Ein „Schritt zur Abschaffung der Nutztierhaltung in Deutschland“ und „juristisch wenig belastbar“ aber auch „staatlich toleriertes Tierleid“ und deshalb „gute Chancen auf Erfolg“ – die Reaktionen auf das Greenpeace Rechtsgutachten zur Schweinemast sind erwartungsgemäß konträr. Es hatte argumentiert, die Tierschutz-Nuzttierhaltungsverordnung verstoße gegen Tierschutz- und Grundgesetz. Eine Übersicht der Meinungen.
von Jörg Held
Im Nachgang zu unserem Bericht über das Greenpeace-Gutachten (hier) zur möglicherweise rechtswidrigen Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung haben wir einige Stellungnahmen aus Politik und Verbänden zum Gutachten zusammengefasst.
Wie Journalisten an ihr Material für Tierschutzskandalberichte kommen und warum Transparenz da wichtig wäre, beleuchtet ein eigener Kommentar.
Landwirtschaftsminister Schmidt: Tierhaltung nicht ins Ausland treiben
Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt erklärte auf einer Pressekonferenz, er teile die Greenpeace-Bewertung nicht. Die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung sei weder rechts- noch verfassungswidrig. Sie sei ein „living-document, das immer wieder angepasst und verändert werden muss“. Regelungsbedarf bestehe als nächstes bei der Haltung von Sauen im Kastenstand. Danach würden Änderungen hinsichtlich der Kastration und dem Kupieren von Schweineschwänzen in der Verordnung angepackt.
Das Ministerium veröffentlich auch ein Audio-Statement (hier) des Ministers. Darin bezeichnet er das Greenpeace-Gutachten als eine Äußerung in der Reihe von vielen zum relevanten Thema Tierwohl. Die Verbesserung des Tierschutzes stehe im Fokus der Aktivitäten des BMEL. Deutschland habe hohe gesetzliche Tierwohlstandards. Es gelte im Spannungsverhältnis von gesellschaftlichen Anforderungen und ökonomischen Realitäten praxistaugliche und akzeptable Lösungen zu finden, an deren Entwicklung er gemeinsam mit Tierhaltern, Tierschützern und Gesellschaft arbeiten wolle. Den Widerspruch zwischen hohen Anforderungen einerseits und dem „Kampf um das billigste Stück Fleisch“auf der anderen Seite, könne die Politik nicht allein auflösen.
„Es nützt aber weder den Tieren noch der Gesellschaft, wenn es hierzulande höchste Anforderungen gibt, die Tiere aber aus Kostengründen im Ausland im Stall stehen.“
ISN: „Gutachten zur Abschaffung der Nutztierhaltung“
Dass dieses „rechtliche Gutachten – vorangetrieben von Greenpeace zusammen mit Tierrechtlern, die die Nutztierhaltung in Deutschland abschaffen wollen“ – gerade jetzt platziert werde, sieht die Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN) in Zusammenhang mit den bevorstehenden Landtagswahlen und der Bundestagswahl: „Aus unserer Sicht ist das Gutachten in keiner Weise nachvollziehbar.“ Die Regelungs- und Kontrolldichte in der Schweinehaltung in Deutschland sei sehr hoch.
Die ISN gibt aber zu: „Verbesserungspotential ist da und daran wird mit Hochdruck gearbeitet.“ Doch viele Landwirte, die Ställe hin zu mehr Tierwohl umrüsten wollten, würden derzeit an komplexen genehmigungsrechtlichen Hürden scheitern, berichtet die ISN. Es gebe in der Praxis erhebliche Zielkonflikte bei der Umsetzung von mehr Tierwohl im Stall, etwa mit dem Immissionsschutz.
Die von Greenpeace vorgeschlagene Normenkontrollklage werde zu noch mehr Rechtsunsicherheit bei den Tierhaltern führen und jegliche Bemühungen zur Weiterentwicklung der Tierhaltung unterwandern. Die ISN glaubt: „Das rechtliche Vorgehen von Greenpeace führt zu einem klaren Ergebnis: Nicht zu mehr Tierwohl in Deutschland sondern zur Produktionsverlagerung ins Ausland.“
Bauernverband: Aussagen wenig belastbar
Für den Deutschen Bauernverband (DBV) scheinen die juristischen Aussagen des Gutachtens wenig belastbar. Die deutsche Schweinehaltung sei gesetzkonform, hält der DBV fest. Sie sei das Ergebnis einer Güterabwägung zwischen Verbraucherschutz, Tierwohl, Tiergesundheit, Arbeitsschutz, Emissionsschutz sowie der Ökonomie. Die Schweinehaltung unterliege einem dichten Gesetzes- und Regelungsgefüge sowie einem engmaschigen Kontrollsystem durch die zuständigen Veterinärbehörden und durch Eigenkontrollen der Wirtschaft.
Der DBV betont, die Tierhaltungsverfahren würden ständig nach aktuellen Erkenntnissen aus Wissenschaft und Praxis weiterentwickelt. Das gelte auch für die gesetzlichen Regelungen.
„Eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Nutztierhaltung erfordert Investitionen in neue, tiergerechtere Ställe. Die aber seien nur dann leistbar, wenn Vertrauen in rechtliche Rahmenbedingungen besteht.“
Die jetzt von Greenpeace vorgeschlagene Normenkontrollklage würde die laufenden und kommenden Anstrengungen für eine Weiterentwicklung der Tierhaltung konterkarieren, weil zusätzliche Rechtsunsicherheit entsteht, mahnt der DBV.
Foodwatch: Europaweit verbindliche Zielvorgaben für Tiergesundheit nötig
„Wir haben ein Systemproblem, die krassen Einzelfälle sind nur die Spitze des Eisberges“, kommentiert Foodwatch-Geschäftsführer Martin Rückert in der Neuen Osnabrücker Zeitung Videobilder von Peta und anderen Tierrechtlern. Er spricht von einem „fatalen Wettbewerb, der auf dem Rücken der Tiere ausgetragen“ werde. „Wir brauchen europaweite gesetzliche Regeln für bestmögliche Haltungsbedingungen und verbindliche Zielvorgaben für die Tiergesundheit.“
Christoph Maisack: Klage mit guten Chancen auf Erfolg
„Die Chancen für einen Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht stehen meines Erachtens gut,“ kommentiert der Dr. Christoph Maisack im Bayerischen Rundfunk. Der stellvertretende Landestierschutzbeauftragter von Baden-Württemberg begründet dies mit dem Legehennen-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes. Es hatte die Verfassungwidrigkeit der damaligen Hennenhaltungsverordnung mit der Unterdrückung von zwei Grundbedürfnissen – nämlich ruhen und fressen – begründet. Das aktuelle Greenpeace-Gutachten stelle „die Unterdrückung vergleichbar wichtiger Bedürfnisse eindrücklich dar,“ sagte Maisack, der Vorsitzender der Deutsche Juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht ist.
Grüne: Geltendes Tierschutzrecht auf Kosten der Tiere gebeugt
Die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung müsse grundlegend überarbeitet werden, fordern Grüne Bundestagsabgeordneten. Nicole Maisch, Sprecherin für Tierschutzpolitik, und Friedrich Ostendorff, Sprecher für Agrarpolitik „begrüßen“ das Engagement von Greenpeace, weil die Agrarpolitik der großen Koalition das geltende Tierschutzrecht auf Kosten der Tiere beuge. Das staatlich tolerierte Leid in der intensiven Tierhaltung sei nicht länger hinnehmbar. Den Bedürfnissen der Tiere nach ausreichend Platz, Beschäftigung und artgerechter Ernährung müsse endlich Rechnung getragen werden. „Wir brauchen eine Strategie für den Ausstieg aus diesem nicht zeitgemäßen Haltungssystem.“
AbL: Keine Beibehaltung der Spaltenböden
Der Landesverband Niedersachsen/Bremen der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) „begrüßt“ und „unterstützt“ das Greenpeace-Rechtsgutachten“. Die Bundesregierung müsse nun endlich und zügig eine artgerechtere Mastschweinehaltung mit einem Tierschutzplan umsetzen, ehe dies mit Klagen durchgesetzt werde. Dazu brauche es auch eine rasche trilaterale Vereinbarung der Haupterzeugungsländer Deutschland, Niederlande und Dänemark, schreibt die AbL. Ein Umbauprogramm der Schweinehaltung müsse ausreichend finanziert werden – gemäß den Vorschlägen des Wissenschaftlichen Beirates des Agrarministeriums.
Das Ringelschwanz-Kupierverbot und Stroheinstreu müsse endlich umgesetzt werden. „Es muss Schluss sein mit den Verzögerungstaktiken und mit perspektivlosen Strohlos-Versuchen zwecks Beibehaltung der Spaltenböden.“ Eine artgerechtere Haltung löst nach AbL-Auffassung auch die Probleme bei Antibiotikaresistenz, Gesellschaftsakzeptanz und ruinösen Erzeugerpreisen.