(jh) – „Nicht aussagekräftig“ seien die ersten Daten der staatlichen Antibiotika-Datenbank, findet ein Rechercheteam von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung. Die Zahlen seien ein „Desaster“ titelt Tagesschau.de, weil tausende Landwirte ihren Verbrauch nicht gemeldet hätten. wir-sind-tierarzte hat am 12. April bereits erklärt, wie die Behörden auf Datenfehler reagieren wollen. Sie halten die Zahlen grundsätzlich für „rechtlich belastbar“.
In NRW sollen etwa ein Fünftel der Tierhalter – also rund 2.300 von 11.000 meldepflichtigen Betrieben– nichts in die Datenbank eingetragen haben. In Schleswig-Holstein fehlen laut tagesschau.de Angaben von rund 40 Prozent (2.350 von 5.900 Tierhaltungen) und in Baden-Württemberg sogar von mehr als der Hälfte der Betriebe.
Nichtmelder verfälschen den Therapiehäufigkeitsindex
Wenn ein Landwirt keine Daten übermittelt, würde das automatisch so gewertet, als hätte der Betrieb keine Antibiotika eingesetzt. Dadurch sinkt der für Berechnung wichtige Durchschnittswert. Die Konsequenz daraus ist: Betriebe, die ordnungsgemäß gemeldet haben, gehören deshalb jetzt womöglich auf einmal zu den „Vielverbrauchern“ und müssen behördliche Sanktionen befürchten.
Eine Situation, die Tierhalter – und auch die Tierärzte, die sich für eine korrekte Dateneingabe stark gemacht haben – sehr frustriert, heißt es aus dem Bundesverband praktizierender Tierärzte (bpt).
Kennzahlen sind rechtlich belastbar
Der erste Erfassungsdurchgang sehen die Behörden dennoch nicht als „Probelauf“. Die Zahlen seien trotz aller Mängel gültig und rechtlich belastbar. Das erklärte zumindest der Koordinator der Länderarbeitgsruppe zur Datenerfassung, Dr. Jürgen Sommerhäuser, am 21. April auf dem BbT-Kongress in Bad Staffelstein (siehe Foto).
Auch die Bundesregierung hält das Erfassungssystem für „belastbar“. Bernhard Kühnle, Leiter der Abteilung Tiergesundheit beim Bundeslandwirtschaftsministerium, betonte gegenüber tagesschau.de, einen fehlerfreien Start habe man nicht erwarten können, aber „wenn es jetzt richtig vollzogen wird, wird es auch unmittelbar zu einer Senkung des Arzneimitteleinsatzes führen, und das ist das Hauptziel“.
Nicht- oder Falscheingabe ist eine Ordnungswidrigkeit
Die Behörden werden also auf diese ersten Einstufungen der Betriebe ihre Überwachungsprioritäten aufbauen. Dabei räumte Dr. Arno Piontkowski, Leiter des Referates Tierseuchen im NRW-Landwirtschaftsministerium ein, man werde die Ergebnisse des ersten Erhebungszeitraumes mit einer gewissen Vorsicht bewerten. Zumindest in NRW werden die Behörden nicht nur dann aktiv, wenn ein Tierhalter über der “Kennzahl 2″ liegt – also mehr Antibiotika einsetzt, als die verbliebenen 75 Prozent der anderen Betriebe. NRW plant zusätzlich, einen “Kontrollschwerpunkt” auch auf die Dateneingabe zu legen: Also nachzuprüfen, ob überhaupt gemeldet wurde und ob dies korrekt geschah – und fehlende oder Falscheingaben auch zu ahnden. Aufgrund der großen Nichtmelderzahlen können das aber nur Stichproben sein.
Bundesländer sehen „Kinderkrankheiten“
Das ARD-Rechercheteam hatte bei den Bundesländern Angaben zur Antibiotika-Dateneingabe abgefragt. Dabei teilte etwa Sachsen-Anhalt mit, man wüsste nicht, wie viele Landwirte Angaben zum Antibiotika-Einsatz machen müssen. Auch die Brandenburger Behörden können bislang überhaupt keine „gesicherten Daten“ liefern. Ein Sprecher des Ministeriums sagte, „Kinderkrankheiten in der Datenerfassung“ müssten noch behoben werden. In Bayern und Sachsen teilten die Landesministerien mit, sie hätten keinen Zugriff auf die Zahlen. In Niedersachsen dagegen – einer Hochburg der deutschen Schweine- und Geflügelhaltung – würden die Zahlen plausibel erscheinen. Allerdings liefen noch Überprüfungen. Der WDR meldet, dass von 15.300 Betrieben 2.300 keine Eintrag vorgenommen hätten.
TV-Berichte
Video: WDR/Aktuelle-Stunde (Fallbeispiele ab Minute 22 bis Min. 25) – Anmoderationstext: „Kübelweise Antibiotika/Flächendeckender Abwurf von Antibiotika“
Video: NDR/Panorama 3: Antibiotika-Zahlen nicht zu gebrauchen – Anmoderation: „Antibiotikarückstände im Fleisch sorgen für Schlagzeilen“ – Beitrag kritisiert die aggressiven Sanktionsandrohungen von Niedersachsen auf Basis möglicherweise falscher Zahlen
Quellen:
eigene Recherchen
Bericht von tagesschau.de
Beitragsbild: Screenshot/Montage tagesschau.de