstaltung finden Sie hier)
Bereits im Vorfeld der Veranstaltung hatten sowohl BTK als auch bpt eine fachliche Auseinandersetzung mit dem Thema gefordert:
BTK: Das Dispensierrecht muss bleiben (14.10.2014)
bpt: Sachlichkeit ist beim Fachdiskurs zum Dispensierrecht gefragt (bpt.2.12.2014)