Bayerischer Sonderweg zur Ferkelkastration: Lokale Betäubung durch den Landwirt

Bayerns Bauern fordern: Ferkelkastration nach lokaler Betäubung durch den Tierhalter erlauben. (Foto: © Initiative Massentierhaltung aufgedeckt)

Der Streit geht weiter: Was ist der „richtige“ Weg nach dem Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration ab 2019. Der Bayerische Bauernverband legt ein Rechtsgutachten vor, das als vierten Weg die lokale Betäubung erlauben will – und fordert den Medikamenteneinsatz durch die Tierhalter.

(jh) – Noch knapp 48 Monaten, dann ist ab Januar 2019 in Deutschland die betäubungslose Ferkelkastration verboten. Welche der momentan geplanten Alternativen – Kastration unter Narkose, reine Ebermast oder Ebermast nach Immunokastration per Impfung (Übersicht hier) – für welchen Betrieb die richtige sei, darüber streiten Politik und Verbände. „Keines der drei Verfahren ist aber für kleinere und mittlere Betriebe geeignet,“ beklagt der Bayerische Bauernverband (BBV) – und glaubt eine vierten Weg gefunden zu haben: Die Kastration unter örtlicher Schmerzausschaltung insbesondere mit Lidocain – dass aber ist in Deutschland nicht für Schweine zugelassen, wird jedoch bereits in Schweden eingesetzt.

Gutachten: Narkose nicht notwendig

Belegen soll diesen Ansatz ein Gutachten des in Agrarstreitfragen bekannten Rechtsanwaltes Dr. Wolfgang Hansen (Ergebnisse hier / PDF-Download). Das hatte der BBV gemeinsam mit zahlreichen Organisationen aus Landwirtschaft, Schlachtwirtschaft, Vermarktung und Handel in Auftrag gegeben. Hansen stellt in dem Gutachten fest:

  • Die chirurgische Ferkelkastration sei nach wie vor rechtlich zulässig. Staatliche Organe könnten vom Tierhalter nicht verlangen, darauf zu verzichten, weil Alternativen bestünden.
  • Eine „Betäubung“ setze laut Tierschutzgesetz nicht zwingend eine Narkose oder Vollnarkose, sondern eine Schmerzausschaltung voraus. Auch eine örtliche Schmerzausschaltung könne ausreichend sein und müsse nicht das Bewusstsein ausschalten
  • Es gebe die veterinärmedizinische Auffassung, dass der mit dem Eingriff verbundene Schmerz geringer ist als die mit einer Betäubung verbundene Beeinträchtigung des Befindens des Tieres. Das sei aufgrund der veterinärmedizinischen Veröffentlichungen nicht abwegig. Dann sei eine Betäubung entbehrlich.
  • Das etwaige Erfordernis einer tiermedizinisch nicht durchführbaren Betäubung im Sinne einer Narkose würde den Tierarzt in der Berufsausübungsfreiheit und den Landwirt durch eine objektive Berufszugangsregelung verletzen. Das Staatsziel Tierschutz genieße keinen absoluten Vorrang vor anderen Grundrechten. Daher sind die Berufsfreiheiten von Tierarzt und Landwirt einschließlich deren ökonomischer Interessen zu berücksichtigen.
  • Einfuhrverbote für Tiere aus anderen Mitgliedsstaaten, die ohne Betäubung kastriert worden sind, sind verboten.

Lidocain-Einsatz: „Praktikabel und wirtschaftlich tragfähig“

Aus dem Gutachten leitet der bayerische Bauernpräsident Walter Heidl ab, dass sich mit der örtlichen Betäubung „ein tierschutzkonformer, praktikabler und wirtschaftlich tragfähiger Weg der Ferkelkastration eröffnet.“ Und zwar neben den „drei vom Bundeslandwirtschaftsministerium favorisierten, aber für süddeutsche Verhältnisse völlig unpassenden Methoden.“ (Bericht des BMEL zum Stand der Verfahren hier / PDF-Download)
„Aus tierärztlicher Sicht könnte mit einer örtlichen Betäubung ein deutlicher Vorteil in Sachen an Tierschutz verbunden sein – auch und gerade im Vergleich zu einer Vollnarkose“, ergänzt Dr. Andreas Randt, tierärztlicher Leiter beim Tiergesundheitsdienst Bayern. „Außerdem ist diese Methode auch für kleinere und mittlere Betriebe umsetzbar.“

Lesen Sie auch: Was Tierärzte wollen – Positionen zur Ferkelkastration

Sonderfall Schweinefleischmarkt Süddeutschland?

Bayern drängt aufgrund regionaler Gegebenheiten auf diesen vierten Weg: 90 Prozent der Ferkelerzeuger in Süddeutschland halten 250 Sauen oder weniger. Eberfleisch könne im Süden wegen der speziellen Vermarktungswege (Metzgermarkt/Schlachthofstruktur) langfristig kaum über 10 bis 20 Prozent Marktanteil erreichen. Gleichzeitig gebe es bei Verbrauchern und Handelspartnern nahezu keine Akzeptanz für die Immunokastration. Das bedeute, dass in Süddeutschland die große Mehrheit der männlichen Ferkel auch nach 2019 tierschutzgerecht kastriert werden müssten. Ansonsten gebe es einen Strukturbruch in der süddeutschen Ferkelerzeugung, die kleinen Betriebe müssten aufgeben, sagt eine LfL-Studie.

Forschungsgelder für lokale Betäubungsverfahren

Das Bundeslandwirtschaftsministerium hatte in seinem Situationsbericht zur Ferkelkastration auch geschrieben: „Sollten sich Ansätze abzeichnen, die den Erfordernissen des Tierschutzes, der Arzneimittelsicherheit und des Verbraucherschutzes Rechnung tragen, ist die Bundesregierung bereit, die Entwicklung solcher Verfahren zu unterstützen.“ Darauf berufen sich die Bayern und fordern, bis 2019 von den derzeit noch verfügbaren rund zwölf Millionen Euro Forschungsmitteln auch Gelder bereitzustellen, um „Verfahren zur örtlichen Betäubung durch den Landwirt und eine Zulassung von wirkungsvollen und bewährten Lokalanästhetika für den Nutztierbereich“ weiterzuentwickeln.

Alle Berichte zur Debatte um die Ferkelkastration finden Sie hier

Quellen:
Pressemeldung Bayerischer Bauernverband zum „vierten Weg“ (13.1.2017 – PDF-Download)
Ergebnisse „Rechtsgutachten Hansen“ (13.1.2017 – PDF-Download)
Folgenabschätzung Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration – bay. Landesanstalt für Landwirtschaft et al (11/2016 – PDF-Download)

Weiterführende Quellen mit Vergleich der Verfahren und/oder wirtschaftlicher/medizinischer Einordnung:
Bericht der Bundesregierung zum Stand der Entwicklung alternativer Verfahren zur Ferkelkastration (11/2016 – PDF-Download)
„Ausstieg aus der Ferkelkastration“ – Situationsanalyse des QS-Systems mit Marktbetrachtung und Kundenbefragung (11/2016 – PDF-Download)
Bewertung der verschiedenen Verfahren aus Tierschutzsicht (Tierschutzbeauftragte Baden-Württemberg 8/2016 – PDF-Download)
Bewertung der Betäubungsverfahren zur Ferkelkastration – (Initiative tiermedizinische Schmerztherapie 8/2016 – PDF-Download)

Beitragsbild: © Initiative Massentierhaltung aufgedeckt

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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