„Teufel“ statt „Dealer“ – ZEIT rückt minimal von Kriminalisierung des Berufstandes ab

Unmittelbar als „Dealer“ bezeichnet die ZEIT die Tierärzte  nicht mehr, zumindest nicht in der Überschrift. Dafür sind sie jetzt „Teufel im grünen Overall“, die „schwachen Tieren mit schnellem Griff den Hals umdrehen“. Ob solch ein Szenario-Einstieg mit Foto des Tierarztes Andreas Wilms-Schulze Kump in eben diesem grünen Overall noch seriöser Journalismus ist, fragen sich viele Tierärzte? Ein Überblick über die wichtigsten Aussagen des ZEIT-Artikels:

Das Aufmacher-Foto der Zeit – im Vorspann des Artikels heißt es dazu: "Der Teufel trägt einen grünen Overall". (Foto: ZEIT)

Das Aufmacher-Foto der Zeit – im Vorspann des Artikels heißt es dazu: „Der Teufel trägt einen grünen Overall“. (Foto: ZEIT)

Als Teil einer Serie zum Antibiotikaeinsatz in der Nutztierhaltung hatte die ZEIT ursprüngliche einen Artikel mit dem Titel „Tierärzte als Dealer“ angekündigt. Diese Formulierung findet sich immer noch im „Infokasten zur Serie“, der Titel aber lautet jetzt: „Dauernd Stoff vom Arzt“ – er meint das gleiche, ist aber juristisch womöglich nicht so angreifbar, wie der kriminalisierende Dealer-Vergleich, gegen den die Bundestierärztekammer vorab protestiert hatte.1cZeit_Tieräzte_Dealer_im_Stall

Im folgenden einige kommentierte Absätze aus dem Artikel der ZEIT (27.11.2014). Der szenische Einstieg jedenfalls dramatisiert und polemisiert – findet wir-sind-tierarzt.de:

„Der Teufel trägt einen grünen Overall. In der einen Hand hält er einen Kescher, in der anderen einen Plastikeimer. Bei jedem Schritt flüchten Küken vor seinen Gummistiefeln. 42 000 Tiere leben in diesem Stall in Barsinghausen in der Nähe von Hannover. Es ist heiß, und es riecht nach Ammoniak. Sobald der Mann ein schwaches Tier sieht, schnappt er es. Mit schnellem Griff dreht er dem Küken den Hals um. Später wird er ihm den Bauch aufreißen, um in Niere und Darm nach Anzeichen für Infektionen mit Keimen zu suchen … Andreas Wilms-Schulze Kump ist Tierarzt und für einige seiner Kollegen die Inkarnation des Bösen. Er hat sich auf die Betreuung von Hühnern und Schweinen in der industriellen Massentierhaltung spezialisiert.“

Die von der ZEIT aufgegriffenen Vorwürfe gegen Wilms-Schulze Kump und andere Nutztierärzte stammen aus den eigenen Reihen:

„Großveterinäre wie er unterstützen das System der industriellen Tierproduktion. Durch den häufigen Einsatz von Antibiotika trieben sie die Resistenzentwicklung von Keimen wie MRSA oder ESBL-Bildner voran, kritisiert das Tierärztliche Forum für verantwortbare Landwirtschaft, eine Verbindung von 140 kritischen Veterinären.“

Auch das Problem der Verbrauchernachfrage nach billigem Fleisch im Sonderangebot spricht der Artikel kurz an, die Verantwortung ordnet er aber unmittelbar den Tierärzten zu:

„Im Komplex der industriellen Fleischproduktion verdienen viele an unglaublich billigen Hühnerbrüsten und Schweinelenden: Supermärkte, Fleischkonzerne, Futtermittelhersteller, Züchter, Pharmaunternehmen sowie Mäster. Doch die Großveterinäre halten das gesamte System überhaupt erst am Laufen.“

Die Struktur der Fleischerzeugung und der Nutztierbetreuung beschreibt die ZEIT so:

„Um sich wirtschaftlich abzusichern, begeben sich viele Landwirte in die Abhängigkeit einer sogenannten »Integration«. … Spezialisierte tierärztliche Großpraxen haben sich am besten darauf eingestellt. Diese Veterinärunternehmen heißen agro prax, Vet-Team, Am Bergweg GmbH oder WEK – das ist die Praxis von Andreas Wilms. Sie bieten die sogenannte Bestandsbetreuung für Megaställe an, stellen aber nur einen kleinen Teil der insgesamt rund 12 000 in Deutschland niedergelassenen Veterinäre.“

In diesen Strukturen mache der Arzneimittelverkauf fast den gesamten Praxisumsatz aus, die Hälfte davon stamme aus dem Antibiotikaverkauf zitiert die ZEIT einen Dänen und schlägt den Bogen zum Dispensierrecht:

„Hierzulande sind Tierärzte Arzt und Apotheker zugleich. Sie verdienen also an jedem von ihnen verschriebenen Medikament. Nach Aussagen von Veterinären gegenüber der ZEIT macht der Arzneiverkauf zwischen 50 und 80 Prozent der Einnahmen einer Praxis aus. Weil Tierärzte im Geflügel- und Schweinebereich ihre Behandlungsarbeit oft gar nicht erst abrechnen, … stammen manchmal fast ihre gesamten Einnahmen aus dem Arzneiverkauf.“ 

Ein Anreiz für den Medikamentenverkauf sei die Rabattpolitik der Pharmafirmen – einen Aspekt, den auch der Bundestag schon diskutiert hat. Die Verkaufsanreize sollen letztlich für Resistenzen in der Humanmedizin verantwortlich sein, folgert die ZEIT:

„Die Rabattpolitik der Pharmaindustrie fördert das Ganze – und das hat möglicherweise Folgen für die Ausbreitung von Resistenzen gegen Antibiotika. Der ZEIT liegt ein Angebot der Firma Wirtschaftsgenossenschaft deutscher Tierärzte (WDT) vor. Sie bietet darin ein sogenanntes Reserveantibiotikum-Generikum an. Solche Reserveantibiotika verlieren ihre Wirkung zum Beispiel durch den massenhaften Einsatz im Stall. Diverse resistente Keime breiten sich dann aus, infizieren womöglich Bauern und gelangen auf diese Weise bis ins Krankenhaus. Dort schlagen dieselben Reserveantibiotika bei den betroffenen Patienten dann nicht mehr an.“

Ein Beispiel soll die verkaufsfördernden Anreize belegen:

„So ein sparsam einzusetzendes Medikament wurde also Veterinären in Hessen in diesem Oktober von der Firma WDT mit 88 Prozent Rabatt auf den Listenpreis angeboten – sofern sie mindestens 500 Flaschen davon abnahmen. Durch die Preisnachlässe steigt die Gewinnspanne für die Tierärzte, was wiederum dazu motiviert, den Bauern mehr davon zu verkaufen.“

Auch der Rückgang der Antibiotikaverordnungen in der Nutztierhaltung um 250 Tonnen in den letzten zwei Jahren wird relativiert:

„Zwar ging die absolute Menge der eingesetzten Antibiotika zurück. Allerdings stieg der Einsatz von Reserveantibiotika bei einzelnen Wirkstoffklassen um bis zu 50 Prozent. Das hat auch einen Grund: Veterinäre können mit diesen hoch dosierten Reserveantibiotika viel mehr Tiere behandeln. Kritische Tierärzte vom Forum für verantwortbare Landwirtschaft schätzen, dass man mit dem Reservemedikament Baytril 40 Mal mehr Schweine versorgen könnte als mit »älteren« Antibiotika. Korrekt gerechnet, sei der Antibiotikaeinsatz daher bloß um magere 5 Prozent gesunken – und nicht, wie offiziell behauptet, um 15 Prozent.“

Die tierärztliche Bestandsbetreuung stellt die Zeit ebenfalls in Frage, indem sie zwei tierärztliche Positionen gegenüberstellt:

„Der massenhafte Einsatz von Antibiotika hat auch mit dem Prinzip der Bestandsbetreuung zu tun. Eigentlich sollen nur erkrankte Tiere ein Antibiotikum bekommen. »Aber ich kann mich doch nicht um jedes Tier einzeln kümmern«, sagt Tierarzt Wilms. Findet er bei seinen Rundgängen im Riesenstall einige hustende Küken, verschreibt er gleich allen Tieren eine Behandlung mit Antibiotika wie Lincomycin. Das bekommen sie über das Trinkwasser verabreicht. Als »Metaphylaxe« ist diese Ausnahmebehandlung rechtlich zulässig. … „ich mache das nur, wenn ich dadurch einen größeren Antibiotika-Einsatz später verhindern kann.« 

„Claudia Preuss-Ueberschär hat dafür kein Verständnis. »Wenn einzelne Tiere erkranken, dürfen nur genau diese Tiere behandelt werden«, sagt die Tierärztin aus Wedemark. Die hustenden Hühner müssten in abgegrenzten Quarantänebereichen oder extra Krankenställen von den gesunden Hennen isoliert werden.“

Die tierärztlichen Standesvertretungen, so die ZEIT würden beim gesamten Antibiotikaproblem nur von einer „medialen Hysterie“ sprechen:

„Der Bundesverband der praktizierenden Tierärzte, die Tierärztekammern und auch Wilms sind sich einig: Die medial vermittelte Gefahr gebe es nicht, bestehende Gesetze und Kontrollen würden eine Keimapokalypse aus dem Stall verhindern. Hier spricht das System.“

Als Lösung des Problems des rabattgeförderten Antibiotikaverkaufes beschreibt die ZEIT abschliessend folgendes Modell:

„In Dänemark und den Niederlanden ist man schon weiter. Dort finanzieren sich die Tierärzte nicht mehr über den Verkauf von Arznei, sondern über die Überwachung der Herden. Auch Tierarzt Wilms hat vor Monaten und damit als einer der ersten deutschen Tierärzte sein Bezahlmodell umgestellt: Er berechnet den Bauern jetzt 0,5 Cent pro Tier für seine Beratung und wird damit unabhängiger vom Arzneiverkauf. Nun fordern die Bauern ein, dass er mindestens einmal pro Woche in ihren Ställen vorbeischaut. Dann sieht er regelmäßig, was an der Hygiene oder am Klima im Stall verbessert werden muss. So bleiben viele Hühner gesund. Und oft ganz ohne Antibiotika.“

(Die ZEIT 49/2014 gibt es seit 27.11.2014 am Kiosk oder digital als iPad-Ausgabe für 4,49 / App-Download hier – der Artikel ist hier auch auf ZEIT-online verfügbar.)

Berichte auf wir-sind-tierarzt.de zu diesem Thema

Der Auslöser: Die „Tierärzte sind Dealer“-Ankündigung im ZEIT-Artikel „Die Rache aus dem Stall“
Die BTK-hatte vorab gegen die Dealerbezeichnung protestiert – ebenso der bpt gegen die Vürwürfe im ZEIT-Artikel „Rache aus dem Stall“
BTK und bpt sehen aber von weiteren öffentlichen Protesten ab
Tierärzte protestieren gemeinsam mit Landwirten vor der ZEIT-Redaktion

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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