Grünen-Vorwurf: Tierärzte steigen auf „harte Antibiotika“ um

Das Wort vom „Tierarzt als Dealer“ hat Jürgen Trittin 2013 in die Welt gesetzt. Seitdem juckt es die Grünen wohl immer mal wieder, diese Assoziation herzustellen: „Man dürfe nicht von weichen auf harte Antibiotika“ umsteigen, formulierte jetzt Niedersachsens Landwirtschaftsminister Christian Meyer.

ein Kommentar von Jörg Held

Zwei Dinge ärgern mich in der – unbedingt notwendigen – Debatte um den – unbedingt weiter zu verbessernden – Antibiotikaeinsatz in der Tiermedizin:
Vergiftete Formulierungen und politische Forderungen, die in ihrer Absolutheit weder realistisch noch sachlich, geschweige denn berechtigt sind.

Es sind scheinbar „herausgerutschte“ Formulierungen, wie diese,

„Es darf nicht sein, dass man jetzt von weichen zu harten Antibiotika, auf Reserveantibiotika der 3./4. Generation umsteigt“ (Interview mit Christian Meyer / Radio Bremen ab ca. Min 2:00)

die aus meiner Sicht „vergiftet“ sind. Hängen bleibt, das Tierärzte etwas illegales „Hartes“ einsetzen – eine Drogenassoziation.

Ewig grüßt der Drogendealer

Irgendwie habe ich das Gefühl, solche Sprachbilder werden systematisch, auf jeden Fall bewusst eingesetzt. Jürgen Trittin hatte im Bundestags-Wahlkampf 2013 erstmals* vom „Drogenhandel im Stall“ gesprochen und Tierärzte als „Dealer“ bezeichnet. Solche Sätze wirken lange nach. Wohl auch deshalb hat DIE ZEIT 2014 einen Artikel in einer Serie über Resistenzen mit der Überschrift „Der Tierarzt als Dealer“ angekündigt.
Und natürlich greift auch Radio Bremen den Begriff der „harten Antibiotika“ heraus, um online das Meyer-Radiointerview anzuteasern. Die Assoziation ist also angekommen.

Bund soll „Reserveantibiotika für Massentierhaltung vom Markt nehmen“

Und diese Missbrauchs-Assoziation wird – auch in diesem Meyer-Interview – verknüpft mit einem zweiten undifferenzierten politischen Kampfbegriff: Dem der „Reserveantibiotika“, den ich in dieser „Goldreserven-änlichen“-Formulierung nur in Deutschland höre (siehe auch: Die Welt keine Reserveantibiotika).
Es gibt eine ganze Reihe von Antibiotika, die sind und bleiben der Humanmedizin vorbehalten. Sie sind für die Tiermedizin schlicht nicht zugelassen und werden es auch nicht. Punkt.
Und es gibt Antibiotika die für Human- und Tiermedizin zugelassen sind. Für mich ist und bleibt es unredlich, um diese Stoffgruppen ein Angstszenario „als letzte für Menschen verbleibende therapeutische Mittel“ aufzubauen. Konkret geht es (meist) um Fluorchinolone und Cephalosporine der 3./4. Generation: Sie machen inzwischen fast 50 Prozent der humanmedizinischen Antibiotikaverordnungen (300 Tonnen) aus – aber nur 1,3 Prozent der tiermedizinischen (16 Tonnen). Sie bei dieser im Humanbereich eingesetzten Menge als „letzte Reserve für den Menschen“ (Zitat Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter) zu bezeichnen und verbal der Tiermedizin einen Missbrauch sowie die Hauptverantwortung für Resistenzbildung gegen diese Wirkstoffe zuzuschieben, empfinde ich als bewusste politische Falschaussage. Ich hab schon fluorchinolonhaltige Augentropfen bei einem Gerstenkorn verschrieben bekommen. Nein, mein Leben war nicht in Gefahr.

Aber gerade Grüne Politiker stellen mit dieser Reserve-Assoziation gebetsmühlenartig politische Forderungen auf, von denen ein Minister eigentlich wissen müsste, dass sie in dieser radikalen Formulierung Unsinn sind: Der Bund soll jetzt „bestimmte Reserveantibiotika für die Tierhaltung und besonders für die Massentierhaltung vom Markt“ nehmen, fordert Christian Meyer mitten im Sommerloch im Radio. „Stündlich“ erwarte er „vom Bund eine Liste, dass es bestimmte Medikamente nur noch für den Menschen geben darf“.

Sorry. Solche „Vom-Markt-nehmen“-Sätze haben rein gar nix mit dem auch von Niedersachsen und anderen Grün-mitregierten Ländern mitgetragenen Bundesratsbeschluss zu tun, der von der Bundesregierung eine differenzierte Auflistung von Antibiotikagruppen fordert, deren Einsatz in der Tiermedizin fachlich(!) reglementiert werden soll.

Weniger Antibiotika – doch so recht kommt keine Freude auf?

Wenn ich also solche Radio-Interviews höre oder auch die Grüne Pressemeldung zu den sogenannten DIMDI-Zahlen lese, beschleicht mich das Gefühl: Die Grünen-Agrarpolitiker haben fast Angst vor einem Erfolg der Antibiotika-Minimierungskonzepte: Tonnenreduzierung schön und gut, das war gestern – aber schlimmer sind jetzt die „Reserveantibiotika“?
Jedenfalls spüre ich irgendwie keine rechte Freude in der Stimme von Christian Meyer, selbst wenn er „erfreulicherweise“ sagt und erklärt, man habe die Antibiotika-Gesamtmenge in der Tierhaltung schon um 25 Prozent reduziert und das von den Grünen gesteckte Ziel einer 50-prozentigen Mengenreduzierung binnen fünf Jahren scheine erreichbar. Wäre doch prima. Es geht also voran.
Das anzuerkennen und Tierärzte und Tierhalter dafür vielleicht sogar mal in einem lobenden Halbsatz zu weiteren – unbedingt notwendigen – Anstrengungen für einen noch gezielteren Antibiotikaeinsatz zu motivieren, fällt einem Grünen Minister aber wohl ungeheuer schwer. T´Stattdessen Verbotsforderung und mehr Kontrolle?

Warum bloß? Fürchten die Grünen etwa um ihre „Agrarwende“, wenn die Antibiotikamengen seit 2011 zwar kontinuierlich und deutlich zurückgehen, die Tierzahlen in der vielzitierten – und in manchen Auswüchsen absolut zu kritisierenden – „industriellen Massentierhaltung“ trotzdem konstant bleiben oder gar steigen? Antibiotika jedenfalls scheinen in Deutschland mitnichten der zentrale „Schmierstoff“ für diese Tierhaltungsform zu sein.
Ich bin jedenfalls fest davon überzeugt, das „Reserveantibiotika-Verbots-Mantra“ in der Tiermedizin wird weder die Anstrengungen für mehr Tierwohl einen Schritt voranbringen, noch die Resistenzsituation in der Humanmedizin spürbar verändern.
Das ganze wird auch dadurch nicht besser, wenn jetzt die SPD auf den Verbotszug aufspringt – aber das ist ein Thema für einen anderen Kommentar.

Hören Sie hier die Beiträge von Radio Bremen 
Professor Gerd Glaeske über Reserveantibiotika, Massentierhaltung und 15.000 Tote
Minister Christian Meyer über „harte Antibiotika“ und das Verbot in der Massentierhaltung

*der Ursprung des „Tierarztes als Dealer“ verorten manche in einen Spiegel-Artikel aus 2012

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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