Die Positionen des Bundeslandwirtschaftsministeriums zu wichtigen Tierarztfragen

Skeptisch, was den Grünen-Vorschlag der Disensierrechtsüberprüfung nach norwegischem Vorbild angeht – BMEL-Ministerialdirektor Bernhard Kühnle: "Andere Vertiebswege in Europa sind nicht besser". (Foto: © WiSiTiA/aw)Skeptisch, was den Grünen-Vorschlag der Disensierrechtsüberprüfung nach norwegischem Vorbild angeht – BMEL-Ministerialdirektor Bernhard Kühnle: "Andere Vertiebswege in Europa sind nicht besser". (Foto: © WiSiTiA/aw)

GOT-Erhöhung, Antibiotika-Regulierung, Dispensierrecht abschaffen – es gibt einige Themen, die Tierärzten unter den Nägeln brennen. Was die Bundesregierung hier plant, erläuterte Ministerialdirektor Bernhard Kühnle auf dem bpt-Kongress in München. Der Leiter der Abteilung Tiergesundheit und Lebensmittelrecht im Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) antwortete in der „Berufspolitischen Diskussion“ direkt auf Publikumsfragen.

bpt-Kongress-logo-2015Jörg Held hat für wir-sind-tierarzt.de die Fragen und Antworten zusammengefasst und mit einigen Hinweisen zu Hintergründen und Einordnungen ergänzt.

Wann kommt endlich eine GOT-Erhöhung?

Hintergrund der Frage: Seit 2008 hat es keine Erhöhung der GOT-Sätze gegeben. Auch die von der Tierärzteschaft vorbereitete strukturelle Neuordnung der GOT wurde bislang im Ministerium nicht bearbeitet. Die EU sieht Gebührenordnungen generell als Wettbewerbshindernis an und überprüft deshalb in Pilotverfahren die Honorarordnungen von Architekten, Ingenieuren und Rechtsanwälten. Gegen die Österreichische Honorarordnung für Tierärzte hat sie sogar ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Die zentrale Frage in München lautete: Trotz laufender EU-Verfahren hätten Architekten, Ingenieure und Rechtsanwälte Gebührenerhöhungen erreicht. Warum herrscht bei den Tierärzte seit 2008 Stillstand?

Stellte sich auch kritischen Tierarztfragen – Ministerialdirektor Bernhard Kühnle, Abteilungsleiter im Bundslandwirtschaftsministerium. (Foto: © WiSiTiA/aw)

Stellte sich auch kritischen Tierarztfragen – Ministerialdirektor Bernhard Kühnle, Abteilungsleiter im Bundslandwirtschaftsministerium. (Foto: © WiSiTiA/aw)

Sein Haus wehre sich weder gegen eine fachliche Neustrukturierung der GOT noch eine Erhöhung, betonte Kühnle mehrfach. „Doch wenn das Risiko besteht, dass die EU dadurch die gesamte GOT kippt, dann haben wir mit Zitronen gehandelt.“ Dieses Risiko habe man gesehen und sei deshalb nicht aktiv geworden. Bernhard Kühnle räumte aber ein, dass es Anzeichen gebe, dass die EU die Österreichische Honorarordnung akzeptieren werde. Wenn Brüssel auch die „Flexibiltätsregeln“ in der GOT für ausreichend halte, dann „werden wir eine Erhöhung angehen.“

(Anm.d.Red.: Mit Flexibilität dürfte gemeint sein, dass die Spanne von ein- bis dreifachem GOT-Satz ausreichend Spielraum für einen Preiswettbewerb lässt und auch ausserhalb der GOT Vereinbarungen möglich sind, z.B. Bestandsbetreuungsverträge.)

Steht das Bundeslandwirtschaftsministerium hinter dem Dispenierrecht?

Mit einem ebenso knappen wie klaren „Ja“, antwortete Kühnle auf diese Frage von Bayerns Kammerpräsidenten Dr. Karl Eckart – und ergänzte: Für das BMEL sei das Dispensierrecht als Vertriebsweg nicht der Ansatzpunkt, um im Sinne des Verbraucherschutzes die Anwendung von Antibiotika verbessern zu können. Das habe ja bereits das Fachgutachten und der Fachdiskurs zum Dispensierrecht ergeben. Kühnle: „Wir halten am Status quo fest.“ Das BMEL sehe in Europa keine anderen Modelle, „die besser sind, als das was wir in Deutschland haben.“

Wird es ein Rabattverbot für Veterinärantibiotika geben?

Es gebe „wirtschaftlichen Fehlanreize beim Antibiotikaeinsatz durch Rabatte“. Auch das sei ein Ergebnis des Fachdiskurses gewesen, antwortete Kühnle. Die Preisgestaltung sei daher auch für das BMEL ein Thema. Die dafür notwendige Änderung der Arzneimittelpreisverordnung falle allerdings in die Kompetenz des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWI). Dort werde – „völlig ergebnisoffen“ – überlegt, wie man die „Anreizsituation“ anders gestalten könne: Mindestpreise, Festpreise, Rabattverbote und auch Steuern – für alles sei eine „seriöse Folgenabschätzung“ nötig, welche Maßnahme welche Wirkungen haben.
Schnell aber dürfte dies nicht geschehen, denn Kühnle sagte auch , davon werde „in den nächsten Monaten und Jahren zu hören sein.“

(Anm.d.Red.: Auch auf der Herbst-Agrarministerkonferenz der Länder hatte das BMEL zu diesem Thema auf das BMWI verwiesen. Die Länder forderten den Bund dennoch erneut auf „kurzfristig“ Vorschläge für das sogenannte „Rabattverbot zu machen“.
Der scheidende bpt-Präsident Hans-Joachim Götz betonte, dass für die Tierärzteschaft eine fundierte  Folgenabschätzung sehr wichtig sei und plädierte für ein entsprechendes Gutachten.)

Wie definiert das Landwirtschaftsministerium „Reserveantibiotika“?

„Wir brauchen aus Ministeriumssicht dringend konkretere Regeln für die kritischen und wichtigen Antibiotika aus der Humanmedizin,“ stellte Kühnle klar. Man habe bisher aber weder eine fachliche noch eine rechtliche Definition dieser sogenannten „Reserveantibiotika“. In einer „Arbeitshypothese“ orientiere sich das Ministerium an den Stoffgruppen, auf die die EU-Kommission im Rahmen der Rückstandsüberwachung ihr Augenmerk richtet. Das sind die Cephalosporine der 3./4. Generation, die Fluorchinolone aber auch die Makrolide.

(Anm.d.Red.: Den Begriff „Reserveantibiotika“ kennt ausserhalb Deutschlands niemand. Welche Wirkstoffe „kritisch“ oder „wichtig“ sind, definieren die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA oder Europa (EFSA) nicht konsequent einheitlich (mehr hier) – bei diesen drei Wirkstoffgrupen aber sind sie sich einig.)

Wie wichtig ist ein Antibiotikum für den Menschen? – Die Grafik zeigt, wo sich WHO und FDA bei der Einstufung einig sind und wo nicht.

Wie wichtig ist ein Antibiotikum für den Menschen? – Die Grafik zeigt, wo sich WHO und FDA bei der Einstufung einig sind und wo nicht. (Grafik: @Benchmark Sustainability Science)

Welche Anwendungsbeschränkungen soll es für diese Antibiotika geben?

Dazu sagte Kühnle: Eine überarbeitete Tierärztliche Hausapothekenverordnung (TÄHAV) werde die Umwidmung dieser Wirkstoffe im Grundsatz untersagen, aber eine Öffnungsklausel für den Therapienotstand enthalten. Und es werde auch Vorschriften geben, in welchen Fällen und auf welche Weise vorher ein Antibiogramm zu erstellen ist.

Dabei ist sich Kühnle bewusst, dass dies „hart an der Grenze zu einem Eingriff in die Therapiefreiheit ist.“ Das sei „fachlich und juristisch kniffelig“. So werde noch zu diskutieren sein, ob man bestimmte Bereiche oder minor species (Heimtiere, Zootiere, etc.) von der Regelung ausnimmt. Die klare Vorgabe aber lautet: „Die Anwendung kritischer Antibiotika muss restriktiver sein, als in der Vergangenheit.“ Ein politisches Eckpunktepapier zu dieser Thematik werde den Verbänden in Kürze zur Abstimmung zugeleitet.

(Anm.d.Red.: Das in München von Ministerialdirektor Kühnle angekündigte „Eckpunktepapier“ zur TÄHAV-Änderung, war bis zum Erscheinungstermin dieses Artikels noch nicht offiziell verfügbar.) 

Haben Anwendungsbeschränkungen Folgen für den Tierschutz?

Hintergrund der Frage: Tierärzte fürchten, bei zu hohen Anwendungsbeschränkungen nicht mehr alle Tiere behandeln zu können. Der vorgegebene Verzicht auf die „modernen“ Antibiotika könnte so tierschutzrelevant sein. Außerdem könnte dann insgesamt die Antibiotikamenge (in Tonnen gemessen) wieder steigen.

Dazu bezog Kühnle klar Position: Für das Ministerium habe mehr Tierschutz Top-Priorität. „Aber den erreicht man nicht über die Anwendung von Antibiotika.“ Auch kürzere Therapiezeiten oder kürzere Wartezeiten, seien keine Kriterien. Die Behandlung kranker Tiere stellten sowohl das AMG als auch die geplante TÄHAV-Änderung sicher.
Umgekehrt werde das BMEL keine Tonnendebatte führen – ungeachtet von „sich überschlagenden Parteiveröffentlichungen“. Das Antibiotikaminimierungskonzept kenne keine Reduktionsziele in Kilogramm oder Prozent. Kühnle: „Es geht einzig um die insgesamt sorgfältigere und bessere Auswahl der angewendeten Wirkstoffe.“ Da sei nicht die Gesamtmenge relevant, „wir werden aber auf die Entwicklung in den kritischen Wirkstoffgruppen achten.“

Wird das Arzneimittelgesetz noch nachgebessert?

Hintergrund der Frage ist der rechnerische Einfluss der Medikamente auf den sogenannten „Therapieindex“: Für Tierärzte geht es vor allem um die Wirktage bei sogenannten „One-Shot-Präparaten“. Die gibt das Gesetz nicht vor, sondern der Tierarzt soll selbst Wirktage festlegen und in die Antibiotikadatenbank eingeben. Das kann zu unterschiedlichen „Tagesangaben“ führen, wodurch der Therapieindex der einzelnen Betriebe nicht mehr zu 100 Prozent vergleichbar ist.
Zweiter Punkt war die Bewertung von Kombinationspräparaten: Da sie zwei antibiotische Wirkstoffe enthalten, berechnet das AMG eine eintägige Gabe dennoch mit zwei Wirktagen – alternativ eingesetzte „Reserveantibiotika“ hätten dagegen nur einen Wirktag. Das sei ein „falscher“ Anreiz, statt älterer Mittel, die „Reservantibiotika“ einzusetzen.

Einer „Präzisierung“ dieser Angaben verschloss sich Kühnle nicht und stellte Verbesserungen im AMG in Aussicht: „Wenn man strittige, kleinere Punkte seriös regeln kann, wird man versuchen das zu machen.“
Dabei müssten sich aber alle Beteiligten einig sein. Eine erneute „Öffnung des Arzneimittelgesetzes (AMG) mit einer Diskussion über alle strittigen Fragen,“ sehe er in dieser Legislatur nicht – zumal im Gesetz eine Evaluierung fünf Jahre nach Inkrafttreten vorgesehen sei.

(Anm.d.Red.: Mit den Beteiligten dürften die Bundesländer gemeint sein, die ebenfalls einige Änderungswünsche haben. Die 16. AMG-Novelle war 2013 erst als Kompromiss im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat verabschiedet worden, so dass Bundesländer und politische Parteien, aber auch Interessengruppen (wie die Tierärzte und Landwirte) verschiedenste Nachbesserungen wünschen.)

bpt-Präsident. Dr Hans-Joachim Götz. (Foto: © WiSiTiA/aw)

Die EU-Pläne einer Arzneimittelverschreibung durch „specialised qualified persons“, also Nicht-Tierärzte, sind für bpt-Präsiden. Dr Hans-Joachim Götz ein Unding. (Foto: © WiSiTiA/aw)

Was kommt noch aus der EU?

Hintergrund der Frage: bpt-Präsident Götz wies darauf hin, dass die EU weitere Regelungen plane, die Tierärzte betreffen. Es geht etwa um den Internethandel mit Tierarzneimitteln. Aber auch um die „Idee“ in den Beratungen im EU-Parlament zum EU-Tierarzneimittelrecht, die Verschreibung bestimmter Tierarzneimittel künftig auch sogenannten „specialised qualified persons“, also Nicht-Tierärzten zu erlauben.

Dazu beschrieb Kühnle die deutschen Positionen: Von „specialised qualified persons“ halte das BMEL nichts. „Die Qualifikation des Tierarztes ist unverzichtbar. Zu einer Verschreibung gehört eine Diagnose, die kann ich nicht delegieren.“
Der Internethandel mit Medikamenten werde wohl europaweit nicht so streng zu regeln sein, wie bisher in Deutschland, machte er deutlich.
Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt werde sich in Brüssel außerdem für eine EU-weit einheitliche Antibiotika-Minimierungsstrategie einsetzen. „Wenn es dazu kommt, kann es auch in Deutschland wieder Veränderungen geben – eine einheitliche EU-Lösung ist uns lieber,“ sagte Kühnle.

Wie also das Antibiotika-Monitoring in fünf Jahren aussieht, ist offen.

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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