Antibiotika-Therapiehäufigkeit: Was die sinkenden Zahlen bedeuten

Die Tabelle stellt die bundesweiten Therapiehäufigkeiten des 2. Halbjahres 2014 und des 1. Halbjahres 2015 gegenüber. (Quelle: BVL)Die Tabelle stellt die bundesweiten Therapiehäufigkeiten des 2. Halbjahres 2014 und des 1. Halbjahres 2015 gegenüber. (Quelle: BVL)

Die neuen Therapiehäufigkeitszahlen für den Antibiotikaeinsatz im 1. Halbjahr 2015 liegen vor. Doch was kann man daraus ablesen und was nicht? Eine Erkenntnis: Die Tierhalter setzen im Bundesdurchschnitt weniger Antibiotika ein. Die Kennzahlen sinken fast alle. 

(jh) – Zum zweiten mal haben die Behörden die Zahlen zur Therapiehäufigkeit, also einen mathematischen Vergleichswert für den betrieblichen Antibiotikaeinsatz in der Nutztierhaltung veröffentlicht. Wie muss man die Zahlen „lesen“, was lässt sich daraus ableiten und was nicht? Eine Erklärung:

Die Tabelle stellt die bundesweiten Therapiehäufigkeiten des 2. Halbjahres 2014 und des 1. Halbjahres 2015 gegenüber. (Quelle: BVL)

Die Tabelle stellt die bundesweiten Therapiehäufigkeiten des 2. Halbjahres 2014 und des 1. Halbjahres 2015 gegenüber. (Quelle: BVL)

Wem nutzen die Zahlen?

Zuallererst den Tierhaltern selbst, aber auch den behandelnden Tierärzten. Veröffentlicht werden hier die bundesweiten Kennzahlen zur Therapiehäufigkeit. Jedem Tierhalter teilt das federführende Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) vorab für seine gehaltene Tierart eine betriebsindividuelle Kennzahl mit. Jetzt kann er sich mit den bundesweiten Zahlen vergleichen und so feststellen: Setze ich mehr oder weniger Antibiotika ein als andere Tierhalter meiner Nutzungsart.
Auch die zuständigen Aufsichtsbehörden können die Werte einsehen und entsprechend handeln (siehe unten: Konsequenzen).

Was können die Zahlen NICHT aussagen?

Die Kennzahlen ermöglichen keine Aussage über die durchschnittliche Anzahl der Behandlungstage pro Tier je Halbjahr und sind auch nicht geeignet, einen Vergleich der Anwendungshäufigkeiten zwischen den einzelnen Tier- und Nutzungsarten zu beschreiben, betont das BVL.
Aus der Tabelle lässt sich also NICHT ablesen, dass Putenhalter fast 23 mal soviel Antibiotika wie Schweinehalter einsetzen. Die Therapiehäufigkeit ist ein mathematischer Wert und keine Mengenangabe (siehe unten: Wie entstehen die Zahlen).

Was ergibt sich aus dem Vergleich der bisherigen Erfassungszeiträume?

Die Kennzahlen sinken fast alle. Das bedeutet: Die Tierhalter senken den Antibiotiakaeinsatz. Trotzdem kann das für einige Tierhalter bitter sein: Selbst wenn sie ihren Einsatz deutlich – zum Beispiel um fast ein Drittel – reduziert haben, können sie immer noch vergleichsweise „schlecht“ dastehen, weil auch die anderen Tierhalter weniger Medikamente eingesetzt und damit die „Grenzwerte“ insgesamt sinken. Ein Beispiel:

Ein Mastschweinehalter lag in Q2/2014 mit 9,6 noch knapp über der damaligen „Kennzahl 2“.
Er hat sich aber bemüht seinen Medikamenteneinsatz zu reduzieren und dies auch erreicht, so dass er jetzt eine Kennzahl von 6,6 hat.
Trotzdem zählt er weiter zu den 25 Prozent der Betriebe im letzten Quartil und muss mit einem Maßnahmenplan weiter reduzieren, denn:
In Q1/2015 ist auch die bundesweite „Kennzahl 2“ von 9,5 auf 6,5 gesunken.

Hier wird sehr gut das Prinzip dieses Antibiotikaminimierungskonzeptes sichtbar: Der Antibiotikaeinsatz in der Nutztierhaltung soll kontinuierlich Schritt für Schritt weiter reduziert werden. Dies geschieht, weil die „Grenzwerte“ durch erfolgreiche Reduzierung immer niedriger werden und so stetige Verbesserungen von den Tierhaltern verlangen. Die Laufzeit des Monitorings ist deshalb auch auf fünf Jahre angelegt, so dass insgesamt zehnmal Halbjahreswerte ermittelt werden. Danach bewertet Gesetzgeber die Ergebnisse und entscheidet, wie weiter verfahren werden soll.

Wie sind die Zahlen zu bewerten?

Deshalb ist es jetzt – nach dem zweiten vom zehn Erfassungszeiträumen – (noch) nicht zielführend, schon Schlussfolgerungen über Erfolg und Misserfolg oder das „Potential“ an Reduzierungen zu ziehen.
Es ist auch nicht zulässig zu sagen, die x-tausend Nutztierhalter, die über der „Kennzahl 2“ liegen, seien „notorische Vielverbraucher“. Bei jeder neuen Erfassung in den nächsten vier Jahren werden immer 25 Prozent der Betriebe in diesem letzten Quartil liegen – das ist mit der Systematik des Gesetzes und der Berechnung vorgegeben und so gewollt.
Liegen Betriebe aber dauerhaft im letzten Quartil, müssen sie erklären, warum sie im Vergleich mit anderen schlechter abschneiden. Hoftierarzt und Behörde müssen dies dann bewerten und Abhilfe schaffen.

Gerade die Hoftierärzte sollten allerdings auch offensiv gegenüber den Behörden ihre Verordnungen erklären: So kann zwar der Einsatz sogenannter „Reserveantibiotika“ die Therapiehäufigkeit senken, da diese Wirkstoffe weniger „Behandlungstage“ brauchen. Das ist allerdings gesamtgesellschaftlich absolut unerwünscht.
Klassische Kombinations-Antibiotika dagegen werden gleich mit doppelter Behandlungszeit gewertet, weil sie zwei Wirkstoffe enthalten. Das erhöht die „Therapiehäufigkeit“, ist von den Tierhaltern also nicht gewünscht.
Die Kennzahl ist also nur ein Indikator und sagt zunächst nichts über die medizinische Qualität einer Behandlung aus.

Außerdem ist die Erfassungs-Systematik immer noch nicht ausgreift und die Datenlage nicht zu 100 Prozent sicher. Das zeigen die Werte aus der Kälbermast: 0,000-Werte sind unrealistisch, da praktisch immer Tiere erkranken und behandelt werden müssen und deshalb auch in den Kennzahlen auftauchen sollten.
Zum Vergleich: Das von QS organisierte Antibiotika-Monitoringsystem der privaten Wirtschaft hat etwa zwei Jahre gebraucht, um eine verlässliche Datenbasis aufzubauen.
(siehe dazu auch wir-sind-tierarzt.de-Bericht zum ersten Erfassungszeitraum hier und hier)

Wie entstehen die Zahlen?

Beispielrechnung mit der Berechnungsformel für die Therapiehäufigkeit. (© WiSiTiA)

Beispielrechnung mit der Berechnungsformel für die Therapiehäufigkeit. (© WiSiTiA)

Gemäß Arzneimittelgesetz müssen Tierhalter ab einer bestimmten Bestandsgröße halbjährlich die Bezeichnung der angewendeten Antibiotika, die Anzahl und Art der gehaltenen und behandelten Masttiere, die Anzahl der Behandlungstage sowie die insgesamt angewendete Menge von Antibiotika ihrer zuständigen Überwachungsbehörde melden. Aus den Meldungen ermittelt die Behörde mit nebenstehender Formel für jeden Betrieb und jede Nutzungsart einen betriebsindividuellen halbjährlichen Therapiehäufigkeitsindex.

Welche Konsequenz hat die Zahl?

Liegt der Betrieb über dem Median aller Betriebe (also über Kennzahl 1), muss der Tierhalter zusammen mit seinem Tierarzt die Ursachen dafür ermitteln und gegebenenfalls Maßnahmen ergreifen, die zur Reduzierung der Antibiotikaverwendung führen.

Liegt der Betrieb mit seiner betriebsindividuellen Kennzahl über dem dritten Quartil (der Kennzahl 2 – gehört also zu den letzten 25 Prozent der Tierhalter), muss der Tierhalter innerhalb von vier* Monaten nach Veröffentlichung der bundesweiten Kennzahlen einen schriftlichen Maßnahmenplan zur Senkung des Antibiotikaeinsatzes erarbeiten und diesen der zuständigen Überwachungsbehörde vorlegen. Die Behörde prüft den Plan und kann ggf. Änderungen anordnen und weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Hygiene, der Gesundheitsvorsorge oder der Haltungsbedingungen verlangen. Im Extremfall könnte sie das Ruhen der Tierhaltung anordnen.

Eine gute Übersicht, wie Tierhalter und Tierärzte mit den Kennzahlen und den Maßnahmenplänen verfahren sollten, hat das LAVES Niedersachsen hier veröffentlicht (Stand 5/2015).

Quellen:
BVL-Therapiehäufigkeitszahlen Q2/2014
BVL-Therapiehäufigkeitszahlen Q1/2015
Pressemeldung des Bundeslandwirtschaftsministeriums zu den Zahlen Q1/2015

*Korrektur: In einer vorherigen Version des Artikels war eine Drei-Monatsfrist genannt. Richtig ist: „binnen vier Monaten“ nach Veröffentlichung der bundesweiten Kennzahl muss der Maßnahmenplan bei der Behörde eingegangen sein.

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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