Es ist zunächst nur ein Halbsatz in einer Pressemeldung. Doch erstmals fordern Bündnis 90/Die Grünen darin „verbindliche Reduzierungsziele für den Antibiotikaeinsatz in der Humanmedizin“. Bisher sollte nur die Tiermedizin ihren Einsatz um mindestens 50 Prozent von 2012 bis 2018 reduzieren – jetzt auch die Humanmedizin bis 2020.
von Jörg Held
Wie hoch die geforderte Mengenreduzierung in der Humanmedizin bis wann (prozentual) ausfallen soll, schreiben der agrarpolitischen Sprecher, Friedrich Ostendorff, und die Sprecherin für Prävention und Gesundheitswirtschaft, Kordula Schulz-Asche, in ihrer gemeinsamen Pressemeldung nicht.
Auf Nachfrage von wir-sind-tierarzt.de teilte das Büro von Kordula Schulz-Asche mit, dass „etwa 30 Prozent der Verschreibungen in der Humanmedizin nicht adäquat sind“ (Quelle) und man „bis zu 50 Prozent der Antibiotikaverordnungen im ambulanten Bereich einsparen könnte“. Da es aber keine genauen Mengendaten aus der Humanmedizin gebe (Bandbreite allein der DAK-Angaben 300 bis 700 Tonnen) könne man keine Basis nennen. Zieltermin für eine Reduktion könne aber 2020 sein – das Zieljahr der Deutschen Antibiotika Resistenzstrategie 2020.
Reserveantibiotika für Tiermedizin verbieten
Eigentlich kritisert die gemeinsame Pressemeldung der Grünen Politiker erwartungsgemäß mit bekannten Positionen zunächst nur die aktuell vorgelegten Zahlen zum Antibiotikaeinsatz in der Tiermedizin 2014: Diese Medikamente würden vor allem in der Tiermast breitenwirksam eingesetzt, um strukturelle und hygienische Mängel zu kompensieren … Reserveantibiotika hätten in den Ställen nichts zu suchen, sie sollten der Humanmedizin vorbehalten werden.
Grüne ignorieren Reduzierungserfolge
Den Rückgang der in der Tiermedizin eingesetzten Antibiotika-Menge um 468 Tonen oder 28 Prozent binnen vier Jahren, erwähnen die beiden Politiker dabei nicht.
Und das, obwohl ihre eigene Partei immer wieder eine 50-Prozent-Reduzierung bis zum Jahr 2018 fordert– bezogen auf die 1.619 Tonnen im Basisjahr 2012. Fast die Hälfte dieser geforderten 809 Tonnen weniger hat die Tiermedizin in 2014 bereits erreicht (-381 Tonnen). Für die Jahre 2015/2016 werden weitere deutliche Mengenreduzierungen erwartet, denn dann greift das staatliche Antibiotikaminimierungs-Konzept.
Rückgang verschleiert Mehreinsatz?
Stattdessen erklären die Grünen die Antibiotika-Strategie der Bundesregierung für gescheitert: „Der generelle Rückgang verschleiert nur, dass jetzt in der Tiermedizin mehr sogenannte Reserveantibiotika eingesetzt werden, die eine bis zu 40 mal höhere Wirksamkeit aufweisen.“
Das ist soweit richtig und bekannt – trifft aber nur auf die Daten bis 2013 zu (siehe Tabelle). Seitdem ist in 2014 die Antibiotika-Gesamtmenge noch einmal um 214 Tonnen gesunken (-15% gegenüber Vorjahr). Die Menge der eingesetzten „Reserveantibiotika“, also der Cephalosporine der 3./4.-Generation und der Fluorchinolone ist nahezu gleich geblieben (+0,1 Tonnen).
Neu: Verbindliche Reduktionsziele für die Humanmedizin
Neu in der Grünen-Stellungnahme zu den Tier-Antibiotika-Zahlen – und womöglich ein Zeichen für einen zumindest teilweisen politischen Strategiewechsel – ist der zweite Focus der Pressemitteilung auf die Humanmedizin:
„Wir brauchen verbindliche Reduzierungsziele für den Antibiotikaeinsatz im Human- und Tierbereich, eine feste Zeitschiene zur Umsetzung der angekündigten Maßnahmen im ambulanten und stationären Bereich und stärkere Kontrollen.“
Derartige Vorgaben auch für die Humanmedizin festzuschreiben – in der Tiermedizin ist das durch die 17. AMG-Novelle bereits vorgegeben – entspräche auch eher der Realität, denn: Der Verbrauch an sogenannten „Reserveantibiotika“ liegt in der Humanmedizin bei etwa 300 Tonnen – in der Tiermedizin aktuell bei 16 Tonnen. Damit entfallen fast 50 Prozent der humanmedizinisch eingesetzten Antibiotika auf diese sogenannten „Reserveantibiotika“, Tendenz steigend – in der Tiermedizin sind es 1,3 Prozent.
Wissenschaftlicher Konsens ist es, dass mit der Menge der eingesetzten Antibiotika jeweils auch der Druck zur Resistenzbildung bei Bakterien steigt.