BVL korrigiert Antibiotikamengen: Weniger „Reserveantibiotika“ in der Tiermedizin

Die Tiermedizin setzt doch weniger sogenannte „Reserveantibiotika“ ein als bisher gemeldet. Das zeigen korrigierte Zahlen der Antibiotikamengenerfassung 2015: Statt eines heftig kritisierten Plus von 12,3 auf 14,9 Tonnen steht jetzt bei Fluorchinolonen ein Minus von 15 Prozent auf 10,6 Tonnen (Vergleichsjahr 2014). Auch bei den Cephalosporinen der 3. Generation wurden mit 2,3 Tonnen letztlich 0,9 Tonnen weniger eingesetzt, als ursprünglich gemeldet.

(jh/PM) – Die letzte Antibiotikamengenerfassung 2015 ergab zwar ursprünglich schon ein beachtliches Minus von insgesamt 401 Tonnen gegenüber 2014 (wir-sind-tierarzt.de berichtetet hier), aber die Menge der für den Menschen als von besonderer Bedeutung eingestuften Wirkstoffe – Highest Priority Ciritcally Important, die sogenannten „Reserveantibiotika“ – waren deutlich gestiegen.
Prompt lautete der Vorwurf: Die Tierärzte kompensierten „klassische Antibiotika“ mit diesen „Reserveantibiotika“, um die Gesamtmenge zu reduzieren.
Jetzt korrigierte das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit die Zahlen für 2015 deutlich nach unten:

  • Fluorchinolone: statt 14,9 jetzt 10,6 Tonnen – das ist ein Minus von 15 Prozent gegenüber 2014
  • Cephalosporine 3. Generation: statt 3,2 jetzt 2,3 Tonnen – damit ist die Menge gegenüber 2014 unverändert

Auch die Mengen für einige andere Wirkstoffe wurden für das Jahr 2015 neu berechnet (siehe Tabelle). Insbesondere bei den Fenicolen (keine „Reserveantibiotika“ / Anm.d.Red.) sind es jetzt fünf statt zuvor 27 Tonnen – also an Stelle eines Mehrverbrauches von 21,7 Tonnen ein Minus von 0,3 Tonnen gegenüber dem Vorjahr.
Insgesamt ist damit seit 2011 die Antibiotikamenge in der Tiermedizin um 901 Tonnen oder 53 Prozent gesunken, also noch einmal stärker als in der ersten Berechnung von August 2016 (-869 Tonnen).
Wichtig: Auch der kritisierte Trend zu mehr „Reserveantibiotika“ – insbesondere bei den Fluochinolonen – ist gebrochen, die Menge fast wieder auf den Wert von 2012 reduziert.
Die korrigierten Zahlen bestätigten, so kommentiert bpt-Präsident Dr. Siegfried Moder, dass die „Tierärzte sich der Verantwortung im Sinne des One Health-Ansatzes bewusst sind und nicht die Reduzierung der Gesamtantibiotikamenge mit vermehrtem Einsatz von kritischen Antibiotika kompensieren, wie das immer wieder von verschiedenen Seiten lautstark verkündet wird.“

Entwicklung der Antibiotikamengen: grün markiert die gültigen Zahlen für die "Reserveantibiotika" und die Gesamtmenge – rot gegenübergestellt die fehlerhaften Zahlen – mit "!!" versehen Mengen , die sich ebenfalls verändert haben. (Ursprungstabelle/Daten: © BVL / Gegenüberstellung WiSiTiA/jh)

Entwicklung der Antibiotikamengen: grün markiert die gültigen Zahlen für die „Reserveantibiotika“ und die Gesamtmenge – rot gegenübergestellt die fehlerhaften Zahlen – mit „!!“ versehen alle Mengen, die sich ebenfalls verändert haben. (Ursprungstabelle/Daten: © BVL / Gegenüberstellung WiSiTiA/jh)

Unterschiede zwischen Staats- und Wirtschaftsdaten

Es gab zwar bereits kritische Fragen zu den im August veröffentlichten Mengendaten, denn im privatwirtschaftlichen QS-Antibiotikamonitoring verzeichneten auch die Reserveantibiotika einen Rückgang. So hatte wir-sind-tierarzt. de zum einen die „fehlenden Tonnen“ gesucht (Bericht hier) und zum anderen Erklärungsansätze versucht, wie der zunächst gemeldete Anstieg der kritischen Wirkstoffe eventuell zu erklären sei (hier: „Verschiebebahnhof Reserveantibiotika“).
Als Hauptgrund entpuppte sich jetzt eine Meldefehler der Pharmaindustrie (siehe unten).

Minister: „Reserveantibiotika“ bei Mensch und Tier weiter reduzieren

„Beachtliche Erfolge“ bei der Antibiotikareduzierung in der Tiermedizin konstatierte Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt in einem Statement zu den neuen Zahlen : 53 Prozent (oder jetzt 901 Tonnen / Anm.d.Red) seit 2011. Allein von 2014 auf 2015 habe es einen Rückgang von 35 Prozent (433 Tonnen/Anm.d.Red.) gegeben.
Diesen Sprung führt der Minister auf die 2014 eingeführte Minimierungsstrategie für Antibiotika, das staatliche Antibiotikamontoring zurück.
Den Rückgang bei den Antibiotika mit besonderer Bedeutung für den Menschen bewertet er aber nur als „leicht“, sieht sich und die Nutztierhaltung in Deutschland aber insgesamt „auf dem richtigen Weg“. Trotzdem betont der Minister:

 „Insbesondere die Anwendung von sogenannten Reserveantibiotika muss restriktiver werden. Das wird nur gelingen, wenn Veterinär- und Humanmedizin eng zusammen arbeiten. Deshalb verfolgen wir in Deutschland den ‚One-Health-Ansatz‘ (Human- und Tiermedizin).“

Pharmaunternehmen meldete falsche Zahlen

Grund für die Korrektur sei ein Meledefehler bei einem pharamzeutischen Unternehmen, teilt das BVL mit. Die Behörde hatte zwar die Abweichungen gegenüber dem Vorjahr erkannt und bei dem Unternehmen nachgefragt, aber daraufhin nur geringfügig korrigierte Zahlen erhalten. Nun habe die betroffene Firma erneut eine nochmals korrigierte Datei eingereicht. Insbesondere bei den Fenicolen und Fluorchinolonen gibt es starke Abweichungen von den zunächst gemeldeten Mengen, sagt das BVL. Dies hab eine Neuauswertung der Abgabemengen für 2015 erforderlich gemacht (siehe Tabelle oben).

Pharmafirma wird überprüft

Das BVL werde zusammen mit der zuständigen Landesbehörde eine anlassbezogene Pharmakovigilanzinspektion bei der betroffenen Pharmafirma durchführen, um die Datenqualität für die folgenden Jahre zu sichern.

Quellen:
Korrigierte Zahlen des BVL (21.9.2016)
Statement Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (21.9.2016)
Statement Bundesverband praktizierender Tierärzte (bpt / 22.9.2016)

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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