Wer setzt welche Antibiotika wo ein? Je stärker das Problem der wachsenden Antibiotikaresistenzen in der Humanmedizin, desto drängender die Frage: Wie geht die Tiermedizin mit Antibiotika um? Die Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) versucht den Antibiotikaeinsatz in ihren Mitgliedsstaaten weltweit zu erfassen. Mit einigen interessanten Erkenntnissen zu Leistungsförderern und Wirkstoffklassen.
von Annegret Wagner und Jörg Held
Dieser erste Bericht der OIE (Weltorganisation für Tiergesundheit) zum Einsatz von Antibiotika bei Tieren (PDF-Download hier) enthält zwar keine Mengenangaben. Aber er gibt einen Überblick, welche Wirkstoffe bei Tieren wo in der Welt am häufigsten eingesetzt werden.
Antibiotika als Leistungsförderer: Rückgang und dennoch zu viel
Eine zentrale Frage lautet: Welche Staaten erlauben Antibiotika noch als Leistungsförderer in der Tiermast? In Deutschland und der EU ist sie beantwortet. Seit 2006 sind antibiotische Leistungsförderer in der Tiermast verboten. Weltweit sind es aber immer noch 34 Staaten, die einen solchen Einsatz erlauben und wohl für nötig befinden. Allerdings haben nur 130 der 180 OIE-Mitgliedstaaten überhaupt auf die Frage nach Leistungsförderern geantwortet.
Dennoch ist das im Vergleich zum Jahr 2012 eine Verbesserung. Damals hatten erst 77 Länder antibiotische Leistungsförderer verboten, jetzt sind es immerhin 96.
Diese Zahlen zeigen aber auch, wo tatsächlich politischer Handlungsbedarf besteht – insbesondere wenn man auf die Wirkstoffklassen blickt, die in den Länder als Leistungsförderer erlaubt sind (siehe Grafik unten).
Welche Wirkstoffe werden als Leistungsförderer eingesetzt?
25 Länder haben der OIE mitgeteilt, welche Antibiotikagruppen bei ihnen als Leistungsförderer zugelassen sind. Am häufigsten waren es mit jeweils 16 Zulassungen Tylosin und Bacitracin, gefolgt von Avilamycin und Flavophospholipol.
In zehn der 25 antwortenden Ländern ist auch das Polypeptidantibiotikum Colistin noch zur Leistungsförderung in der Nutztierhaltung zugelassen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) aber stuft diesen Wirkstoff inzwischen explizit als „Reserveantibiotikum“ für Notfälle in der Humanmedizin ein. (Warum, lesen Sie hier)
Schlüsselt man die Anteile der Mitgliedsstaaten nach Gebieten auf, dann führen Nord- und Südamerika die unrühmliche Statistik an. In immerhin 15 von 19 erfassten Länder sind hier antibiotische Leistungsförderer erlaubt
Dahinter folgt die Region Asien mit elf der erfassten 26 Länder und Afrika mit 7 von 44 Ländern.
In Europa erlaubt noch ein Nicht-EU-Staat von 36 meldenden Ländern Leistungsförderer.
Im Mittleren Osten sind sie in keinem der fünf Länder, die Angaben machten, zugelassen.
(wir-sind-tierarzt.de hat die Prozentzahlen aus dem Bericht in „Länder“ umgerechnet, die OIE gibt die Länder in % an)
Tiermedizin setzt weltweit auf „alte“ Antibiotika
Eine zweite wichtige – positive – Erkenntnis dieser ersten OIE-Auswertung lautet: Weltweit setzt die Tiermedizin eher auf „alte“ Antibiotikaklassen. Eine Aufschlüsselung aus allen 89 Ländern, die hierzu Daten an die OIE liefern konnten, zeigt:
- Tetrazykline kommen weitaus am häufigsten zum Einsatz (48 Prozent),
- gefolgt von Makroliden (15 Prozent)
- sowie Sulfonamiden (einschließlich Trimetoprim) und Penicillinen mit jeweils sieben Prozent.
- Die Fluorquinolone machen weltweit gesehen rund vier Prozent der Anwendungen aus und Cephalosporine aller Generationen etwa ein Prozent.
Auch hier zeigt eine Aufschlüsselung nach Kontinenten/Regionen ein unterschiedliches Bild:
- In den afrikanischen OIE-Mitgliedsländern werden im wesentlichen sechs Wirkstoffklassen eingesetzt, nämlich Tetrazykline (63 Prozent), Makrolide (17 Prozent), Fluorquinolone (6 Prozent), Polypeptide (u.a. Colistin / 4 Prozent), Penicilline (3 Prozent) und Aminoglykoside (1 Prozent).
- In Nord- und Südamerika ist die Breite an eingesetzten Wirkstoffen größer, doch auch hier dominieren Tetrazykline (43 Prozent) und Makrolide (19 Prozent), gefolgt von Penicillinen (7 Prozent), Sulfonamiden (6 Prozent) und Polypeptiden (u.a. Colistin / 5 Prozent).
- In Europa dominieren ebenfalls Tetrazykline (34 Prozent), doch auf Platz zwei liegen Penicilline (25 Prozent), gefolgt von Sulfonamiden mit rund 14 Prozent. Der Polypeptidanteil (u.a. Colistin) liegt bei 6 Prozent.
Die in Europa als „für die Humanmedizin kritisch“ eingestuften Makrolide kommen hier erst an vierter Stelle (7 Prozent); die als besonders schützenswerte geltenden Fluorquinolone und Cephalosporine (aller Generationen) werden mit zwei beziehungsweise einem Prozent der Verbräuche ebenfalls deutlich seltener eingesetzt als im Rest der Welt. - In der Region Asien wiederum spielen Sulfonamide (32 Prozent) die wichtigste Rolle, gefolgt von Tetrazyklinen (17 Prozent) und Penicillinen (8 Prozent). In dieser Region ist ein relativ hoher Einsatz von Fluorquinolonen bemerkenswert (7 Prozent). Dafür werden Cephalosporine so gut wie nicht verwendet.
Die Prozentzahlen vermitteln aber nur ein relatives Bild, da die OIE keine absoluten Mengenangaben zum Antibiotikaeinsatz macht. Die Princeton University hatte die weltweit eingesetzte Menge für 2010 mit rund 63.000 Tonnen beziffert (siehe Grafik/Quelle). Der deutsche Anteil heute läge nach einer drastischen Mengenreduzierung noch bei 805 Tonnen (2015) oder 1,3 Prozent.*
Methodik: Daten nicht immer vergleichbar
Die OIE hat an alle 180 Mitgliedsstaaten einen Fragebogen verschickt. 130 Staaten haben auf die Anfrage geantwortet und 89 Länder konnten Informationen über den Antibiotikaeinsatz zwischen 2010 und 2015 zur Verfügung stellen. Eine wirklich präzise Auswertung ist aber nicht möglich. Schon innerhalb der EU werden die Daten nicht einheitlich ermittelt, entsprechend größer sind die Unterschiede dann weltweit. So haben in den Staaten die verschiedensten Institutionen den Einsatz erfasst. Einige Länder stützen sich auf Importmengen von Medikamenten beziehungsweise Rohstoffen, andere nahmen die Verkaufszahlen der Pharmaindustrie als Grundlage oder Angaben der Apotheker. Nur wenn Daten der praktizierenden Tierärzte und/oder anwendenden Landwirte vorlagen, war auch eine Unterscheidung nach Tierarten möglich.
wir-sind-tierarzt.de meint:
(aw/jh) – Schade, dass diese OIE-Auswertung (noch?) keine Mengenangaben zum weltweiten Antibiotikaeinsatz bei Tieren macht. Es würde verdeutlichen, wo Politik wirklich handeln muss. Gerade erst haben die EU-Behörden eine Untersuchung vorgelegt, die einen Zusammenhang von eingesetzter Menge und Resistenzbildung sieht (PDF-Download hier).
63.151 Tonnen – dies sei die Menge der 2010 weltweit pro Jahr bei Tieren eingesetzten Antibiotika gewesen, sagt dieser Artikel. Auf Europa entfallen davon 14 Prozent. Die aktuellen Zahlen aus Deutschland entsprächen einem Anteil von knapp 1,3 Prozent (805 Tonnen/2015).
Abgefragt – das zeigen die Umrechnungswerte im Anhang der vorliegenden OIE-Auswertung – hat auch die OIE die Mengen. Bleibt die Frage, wann sie diese veröffentlicht?
Trotzdem liefern die OIE-Daten drei wichtige Erkenntnisse:
Erstens: Es erlauben immer noch viel zu viele Staaten den Missbrauch von Antibiotika als Leistungsförderer in der Tiermast – insbesondere in Nord- und Südamerika. Hier muss Politik dringend global handeln – zumal auch therapeutisch wichtige Antibiotika so völlig unnötig eingesetzt werden (siehe Grafik oben).
Zweitens: Weltweit setzt die Tiermedizin in erster Linie immer noch die eher alten Antibiotika ein. Daraus kann man aber auch schließen, dass Tetrazykline, Sulfonamide, Penicilline & Co, die schon seit über 50 Jahre im Einsatz sind, bei Tieren immer noch vergleichsweise gut wirken. Tierärzte sollten diese Wirkstoffe also weiter wo immer möglich als erste Wahl verwenden – und die neueren Medikamente zurückhaltend einsetzen.
Ein Aspekt der vermutlich in Zukunft diskutiert werden müsste, ist die Frage: Entwickeln sich Resistenzen gegen einige Wirkstoffe (z.B. bei Colistin) nach parenteraler Gabe (bei Menschen häufig) eventuell schneller/anders als nach oraler Anwendung. Bei Nutztieren erfolgt weltweit die Antibiotikaapplikation ganz überwiegend oral – in rund 73 Prozent der Einsätze, sagt die OIE.
Drittens: Es ist weder für die Resistenzentwicklung noch den Tierschutz zielführend, die Nutztierhaltung aus Europa heraus in andere Teile der Welt zu verlagern.
Unbestritten ist: Deutschland und die EU können und müssen als hochentwickelte Nationen bei der Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes weiter eine Vorreiterrolle übernehmen. Sie müssen zeigen, dass und wie es geht, mit so wenig Antibiotika wie nötig so gesunde (lebensmittelliefernde) Tiere wie möglich zu halten – und sie tun das auch. Das belegen die Daten über einen kontinuierlichen und deutlichen Rückgang des Antibiotikaeinsatzes in Europa (für Deutschland etwa hier und hier).
Umgekehrt zeigen die weltweiten OIE-Daten aber auch: Insbesondere Amerika und Asien verschaffen sich durch unverantwortlichen Einsatz von Antibiotika als Leistungsförderer weiter einen Wettbewerbsvorteil in der Nutztierhaltung. Die Prognosen lauten: Insbesondere in Asien wird der Antibiotikaeinsatz sogar eher noch steigen.
So lange es der Politik nicht gelingt, hier Veränderungen durchzusetzen, kann es also zumindest mit Blick auf die Resistenzproblematik durchaus sinnvoll sein, das nachgefragte Fleisch in Europa/Deutschland mit einem deutlich geringeren Antibiotikaeinsatz zu erzeugen.
Hintergrund: Wie Deutschland den Antibiotikaeinsatz in der Tiermedizin reguliert
Deutschland hat drei Antibiotika-Erfassungsysteme für die Tiermedizin:
- Die staatliche Mengenerfassung (DIMDI – aktuellste Daten hier). Sie listet die von der Pharmaindustrie an Tierärzte abgegebenen Antibiotikamengen in Tonnen je Wirkstoff auf. Die Zahlen für 2016 werden Ende August/Anfang September erwartet. Seit 2011 gab es hier eine Mengenhalbierung von 1.706 auf 805 Tonnen
- Das staatliche Antibiotikamonitoring (aktuellste Daten hier), mit einer Meldepflicht der Antibiotikabehandlungen für Landwirte (die in der Regel an die Tierärzte delegiert ist). Die Behörden errechnen halbjährlich auf Basis dieser Daten bundesweite Kennzahlen zur Therapiehäufigkeit für Masttiere (Pute/Hühner/Schwein/Mastkälber). Zum Vergleich erhält jeder meldende Nuzttierhalter die Kennzahlen für seine(n) Betrieb(e) und kann seinen Behandlungsbedarf so einordnen (Benchmarking).
- Das privatwirtschaftliche QS-Antibiotikamonitoring. Hier geben die Tierärzte quartalsweise die Antibiotikabehandlungen von Geflügel und Schweine in eine Datenbank ein. QS errechnet hieraus sowohl die eingesetzten Mengen in Tonnen als auch einen Therapieindex.
Die aktuellsten Gegenüberstellung der staatlichen und privatwirtschaftlichen Kennzahlen (Stand 2. Halbjahr 2016) finden Sie hier (PDF-Download).