Colistin gilt in der Humanmedizin inzwischen als Notfallantibiotikum. Deshalb wächst der Druck auf die Tierärzte, es bei Nutztieren deutlich reduziert einzusetzen – auch wenn EU-Behörden die Resistenzsituation bisher noch auf „niedrigem Level“ sehen. (aktualisiert: 12.3.2017)
von Jörg Held
Das Antibiotikum Colistin gerät immer mehr in den Fokus staatlicher Regelungen. Dänemark führt aktuell für Colistin einen Straffaktor ein: Im Dänischen „Gelbe-Karten-System“ zur Antibiotikareduzierung wird ein Colistin-Einsatz dann zehnmal so hoch bewertet, wie etwa Penicillin. Auf Druck aus der Humanmedizin soll Colistin auch in Deutschland bei der anstehenden Neufassung der tierärztlichen Hausapothekenverodnung (TÄHAV) in die Gruppe der kritischen Antibiotika aufgenommen werden, die restriktiver angewendet werden müssen und für die ein Resistenztest Vorschrift ist.
Resistenzlage in Europa „niedrig“
Insgesamt sieht der aktuelle EFSA/ECDC*-Antibiotikaresistenzbericht die bei Nutztieren nachgewiesenen Colistinresistenzen (Salomellen und E.coli) zwar auf einem „niedrigen Level“. Allerdings liegen dem Bericht für Colistin, das seit neuestem auch zu den kritischen Antibiotika zählt, bislang nur Monitoringdaten aus wenigen Ländern zugrunde. Die Wissenschaft war bis vor kurzem nämlich davon ausgegangen, dass eine Colistinresistenz nicht übertragbar sei, weil sie fest im Chromosom einzelner Bakterien verankert ist.
Neue mobile Resistenzgene entdeckt
Doch seit 2015 wurden weltweit neue, mobile Colistinresistenzgene (mcr-1 und mcr-2) nachgewiesen. Deshalb haben Die EU-Behörden 2016 Reduktionsziele für den Colistin-Einsatz (siehe übernächster Absatz) vorgegeben und beobachten die Resistenzlage sehr aufmerksam. Diese Entwicklung bilden die vorliegenden Monitoring-Daten noch nicht vollständig ab.
So liegen im 2015er Bericht für Salmonellen nur Colistin-Daten aus fünf Ländern vor. In den Niederlanden, ist der Anteil an resistenten Bakterien mit 16,9% deutlich höher als in den anderen vier Ländern (0 – 2,9%). In Holland hat man aber auch nur Proben von S. Enteritidis untersucht, denen schon immer eine höhere Colistinresistenz zugeordnet wurde.
Bei den E. coli Isolaten von Masthähnchen und Puten liegt die durchschnittliche Resistenzrate im EU-Bericht bei 0,9 beziehungsweise 7,4 Prozent, bei Mastschweinen bei 0,4 und bei Kälbern bei 0,9 Prozent. Insgesamt sei das ein „niedriges Level“.
Colistinresistenzen in Deutschland
In Deutschland ist der Anteil Colistin resistenter Keime leicht rückläufig. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) nennt für den Zeitraum 2010 bis 2015 die höchsten Anteile Colistin-resistenter Keime für E. coli bei Puten- (11,7 %) und Hähnchenfleisch (6,0 %). Bei Isolaten aus der Schweinefleischkette (1,4 %) und Kalbfleischkette (1,8 %) wurde eine Colistin-Resistenz seltener beobachtet. Bisher gab es keinen Resistenznachweis bei Zuchtgeflügel, in der Rindfleischkette sowie bei Milchprodukten. Von den E. coli-Isolaten, die sich bei der Resistenztestung als Colistin-resistent erwiesen, trug die Mehrheit das neu entdeckte übertragbare Gen mcr-1.
Bisher sagen die Daten aber, dass die mobilen Gene in den Proben zwar seit Jahren vorhanden, die Colistin-Resistenzraten in dieser Zeit aber nicht gestiegen, sondern sogar leicht rückläufig sind. Es wird aber weiter untersucht, wie häufig und auf welche Keime die mobilen Resistenzgene tatsächlich übertragen werden.
EU: Reduzierungsvorgaben für Deutschland
In Deutschland haben Tierärzte und Landwirtschaft den Colistineinsatz seit 2011 von 127 auf 82 Tonnen in 2015 (aktuellster Erfassungszeitraum) deutlich reduziert. 2016 hat die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) Colistin neu bewertet: Sie empfiehlt den Mitgliedsstaaten jetzt, den Einsatz im Jahr 2017 auf 5 mg/PCU* zu senken. Für Deutschland entspräche das etwa einer Menge von 60 Tonnen. (*PCU = Population Correction Unit – errechnet sich aus dem Gewicht der jeweiligen Nutz- und Schlachttierarten eines Landes)
Die EMA „ermutigt“ die Mitgliedsstaaten sogar zu noch schärferen Reduktionszielen und zwar zu einer Senkung auf bis zu 1 mg/PCU. Dabei soll es – und darauf weist die EMA ausdrücklich hin – keine Mengensteigerung bei anderen Antibiotika geben.
Zur Neubewertung des Antibiotikums Colistin gibt es hier auch eine Einordnung im Deutschen Tierärezteblatt
Bedeutung von Colistin für die Humanmedizin
Weil es erhebliche Nebenwirkungen hat (Schädigung der Nieren oder des Nervensystems), wurde das vergleichsweise alte Antibiotikum Colistin lange Zeit selten in der Humanmedizin eingesetzt. Bei Tieren hat es keine Nebenwirkungen und wurde häufig bei Magen-Darmerkrankungen (Geflügel/Schwein) verordnet.
Inzwischen gilt Colistin aber als wichtiges Notfallantibiotikum für die Behandlung von schweren Infektionen mit gramnegativen Keimen beim Menschen – wenn diese gegen die meisten üblicherweise eingesetzten Antibiotika einschließlich der Carbapeneme resistent sind. Noch ist die Zahl der Infektionen mit solchen Keimen in Deutschland gering. Die Bedeutung von Colistin steigt aber in dem Maße, in dem sich Carbapenemresistenzen in der Humanmedizin ausbreiten – was aktuell der Fall ist (Status 2015 siehe Tabelle unten). Deshalb drängt die Humanmedizin auf einen reduzierten Einsatz in der Tiermedizin.
Mehr Informationen aus dem EFSA/ECDC-Report: Warum die EU vor Carpabenemresistenzen warnt und was das mit Nutztieren zu tun hat