Stolz oder erleichtert? Im Interview zieht bpt-Geschäftsführer Heiko Färber eine erste Bilanz des bpt Kongress 2020 DIGITAL. Er spricht über Besucherrekorde und Risiken, ein überraschendes Anmeldeverhalten, die wichtigsten Erfolgsbausteine, Lernkurven und einen Bienenboom.
Wie erleichtert sind Sie, dass der erste Digital Kongress des Bundesverbandes praktizierender Tierärzte (bpt) kein Flop war?
Heiko Färber: Erleichtert nicht, denn an einen Flop haben wir definitiv nie auch nur gedacht. Ich bin vielmehr ein Stück weit richtig stolz. Was das Vorbereitungsteam da auf einem für uns komplett neuen Feld auf die Beine gestellt hat, ist der erfolgreichste Kongress in der 100-jährigen bpt-Geschichte geworden; mit genau 3.176 Kongressbesuchern, davon 2.602 Tierärztinnen und Tierärzten. Und die haben nicht nur „ihre Fachvorträge“ besucht, sondern sich über 21 Tage immer wieder auf der Plattform bewegt. Ich hatte in mehreren Interviews im Vorfeld 1.500 Teilnehmer/innen als Zielmarke genannt. Die haben wir ja nun um sage und schreibe 100 Prozent übertroffen. Das finde ich nicht schlecht!
„Der Digital-Kongress war auch ein Risiko“
Aber das haben sie doch nicht wirklich so erwartet?
Färber: Nein, in der Dimension natürlich nicht. Als wir Anfang Juni die Entscheidung Digital statt Präsenz getroffen haben, war das sicher nicht freiwillig. Aber wir haben beschlossen: Wenn digital, dann richtig und volle Pulle. Da sind wir auch ins Risiko gegangen. Aber als dann die Plattform stand und wir auch die Events konzipiert hatten, da waren wir uns schon sicher: Ein Desaster wird das nicht.
Wichtigster Faktor: Flexibilität
Was denken Sie, warum hat der Digital-Kongress so gut funktioniert?
Färber: Sicher auch weil wir auf unsere Mitglieder gehört haben. Die hatten in unserer Umfrage zur Kongressvorbereitung als wichtigste Erwartungen genannt: „größtmögliche zeitliche Flexibilität“ und „keine Parallelveranstaltungen verpassen“.
Der bpt-Kongress ist schon immer ein „Vollsortimenter“. Wir wollen für alle Tierarten und Zielgruppen ein Angebot machen. Das konnten die Kongressbesucher jetzt zum ersten Mal auch wirklich komplett nutzen: Durch das All-in-Ticket war alles für jeden zugänglich. Und durch die lange Abrufzeit bis 9. Dezember musste niemand eine Veranstaltung verpassen. Das haben die Besucher dann auch honoriert: Sie haben in ganz großer Zahl auch Veranstaltungen über den eigenen fachlichen Tellerrand hinaus besucht. Selbst Nischenthemen wie die Bienenfortbildung (500 Abrufe) oder Insekten (mehr als 250 Abrufe) hatten so ein richtig großes Publikum.
Aber um Fachvorträge online abzurufen, braucht es doch eigentlich keinen Digital-Kongress?
Färber: Nein, nur dafür „braucht“ man den nicht. Aber er macht die Sache eben viel, viel interessanter. Wir haben digital das Fachliche in ein Kongress-Event eingebunden mit Messe, Live-Begegnungen, Interaktion und auch Spaß, etwa mit dem Rapper-Trio Pheel Fresh! Das i-Tüpfelchen waren aber sicher unsere „Live-Sendungen“ aus dem Kongressstudio in Frankfurt. Wir wollten eben deutlich mehr bieten als eine Zoom-Schalte.
Was macht Sie da so sicher, dass diese Angebote tatsächlich relevant waren?
Färber: Die Zahlen. Wir hatten in den Live-Veranstaltungen zur Berufspolitik Zuhörerzahlen, von denen wir, obwohl es die aktuellen Top-Themen der Tierärzteschaft sind, bei einem Präsenzkongress nur träumen können: 700 bei der Auftaktdiskussion über die Corona-Folgen; 500 beim Kongressabschluss zum Thema ‚Tierärztemangel – Alles gut mit Tarifvertrag?‘; und 160 beim Präsidenten-Chat. Auch den Live-Career-Day am Samstag haben über 1.000 Besucher verfolgt.
Und dann waren da noch die über 150 E-Mails mit Dank und Lob, die wir noch während der Kongresszeit beinahe täglich bekommen haben. Eigentlich schreibt man ja sonst nur, wenn etwas nicht funktioniert.
„Muss man ‚Messe‘ digital ganz anders denken?“
Kritik gab es aber von einigen Ausstellern. Funktioniert eine Fachmesse digital?
Färber: Einem Vortrag online folgen, ist nicht so viel anders als ihn im Saal zu hören. Aber die Fachmesse ist sonst der Ort der Begegnung auf unserem Präsenzkongress. Sie lebt vom persönlichen Kontakt. Das digital abzubilden ist einfach schwer.
Vielleicht muss man „Messe“ in der digitalen Welt deshalb auch ganz anders denken? Denn die Besucherzahlen insgesamt waren – finde ich – richtig gut: Von den 3.100 Teilnehmern haben 2.475 mindestens einmal die Fach- oder Jobmesse besucht und zwar im Durchschnitt für 50 Minuten. Die Messen sind also wichtig für die Nutzer, das zeigen auch die Downloadzahlen. Die von den Ausstellern angebotenen 90 Firmenvideos wurden zum Beispiel 19.959 mal angeschaut.
Wie sich die Messebesucher verhalten und was sie dort gesucht haben, dass werden wir noch ganz genau analysieren müssen, um daraus ableiten zu können, was digital funktioniert und was nicht. Jeder Aussteller bekommt da eine Rückmeldung. Ich bin jedenfalls sehr dankbar dafür, dass uns bei dieser Digital-Premiere schon über 88 Firmen als Aussteller und Sponsoren begleitet haben. Wir lernen gemeinsam und wir werden da gemeinsam besser.
Noch 1.000 Anmeldungen während der Kongresszeit
Was haben Sie aus den Kongressdaten jetzt schon gelernt?
Färber: Spannend finde ich das „Anmeldeverhalten“ und auch die zeitliche Verteilung der Besuche. Gestartet sind wir am 19. November (1. Kongresstag) mit etwas über 2.000 Anmeldungen, das waren zwar mehr als ursprünglich gedacht, aber viel weniger als für einen Präsenzkongress.
Dann muss es sich wie ein Schneeballsystem herumgesprochen haben: bpt Kongress DIGITAL funktioniert, die Plattform ist einfach zu nutzen und das Programm qualitativ gut. Denn 1.000 Besucher haben sich noch während der „Live-Zeit“ zum Kongress angemeldet.
Selbst nach „Kongressende“ am 25. November gab es noch 100 Anmeldungen für die On-Demand-Zeit. An den letzten zwei Online-Tagen (8./9.12.) hatten wir dann noch jeweils 1.500 Besucher auf der Plattform.
Mir zeigt das: Flexibilität ist in der Tat ein zentraler Faktor. Einen Kongress besuchen, ohne die Praxis schließen zu müssen, das geht nur Online. In der Onlinewelt wird Qualität auch noch unmittelbarer honoriert – oder eben auch bestraft. Man muss überzeugen, sonst wird man weggeklickt. Es war eine gute Entscheidung, sieben Live-Kongresstage anzubieten, damit sich die Qualität rumsprechen konnte.
Außerdem haben wir mit dem Digital-Angebot auch Tierärzte erreicht, die sonst nicht bei einem bpt-Kongress sind. Das Teilnehmerverhältnis bpt-Mitglieder zu Nichtmitgliedern war etwa 50:50. Ebenso das von Inhabern und Angestellten. Da haben wir noch einiges an Potential!
Hat der Digitalerfolg Konsequenzen für das bpt-Kongressangebot 2021 und danach?
Färber: Welche Auswirkungen die Corona-Pandemie in 2021 haben wird, lässt sich ganz schwer vorhersagen. Sie wird aber definitiv noch nicht vorbei sein. Deshalb haben wir entschieden: Auch Bielefeld wird digital. Obwohl wir die Intensiv-Fortbildung Kleintier ja schon vom Stammtermin im Februar auf Anfang Mai verschoben hatten (29.4. bis 2.5.2021), denken wir, dass das der sicherste Weg ist – und dass es kein schlechter ist, haben wir ja gezeigt. Für den Herbstkongress 2021 in München liegen derzeit noch alle Optionen auf dem Tisch: Digital, Hybrid und Präsenz. Unser Aufsichtsrat wird darüber im Januar beraten.
Sicher ist: Corona hat nicht nur unser Leben, sondern auch die tierärztliche Kongresslandschaft komplett verändert. Vieles wird anders bleiben! Der bpt wird sich nicht nur darauf einstellen, sondern wir haben auch den festen Willen, diese Veränderungen aktiv zu gestalten.