Tierschutzverstöße bei der Rinderschlachtung

Kuh mit aufgekrümmtem RückenKuh mit aufgekrümmtem Rücken aufgrund eines Sohlengeschwürs (Foto:©WiSiTiA/aw)

Gleich zwei Mal hat die SOKO Tierschutz e.V. innerhalb der letzten Wochen Schlachthöfe ausfindig gemacht, in denen massive Tierschutzverstöße vorgekommen sind. Offensichtlich haben die Kontrollsysteme versagt und damit vermutlich auch die zuständigen Tierärzte.

(aw) – Einer der beiden Schlachthöfe liegt in Sachsen-Anhalt in Schönhausen in der Nähe von Stendal. Bilder, die mit versteckter Kamera gedreht wurden, zeigen wie festliegende Tiere mit einem Gabelstapler aus dem Transportfahrzeug gezogen werden und wie Helfer die Schlachttiere unnötig und unsinnig mit elektrischen Viehtreibern drangsalieren. Die angelieferten Kühe, die auf den Bildern zu sehen sind, sind durchweg in einem schlechten Ernährungszustand.

Auf Schlachtung kranker Kühe spezialisiert?

Friedrich Mülln, Gründer der SOKO Tierschutz und Tierrechtler, erläutert, dass es eine Art Industrie gebe, die sich auf die Schlachtung und Vermarktung kranker Milchkühe spezialisiert habe. Da große Schlachthöfe gut überwacht seien und solche Missstände nicht lange unentdeckt bleiben würden, hätten einige kleine Betriebe diese „Marktlücke“ für sich entdeckt. Das Fleisch werde an einen polnischen Fleischkonzern, eine bayrische Fleischfirma und an umliegende Metzgereien verkauft.
Die zuständigen Behörden waren bereits auf den Schlachtbetrieb aufmerksam geworden, weil die erforderlichen Unterlagen nicht passten und teilweise eine extrem schlechte Fleischqualität festgestellt wurde. Mülln kritisiert, dass während der 16-tägigen Filmaufnahmen keine Kontrolle im Betrieb stattgefunden habe und angeblich alle Kontrollen vorher angemeldet würden. Zudem seien die Kontrolleure mit den Metzgern per Du.
Die beschuldigte Metzgerei darf bis auf Weiteres nicht mehr Schlachten.

Zahlreiche Tierschutzverstöße auch in Bad Iburg

Kuh mit aufgekrümmtem Rücken

Kuh mit aufgekrümmtem Rücken aufgrund eines Sohlengeschwürs (Foto: © WiSiTiA/aw)

Der zweite Schlachthof befindet sich im niedersächsischen Bad Iburg und wurde vom 20. August bis zum 25. September heimlich überwacht. Auch hier wurden zahlreiche Tierschutzverstöße gefilmt. Problematisch aus Sicht der Tierärzteschaft ist, dass beim Ausladen der Rinder anscheinend nicht regelmäßig ein Tierarzt oder ein qualifizierter Vertreter anwesend war. Angeblich seien auch tote Kühe angeliefert worden und zum Schein geschlachtet worden.
Ob diese Behauptung stimmt, muss noch geklärt werden, da es sich auch um ganz normale Notschlachtungen gehandelt haben könnte. Diese frisch verletzten und transportunfähigen Rinder werden im Beisein eines Tierarztes im Erzeugerbetrieb getötet und entblutet und danach zum Schlachthof gebracht.
Der Schlachthof Bad Iburg wurde von den zuständigen Behörden bis zum 23. Oktober gesperrt und die beiden dort nebenberuflich arbeitenden Tierärzte von ihren Aufgaben entbunden.

Sowohl Niedersachsens Agrarministerin Barbara Otte-Kinast als auch Landvolk-Präsident Albert Schulte to Brinke verurteilten den Umgang mit den Tieren und Otte-Kinast bemüht sich nun um schnelle und umfassende Aufklärung.

Meine Meinung: 

(aw) Was mich persönlich an den Bildern aus Stendal am meisten ärgert, ist die Sinnlosigkeit des Handelns der gefilmten Personen.
Für den Schlachtprozeß ist es belanglos, wo die Kuh per Bolzenschuss betäubt wird. Wenn eine Kuh im Anhänger nicht aufstehen kann (und eigentlich gar nicht mehr transportiert werden dürfte), ist es keine Mehrarbeit für die Metzger, das Tier direkt im Transporter zu betäuben und anschließend erst heraus zu ziehen und zu entbluten. Für das Tier ist es aber vermutlich ein sehr großer Unterschied ob es kurz vor dem Tod noch sinnlos Schmerzen zugefügt bekommt und in Angst versetzt wird.
Das Gleiche gilt für die Bilder mit dem elektrischen Viehtreiber. Nicht nur Mitarbeiter der Behörde fragten sich beim Ansehen, was der Metzger überhaupt bewirken will. Wenn sich schon einem Menschen nicht erschließt, was von dem drangsalierten Tier erwartet wird, wie soll es sich dann dem Tier erschließen? Die Bilder zeigen mangelnden Respekt und mangelnde Empathie den Tieren gegenüber und dies kann im vorliegenden Falle auch nicht mit zeitlichem Druck (aufgrund von Akkordarbeit etc.) entschuldigt werden.

Es gibt in Deutschland eine Reihe von Gesetzen für den Umgang mit Schlachttieren. Eine gute Übersicht bietet das Handbuch Tierschutzüberwachung bei der Schlachtung und Tötung, das der Landkreis Ostholstein ins Netz gestellt hat.
Wie so häufig liegen auch die hier aufgedeckten Missstände  an der mangelhaften Umsetzung bestehender Regelungen. Leider gibt es in jeder Branche kriminelle Energien und im Film wird betont, dass sich die beiden Schlachtbetriebe auf die Verwertung problematischer Tiere spezialisiert hätten, die andere Schlachthöfe nicht mehr annehmen würden.
Ob solche Machenschaften durch normale Kontrollen seitens der zuständigen Behörden tatsächlich gestoppt werden können, ist schwierig zu beantworten. Illegale Zustände werden wohl auch in Zukunft nur durch ebenfalls illegale Ermittlungen aufgedeckt werden können.
Nichtsdestotrotz stehen die Tierärzte vor Ort in einem schlechten Licht. Normalerweise ist eine Lebendbeschau der Tiere vor der Schlachtung gesetzlich vorgeschrieben, im Idealfall bei der Anlieferung und dem Ausladen der Schlachttiere. Dabei hätte der schlechte gesundheitliche Zustand zumindest einiger der transportierten Kühe erkannt und angezeigt werden müssen.

Quellen und Filmmaterial:
Direkt im Text verlinkt

TV-Bericht (MDR) über den Schlachthof in Stendal: ARD Mediathek

Teilen
Über den Autor

Annegret Wagner

Dr. Annegret Wagner (aw) hat in Gießen Tiermedizin studiert und arbeitet seit 1991 in der Großtierpraxis; seit 2005 niedergelassen in eigener Praxis mit Schwerpunkt Milchrind im Raum Rosenheim. Seit 2006 arbeitet sie auch als tiermedizinische Fachjournalistin. So hat sie für die VETimpulse die Nutztierthemen betreut und übernimmt diese Aufgabe auch bei wir-sind-tierarzt.de. Um nicht zum Mia-san-mia-Bayer zu mutieren, schaut sie intensiv über den Alpenrand hinaus, vorzugsweise ins englischsprachige Ausland. Kontakt: annegret.wagner(at)wir-sind-tierarzt.de
Web Design MymensinghPremium WordPress ThemesWeb Development

Wildtiere: Hilfe kann auch Leid bedeuten

9. März 20169. März 2016
Ein Faltblatt gibt Tipps zum Umgang mit Wildtieren. (©Landestierschutzbeauftragte Hessen / Erni/Fotolia.com)„Wildtiere brauchen in den aller seltensten Fällen menschliche Hilfe," sagt die Landestierschutzbeauftragte Hessen. Was tun kann, wer ein Wildtier findet – oder aber auch besser lassen sollte – erklärt ein Flyer, den Dr. Madeleine Martin zusammen mit der Landestierärztekammer Hessen herausgegeben hat. (mehr …)