Von „denaturiertem Essen voller Zusatzstoffe“, warum Rügenwalder jetzt endlich „mehr Tierschutz kann“ und weshalb Wiesenhof & Co die besseren Veggie-Wursthersteller sind. DIE WELT am Sonntag bietet einen guten Übersichtsartikel zum Veggie-Boom, der eigentlich eine Flexitarier-Welle ist.
eine Lesempfehlung von Jörg Held
Bewusste Ernährung ist voll im Trend. Irgendwie gehört fleischfrei dazu, zeigt DIE WELT auf. Und deshalb steigen jetzt die ganz großen der Branche – Rügenwalder, Wiesenhof, Tönnies & Co und sogar IKEA mit fleischlosen Kötbullar – mit vollem Tempo den Veggie-Markt ein. Warum die Fleischkonzerne zugleich die idealen Kunst-Wurst-Hersteller seien, erklärt die Lebensmittelindustrie wunderbar pragmatisch: „Alkoholfreies Bier kommt ja auch aus der Brauerei.“
Natur geht anders
Dass die Veggie-Ersatzwurst voller Zusatzstoffe und Geschmacksverstärker ist – und damit eigentlich sogar dem Trend zur natürlichen Ernährung ein Stück weit widerspricht –, ficht niemanden an. Verbraucherschützer sagen: Der Kunde könne ja die Zutatenliste lesen und außerdem enthalte Veggie-Wurst viel weniger Fett. Ein Feinkostexperte spricht in der WELT dagegen von „denaturiertem Essen“, denn die Basismasse ist weitgehend geschmacksneutral. Ganz ohne Tier kommt die auch noch gar nicht aus: Hühner-Ei-Eiweiß ist aktuell der wichtigste Grundstoff – das ist für echte Veganer noch ein No go, dem politisch korrekt essen wollenden Flexitarier aber egal.
Enorme Margen
Ironie des Ganzen: Die vergleichsweise „teure Hauptzutat Fleisch“ fehlt zwar, trotzdem ist das Wurstderivat deutlich teurer als sein Vorbild. Damit seien „die Margen in diesem Segment enorm“, zitiert DIE WELT einen Branchenkenner. Und wir fragen uns einmal mehr, warum klassische Wurst keinen Tierwohl-Aufpreisaufschlag vertragen soll?
Ein Schelm, wer da die neue Bereitschaft des Handels, großzügig ganze Regalmeter für Veggie-Produkte frei zu räumen, aus einem etwas anderen Blickwinkel sieht: Bei Fleisch tobt die Sonderangebots-Schlacht und es ist – nicht zuletzt gerade durch diesen Ramsch-Status – gesellschaftlich irgendwie gerade absolut fies. Dagegen ist Veggie-Wurst politisch und ethisch absolut korrekt – und finanziell für den Handel (was die Marge angeht, nicht den Gesamtumsatz) zugleich noch viel lukrativer.
Fleischindustrie kann Tierschutz nur ohne Tier?
Tief blicken lässt womöglich ein Halbsatz des Rügenwalder-Marketingchefs Godo Röben. DIE WELT zitiert ihn zu den großen Themen „Tierschutz, eigene Gesundheit und globale Verantwortung“ wie folgt: „All das können wir jetzt bieten.“ (Meint: Endlich möglich dank der Rüggenwalder-Veggie-Wurst –Hervorhebung und Ergänzung d.d.Red.)
Wie bitte?, fragt sich wir-sind-tierarzt.de da doch etwas überrascht: Fleischkonzerne können „Tierschutz“ nur, bei Produkten ohne Fleisch? Vorausgesetzt der Satz wurde im richtigen Zusammenhang zitiert, wäre das die endgültige Tierwohl-Bankrott-Erklärung der Branche.
Quelle:
Iss doch wurscht! – absolut lesenswerter Artikel zur Flexitarier-Welle aus DIE WELT am Sonntag (23.8.2015)
Zu guter Letzt:
Das passiert, wenn auch wirklich jeder Hersteller die Veggie-Welle reiten will:
Gemüse-Nuggets MIT Geflügelfleisch nach Art einer Gemüsefrikadelle
(thx an und © Andie (@_goldenassam_) • Instagram-Fotos und -Videos)