Zwickmühle Tierschutz – zwischen Gewissen, Besitzeransprüchen und Ökonomie

DR. HENRIK HOFMANN reptil Tierheim griesheim fettleber

Tierärzte sind angetreten, um Tieren zu helfen. Sie finden sich aber tagtäglich im Spannungsfeld zwischen wirtschaftlicher Notwendigkeit, Gewissen und Besitzeransprüchen. Dennoch gibt es viele Möglichkeiten, „etwas zu tun“. Teil eins unserer kleinen Artikelserie gibt Tips zum Praxisalltag und liefert dazu eine Liste mit weiterführenden Links

von Henrik Hofmann

Logo_Bay_TierärztetageLakonisch sagte ein Referent zu den jungen Kollegen im Auditorium: „Wenn Sie sich niederlassen, kann ich Ihnen nur wünschen, als erste Kunden Mops- und Siamkatzenzüchter zu bekommen. Dann haben sie ausgesorgt …“. Hinter diesem scheinbaren Zynismus steckt eine traurige Wahrheit: Etliche Rassen haben genetisch derartige gesundheitliche Probleme, dass Tierkliniken davon leben könnten. Natürlich war dieser Spruch nicht ernst gemeint. Es ist viel mehr so, dass Tierärzte in der täglichen Praxis sehr häufig mit tierschutzrelevanten Themen konfrontiert werden.

Tierschutzprobleme im Praxisalltag

  • Qualzuchten
  • Besitzer versagen ihren Tieren jegliche/die empfohlene medizinische Betreuung
  • Besitzer versagen ausreichende Schmerzbehandlung
  • Tiere sollen ohne medizinische Indikation euthanasiert werden
  • Falsche Haltungsbedingungen, insbesondere bei Exoten und kleinen Heimtieren
  • Verhaltensauffälligkeiten
  • Tiere werden von Händlern gekauft, stammen aus „Fabriken“

Die Frage ist: Was tun?

Dr. Dorothea Döring von der LMU-München gab auf den Bayerischen Tierärztetagen in Nürnberg einige praktische Anregungen:
Zunächst könne man in der eigenen Praxis anfangen und Maßnahmen ergreifen, um den Tierarztbesuch für die Tiere so stressfrei wie möglich zu gestalten – und dazu das eigene Verhalten, die Räume und Arbeitsabläufe überprüfen. So hat eine Dissertation gezeigt, dass 75 Prozent der vorgestellten Hunde in der Praxis Angst hätten. Schon ganz einfache „vertrauensbildende Maßnahmen“ wie ein Leckerchen, angemessene Körperhaltung (hinknien), das Angebot für „Schnupperbesuche“ ohne Behandlung und ähnliches, können den Tieren diese Angst nehmen (mehr Tipps in der PDF der Dissertation und dieser Link-Liste zum Vortrag).

Tierärzte als Berater

Weiterhin könnten Tierärzte vielen Tierschutzproblemen vorbeugen, indem sie frühzeitig als „Berater“ agieren:

  • Also den Tierhaltern zum Beispiel erklären, woran sie  eine „gute“ Hundeschule erkennen und wo sie diese finden.
  • Sie können bei der Anschaffung und der Auswahl des „richtigen“ Tieres (keine Hamster für kleine Kinder) und der „richtigen“ Rasse helfen.
  • Sie könnten Einfluss darauf nehmen, eben nicht mit ungeeigneten Tieren zu züchten, die genetische Probleme weitergeben werden.
  • Sie könnten sich im Bereich der Bissprävention engagieren.
  • Sie könnten auf tierschutzgerechtes Zubehör achten (Stichwort „Stachelhalsband“).

Für all dies gebe es gute, leicht zugängliche Literatur – eine Linkliste finden Sie hier.

Die Pflicht zum Tierschutz

Tierhalterpflichten laut Tierschutzgesetz. (© Döring/LMU-münchen/Vortrag Bay. Tierärztetage 2015)

Tierhalterpflichten laut Tierschutzgesetz. (© Döring/LMU-münchen/Vortrag Bay. Tierärztetage 2015)

Laut Tierschutzgesetz sind Halter verpflichtet, sich um die „Bedürfnisse“ ihrer Tiere zu kümmern und sie zu „pflegen“ (siehe Bild). Laut Selbstverständnis der Tierärzte wollen auch sie das „Beste“ für ihre Patienten. Tatsache ist aber leider, dass Tierärzte häufig genug an der Realität scheitern. Trotz eindringlicher Beratung verweigern Tierhalter oft Impfungen, Schmerzbehandlung, weitergehende Diagnostik. Sie interessieren sich auch nicht in dem Maße für die Haltungsbedingungen, wie es die Tiere brauchen. In solchen Fällen wären Tierärzte verpflichtet – wenn der Versuch persönlich auf die Tierbesitzer einzuwirken, erfolglos bleibt – diese zum Beispiel beim Veterinäramt zu melden. Doch das „kann nach hinten losgehen“ wissen die Kollegen, die hier schon aktiv geworden sind, oft nur all zu gut.

Mehr zur rechtlichen Seite folgt in Teil 2 des Berichts „Tierschutz im Praxisalltag“. Hier gehen wir der Frage nach, ob ein Tierarzt berechtigt oder gar verpflichtet ist, Tierschutzvergehen zur Anzeige zu bringen – Stichwort: Schweigepflicht.

Linkliste mit Tierschutz-Tipps im Praxis-Alltag (ohne Anspruch auf Vollständigkeit)

Beitragsbild: Reptil mit Fettleber (Tierheim Griesheim) © Archiv/www.tierundleben.de

 

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Über den Autor

Dr. Henrik Hofmann

Dr. Henrik Hofmann (hh) betreibt seit 1995 eine eigene Tierarztpraxis in Butzbach. Er ist Fachtierarzt für Allgemeine Veterinärmedizin und hat die Zusatzbezeichnung Akupunktur. (www.tierundleben.de) Als Autor und Redakteur hat Hofmann in etlichen Zeitschriften und Zeitungen rund ums Tier geschrieben. Bei wir-sind-tierarzt.de betreut er schwerpunktmäßig Medizinthemen, den Bereich Praxismanagement und die Rubrik Mensch-Tierarzt. Außerdem steuert er die SocialMedia-Aktivitäten und leitet die Bildredaktion. Zuletzt ist sein Buch „Tieren beim Sterben helfen – Euthanasie in der Tierarztpraxis“ erschienen. Kontakt: henrik.hofmann(at)wir-sind-tierarzt.de
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