Wie viele Falschmeldungen gibt es beim staatlichen Antibiotikamonitoring?

Die Tabelle stellt die bundesweiten Therapiehäufigkeiten des 2. Halbjahres 2014 und des 1. Halbjahres 2015 gegenüber. (Quelle: BVL)Die Tabelle stellt die bundesweiten Therapiehäufigkeiten des 2. Halbjahres 2014 und des 1. Halbjahres 2015 gegenüber. (Quelle: BVL)

Absicht, Fehler, Unverständnis oder tatsächliche „Null“ – die sogenannten „Null-Meldungen“ im staatlichen Antibiotikamonitoring verfälschen die Datenbasis. Mecklenburg-Vorpommern legt jetzt Zahlen vor: Demnach haben 40 Prozent  der meldepflichtigen Betriebe „Null Antibiotiakeinsatz“. Davon wiederum haben 75,7 Prozent auch tatsächlich nichts eingesetzt – das restliche Viertel aber hat falsche Angaben gemacht.

von Jörg Held

Das Problem der bundesweit einheitlichen Antibiotika-Datenbank ist: Wird kein Medikamenteneinsatz eingetragen, gilt das automatisch als „Null-Einsatz“. Das System unterschiedet also nicht zwischen Eingabefehlern, Verweigerern oder einem tatsächlich nicht erfolgten Antibiotikaeinsatz. Das verfälscht die Daten, weil die ermittelten Kennzahlen entsprechend niedriger ausfallen. Für Betriebe, die ihren Antibiotikaeinsatz ordnungsgemäß melden, kann das gravierende Nachteile haben, wenn sie knapp über der – dadurch falsch berechneten – Kennzahl 2 landen und deswegen zum Beispiel einen Maßnahmenplan zur Antibiotikaminimierung erstellen müssen.
(Details zur Funktionsweise und Auswertung der Datenbank finden Sie hier und hier und hier/Nichtmelder-Problem)

Gesetz nachbessern: „Aktive Null“ gefordert

Der Vorwurf lautet: Eigentlich meldepflichtige Betriebe würden sich bewusst vor der Eingabe ihrer Antibiotikadaten drücken und so die ganze Erhebung verfälschen. Hier muss das Gesetz unbedingt nachgebessert werden – das fordern Tierärzte und Landwirte, aber auch die Bundesländer unisono. Gesetzlich soll eine „aktive Null“ vorgeschrieben werden: Also eine bewusste Eingabe durch den Landwirt oder seinen Beauftragten, dass er im Erfassungszeitraum wirklich „Null“ Antibiotika eingesetzt hat. Fehlerhafte oder vergessene Eingaben dürften technisch nicht mehr als Null-Einsatz gewertet, sondern müssten gesondert ausgewiesen werden. Das Bundeslandwirtschaftsministerium signalisierte die Bereitschaft hier aktiv zu werden.

Zehn Prozent echte Falschmelder

Das Problem ist – auf die Zahl der Betriebe bezogen – in der Tat nicht unerheblich. Das zeigen aktuelle Zahlen aus Mecklenburg-Vorpommern:

  • Dort unterliegen 632 Betrieb oder Betriebsteile, die Hühner, Puten, Schweine oder Rinder mästen, der gesetzlichen Meldepflicht für den Antibiotikaeinsatz.
  • 251 von ihnen – also fast 40 Prozent – haben laut Datenbank „keinen Antibiotikaeinsatz“ (ob durch aktive Meldung, falsche oder fehlende Eingabe).
  • Davon haben laut Nachprüfung zwar 75,7 Prozent (190 Betriebe) tatsächlich keine Antibiotika eingesetzt, ….
  • … aber immerhin noch 61 Betriebe – das sind knapp zehn Prozent aller meldepflichtigen Betriebe –  haben einen bestehenden Antibiotikaeinsatz nicht ordnungsgemäß gemeldet.
  • Gegen diese Betriebe – und auch weitere, die anderweitig gegen die Meldevorgaben verstoßen hätten – haben die Behörden Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet.
Dr. Till Backhaus, SPD-Landwirtschaftsminister in Mecklenburg-Vorpommern (Foto: © Landesregierung)

Dr. Till Backhaus, SPD-Landwirtschaftsminister in Mecklenburg-Vorpommern (Foto: © Landesregierung)

Die Zahlen stammen aus einer eingehende Überprüfung aller „Null-Melder“ aus dem zweiten Erhebungszeitraum (2015/erstes Halbjahr). Dazu haben die Behörden tierärztliche Belege angefordert oder vor Ort in diesen Betrieben Kontrollen durchgeführt. „Jede Falschangabe verfälscht jedoch die bundesweite Statistik. Hier müssen wir nachjustieren, damit jeder, der keine Antibiotika einsetzt, dazu verpflichtet wird, dies zu melden. Eine Freiwilligkeit hilft in diesem Fall nicht“, erklärte Dr. Till Backhaus, SPD-Landwirtschaftsminister in Mecklenburg-Vorpommern.

Nichtmeldende Betriebe sind nicht gleich nichtgemeldete Antibiotika-Menge

Was Backhaus nicht mitteilt – und teilweise aus Datenschutzgründen auch nicht sagen darf – sind zwei wichtige Zahlen:

  • Auf welche Bereiche (Geflügel-, Schweine-, Rindermast) verteilen sich die Falschmeldungen in welchem Verhältnis.
  • Wie viele Tiere (Bestandszahlen) sind von diesen Falschmeldungen betroffen – also lassen sich Rückschlüsse auf die nichtgemeldete Antibiotikamenge ziehen.
Beispielrechnung mit der Berechnungsformel für die Therapiehäufigkeit. (© WiSiTiA)

Beispielrechnung mit der Berechnungsformel für die Therapiehäufigkeit. (© WiSiTiA)

Das staatliche Minimierungskonzept errechnet eine Therapiehäufigkeit, also eine Kennzahl mit der jeder Mäster den Antibiotikaeinsatz auf seinem Betrieb mit dem auf anderen Mastbetrieben (s)einer Tierart vergleichen kann – unabhängig von der Zahl der gehaltenen Tiere. Dies soll „neutral“ abbilden, dass natürlich bei vielen Tieren im Krankheitsfall auch absolut mehr Medikamente eingesetzt werden.

Die Zahl der Betriebe, die ihren Einsatz falsch gemeldet haben, sagt also zunächst alleine nichts über die absolute Menge der nicht gemeldeten Antibiotika aus – man kann daraus nicht ableiten: Zehn Prozent der in der Tiermast eingesetzten Antibiotika würden nicht erfasst.
Wenn eine 5.000er Sauen- oder 100.000er Geflügelbestand nicht oder absichtlich falsch melden würde, hat das logischerweise andere (Mengen)Auswirkungen als etwa bei einem kleinen Rindermastbetrieb. Die Kennzahl allerdings beeinflusst jeder Betrieb unabhängig von seiner Tierzahl und der eingesetzten Antibiotikamenge im gleichen Maße.
Minister Backhaus kritisiert denn auch: „Der Bund ist nach wie vor gefragt, die Daten anschaulicher und verständlicher darzustellen. Andernfalls könnte man glauben, dass hier mit Absicht ein schwer verständliches Gesetz geschaffen wurde, das nur von Mathematikern und nicht der Öffentlichkeit verstanden werden soll.“

Problemfall Rindermast?

Nach Erfahrungen aus anderen Bundesländern und bei einem Blick auf die bundesweiten Daten zeigt sich: Häufiger scheinen Rindermastbetriebe von dem „Null-Problem“ betroffen. Sie werden erst seit dem Start des staatlichen Antibiotika-Monitorings zum 2. Halbjahr 2014 erfasst und viele Tierhalter scheinen (noch) nicht genau zu wissen, ob ihr Betrieb jetzt melden muss oder nicht.
Die Geflügel- und Schweinemastbetriebe – die, eben weil es dort die hohen Tierzahlen gibt, mengenmässig auch die meisten Antibiotika einsetzen – melden (mehrheitlich) schon fast zwei Jahre länger ihren Antibiotikaeinsatz an das privatwirtschaftliche QS-System. Von dort werden die Daten größtenteils direkt an die staatliche Datenbank übertragen, die Fehlerquote dürfte hier also niedriger liegen, denn bei QS hatte man ähnliche Anlaufschwierigkeiten mit Falschmeldungen, sieht diese aber inzwischen weitestgehend ausgeräumt.

Die Tabelle stellt die bundesweiten Therapiehäufigkeiten des 2. Halbjahres 2014 und des 1. Halbjahres 2015 gegenüber. (Quelle: BVL)

Die Tabelle stellt die bundesweiten Therapiehäufigkeiten des 2. Halbjahres 2014 und des 1. Halbjahres 2015 gegenüber. (Quelle: BVL)

Positive Entwicklung

Tatsache ist: Fast alle bundesweiten Kennzahlen sind im Halbjahr 2015/I gesunken (siehe Tabelle).
Bei der Bewertung ist Minister Backhaus aber zurückhaltend: Dies könne die begonnene Minimierung widerspiegeln. Aber auch jahreszeitliche Schwankungen und/oder nicht gemachte Meldungen könnten hier Einfluss nehmen. Eine effektive Minimierung sei noch gar nicht in vollem Umfang möglich gewesen: „Dies ist ein Prozess, der über mehrere Halbjahre erfolgen muss. Aber es ist auf jeden Fall ein guter Anfang“, sagte Dr. Backhaus.

Quelle:
Pressemeldung Landwirtschaftsministerium Mecklenburg-Vorpommern

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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