Anti-Qualzucht-Kampagne: „Das ist doch krank!“

Katzen haben gleich eine ganze Reihe von Qualzuchtproblemen. Die aktuelle Plakatkampagne 2019 zielt auch auf Hunde und Kaninchen. (Foto: © Tierärztekammer Berlin)

Fragt man Menschen, warum sie Haustiere halten, ist die Antwort: „Aus Liebe zum Tier.“ Umso erschreckender ist es, dass es so viele Hunde, Katzen, Kaninchen, Vögel, Fische und andere Heimtiere gibt, die durch die Vorliebe für besondere Formen und Farben regelrecht krank gezüchtet wurden. Ein Gastbeitrag zur neuen Anti-Qualzucht-Kampagne der Tierärztekammer Berlin.

ein Gastbeitrag von Dr. Heidemarie Ratsch*

Es ist die zweite Qualzucht-Kampagne der Tierärztekammer Berlin: Plakate in der U-Bahn und an Bussen sowie begleitende Postkarten machen auf problembehaftete Züchtungen aufmerksam. Wir wollen erneut einen sichtbaren Anstoß in Richtung gesunde Tiere geben.

Optisch süß, aber krank – woran Qualzucht-Hunde leiden

Qualzucht Mops – brachycephale Hunde sind nur ein Plakatmotiv der Qualzuchtkampagne (Foto: © Tierärztekammer Berlin)

Hunde kurzköpfiger Rassen, zum Beispiel Mops, Französische Bulldogge, Englische Bulldogge, Chihuahua, Pekinese, Shi Tsu, haben durch ihre rassebedingten Zuchtziele häufig ernste gesundheitliche Probleme. Dazu zählen:

  • Luft-/Atemnot durch einen verengten Rachen und enge Nasengänge, zu kleine Nasenhöhlen, zu große Zunge für die verkürzte Schnauze oder durch Zusammenklappen des Kehlkopfes.
  • Der Wärmehaushalt kann nicht mehr über die Atmung (Hecheln) reguliert werden. Bei Anstrengung oder Sommerhitze kann dies zum Kreislaufzusammenbruch und Tode durch Überhitzen führen.
  • Sie haben übermäßig viele Falten an Kopf und Körper, die sich häufig entzünden.
  • Hervorstehende Augäpfel bergen eine hohe Verletzungsgefahr mit häufig schlecht heilenden Wunden. Dazu kommen tränende und entzündete Augen durch zu enge Tränenkanäle.
  • Keilförmige Missbildungen an Wirbeln können das Rückenmark einquetschen und damit Schmerzen und Lähmungen bewirken.
  • Die Tiere haben Schwierigkeiten beim Fressen durch deformierte und verkürzte Kieferknochen und schiefe Zähne.
  • Bedingt durch den großen runden Kopf der Feten, haben sie auch eine erhöhte Neigung zu Schwergeburten. Brachyzephale Hündinnen sind häufig nicht in der Lage, ihre neugeborenen Welpen aus der Eihaut zu befreien und abzunabeln.

Kuschlig , aber leidend – Qualzucht trifft auch Kaninchen

Qualzuchtprobleme bei Kaninchen – Plakatmotiv der Qualzuchtkampagne (Foto: © Tierärztekammer Berlin)

Auch bei Kaninchen gibt es Rassen, die das Zuchtziel „Kurzer Kopf“, „Zwergwuchs“, „Hängeohren“ oder „Fellbeschaffenheit“ haben. Das sind zum Beispiel Widderkaninchen, Rexzwerge, Farbzwerge, Hermelin-Kaninchen und Löwenköpfchen. Auch sie leiden deshalb häufig an schweren gesundheitlichen Problemen:

  • Aufgrund der kurzen Kieferknochen haben sie Zahnprobleme, den es ist zu wenig Platz für alle Zähne.
  • Auch die Kaninchen haben tränende und entzündete Augen durch zu enge Tränenkanäle.
  • Sie leiden oft an schmerzhafte Ohrenentzündungen und Schwerhörigkeit durch Hängeohren.
  • Auch besteht Verletzungsgefahr und eingeschränkte Beweglichkeit durch bodenlange Hängeohren.
  • Fehlende Tasthaare an Maul und Augen erschweren den Tieren massiv die Orientierung im Raum – hierdurch erhöht sich die Verletzungsgefahr der Kaninchen
  • Außerdem entwickeln sich dauerhafte Hautentzündungen an den Hinterpfoten, weil dort zuchtbedingt ein ausreichend polsterndes Fell fehlt, so dass die Haut direkt über den Knochen liegt. In diesen Bereichen gibt es aber eine  hohe Druckbelastung.

Schön, aber taub – das Qualzucht-Portfolio der Katzen

Katzen haben gleich eine ganze Reihe von Qualzuchtproblemen, etwa Kurzköpfigkeit und Fellfarben – Plakatmotiv der Qualzuchtkampagne (Foto: © Tierärztekammer Berlin)

Das Zuchtziel „Kurzköpfigkeit“ führt auch bei Katzen zu ernsten gesundheitlichen Problemen. Betroffen sind zum Beispiel Perser und Exotic Shorthair. Auch sie leiden häufig an:

  • Luft/Atemnot durch verengte Nasengänge und zu kleine Nasenhöhlen
  • sowie tränenden und entzündeten Augen durch zu enge Tränenkanäle.
  • Sie haben Zahnprobleme durch zu kurze oder deformierte Kiefer, in denen nicht mehr alle Zähne Platz haben
  • Und es gibt eine Neigung zu Schwergeburten und einer gesteigerten Totgeburtenrate.

Katzenrassen mit dem Zuchtziel „weiße Fellfarbe“ (auch hier z. B. Perser, Türkisch Angora, Maine Coon, Devon Rex, Norwegische Waldkatze) zeigen häufig folgende Gesundheitsprobleme:

  • Angeborene Taubheit, vor allem in Kombination mit blauer Augenfarbe.
  • Augenschäden wie z.B. „Nachtblindheit“; diese Katzen können im Dunkeln nicht oder schlecht sehen.

Katzen der Rasse Maine Coon, Perser, Ragdoll oder Britisch Kurzhaar zeigen zudem vermehrt die erbliche Herzerkrankung „Hypertrophe Kardiomyopathie (HCM)“. Bei der  kommt es im Verlauf des Lebens zu einer Verdickung des Herzmuskels und Abnahme der Herzleistung.

Die Bundestierärztekammer hat aktuell (30.10.2019) einen Informationsfaltblatt zur Qualzucht bei Katzen veröffentlicht (PDF-Download)

Aktuell berichtet auch der NDR über das Thema Qualzucht (Foto: screenshot NDR-Beitrag – Klick auf das Bild führt zum externen NDR-Video)

Begleitende Medienkampagne

Die Plakataktion startet am 1. November. Zusammen mit der Bundestierärztekammer, der Berliner Landestierschutzbeauftragten und Vertretern des Fachbereichs Veterinärmedizin der FU-Berlin stellt die Tierärztekammer Berlin die Kampagne am 5. November 2019 auf einer Pressekonferenz vor.

Die Tierärztekammer Berlin hat eine Infoseite mit einer Vielzahl weiterer Informationen  zum Thema Qualzucht eingerichtet.

Die Bundestierärztekammer hatte zuvor eine eigene Qualzuchtkampagne gestartet und beteiligt sich an der Berlier Aktion
Gemeinsam haben fünf  Tierarztverbände auch Informationsfaltblätter zum Thema Qualzucht erstellt:

Alle Berichte zum Thema Qualzucht auf wir-sind-tierarzt.de finden Sie hier

Auch international gibt es Aktionen …

*Unsere Gastautorin Dr. Heidemarie Ratsch ist seit 2009 Präsidentin der Landestierärztekammer Berlin. Die Berliner Kammer hat in ihrer Öffentichkeitsarbeit einen Schwerpunkt auf das Thema Tierschutz bei Heim- und Nutztieren gelegt und bietet dazu auch regelmäßig Fortbildungen an.

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