Mobile Weideschlachtung: „Der Schlachter kommt zum Rind“

Die mobile Weideschlachtung in einem Spezialanhänger auf dem Bauernhof kann Tieren den Transport zum Schlachthof ersparen. (Foto: screenshot Hessenschau)

Eingepferchte Tiere und unzumutbare Hygienezustände – was Rindern und Schweinen auf dem Weg zum Schlachthof manchmal zugemutet wird, fördern immer wieder Polizeikontrollen und Fernsehbeiträge zutage. Mit Hilfe eines Schlachtanhängers wurden nun in Hessen erstmalig Rinder ohne Lebendtiertransport geschlachtet. Ein großer Schritt für den Tierschutz für eine kleine Zahl von Tieren.

(PM/hh) – Transport und fremde Umgebung vor dem Schlachten stressen die Rinder und können zu schlechterer Fleischqualität führen. Die EU-Hygieneverordnung schreibt jedoch vor, dass „alle Tiere lebend in einen EU-zugelassenen Schlachthof verbracht werden“ müssen. Seit 2011 gibt es zwar eine Lockerung, allerdings nur für Rinder, die ganzjährig im Freien gehalten werden. Sie dürfen – bisher meist durch Kugelschuss – im Haltungsbetrieb getötet werden (mehr Informationen hier).
Das Europäische Innovationsprojekt „Extrawurst“ in Hessen ermöglicht nun die Tötung der Rinder durch ein Schlachtunternehmen im Haltungsbetrieb – per mobilem Schlachtanhänger. Das war bis jetzt nur für solche Betriebe möglich, die ihre Tiere ganzjährig im Freien halten.

Weniger Stress und weniger Unfallgefahr

Mit Hilfe eines Betäubungsstandes und eines speziellen EU-zugelassenen Schlachtanhängers, der das sofortige Entbluten ermöglicht, führt der Schlachtbetrieb einen Teil der eigentlichen Schlachtung (Töten und Entbluten) auf dem Hof des Landwirtes durch. So entfällt der Lebendviehtransport. Der Schlachtunternehmer trägt die Verantwortung für den gesamten Prozess. Anschließend wird im stationären Teil des Schlachtunternehmens der Schlachtkörper weiter zerlegt.
Das erleichtert besonders bei extensiver Fleischrinderkuhhaltung den Umgang mit den Tieren. Sie sind den Kontakt zu Menschen wenig gewohnt und lassen sich nicht so einfach verladen und in den Schlachtraum bringen. Das verursacht neben Stress für die Tiere oft auch Arbeitsunfälle.
Das Projekt zeigt aber auch: Die mobile Schlachtanlage kann die Transporte großer Tierzahlen zum Schlachthof nicht ablösen. Es ist nur für einzelne Tiere geeignet und vergleichsweise teuer, so verdoppelt sich etwa der Schlachtpreis pro Tier.

Die mobile Weideschlachtung in einem Spezialanhänger auf dem Bauernhof kann Tieren den Transport zum Schlachthof ersparen. (Foto: screenshot Hessenschau – Klick auf das Foto führt zum Videobericht)

Tiergerechtere, schonendere Schlachtung

„Ein enormer Fortschritt für eine tiergerechtere, schonendere Schlachtung und mehr Arbeitsschutz“ findet Kreisveterinärin Dr. Veronika Ibrahim vom Veterinäramt Friedberg/Wetteraukreis. Sie hat das Projekt als Mitglied der Gruppe „Extrawurst“ intensiv fachlich begleitet hat. „Ich habe einfach schon zu viele Schlachtungen gesehen, bei denen der Transport und das Entladen der oftmals aus Mutterkuhhaltung stammenden Rinder für Mensch und Tier äußerst stressig gewesen sind.“

„Sicher ist das Verfahren teurer“ betont Sven Lindauer, Landwirt auf Gut Fahrenbach und zugleich Metzgermeister. Aber wir Landwirte können uns, ebenso wie die Metzger mit dem neuen Verfahren einen Wettbewerbsvorteil am Markt holen. Ein neuer Absatzmarkt könnte sich öffnen, der die Beziehung im ländlichen Raum zwischen Bauern, Metzgern und Kunden neu belebt.

Dr. Rainer Wallmann 1. Kreisbeigeordneter im Werra-Meißner Kreis, freut sich, dass das Pilotprojekt im Werra-Meißner Kreis gestartet ist und sich die Ökomodellregion als Partner mit in das Projekt eingebracht hat. „Dieses innovative Schlachtverfahren würde auch anderen Betrieben in unserer vom Grünland geprägten Region, die Möglichkeit eröffnen, ein besonderes Schlachtverfahren ohne Lebendtiertransport anzubieten“.

„Unser wichtigster weiterer Schritt ist es, einen mit der Praxis und mit den Veterinärbehörden abgestimmten Leitfaden zu entwickeln, der die gute fachliche Praxis des neuen Verfahrens beschreibt und die für den Tierschutz relevanten Faktoren festlegt“, betont Dr. Andrea Fink-Keßler von den Landforschern. Damit soll das neue Verfahren dann über Hessen hinaus anerkannt werden können.

Von links nach rechts: Dr. Veronika Ibrahim (Wetteraukreis), Chris Hofmann und Rene Georgi (Schlachtbetrieb Hofmann), Hans-Jürgen Müller (vlhf), Markus Hofmann (Schlachtbetrieb Hofmann), Dr. Beatrice Ladewig (RP Darmstadt)
Bescheidübergabe auf Gronauer Hof, Bad Vilbel Bildrechte: Andrea Fink-Keßler. (Foto: Fink-Keßler)

Das Projekt und die dazu gebildete sog. Operationelle Gruppe „Extrawurst“ werden bis Ende 2019 gefördert vom Land Hessen und der EU über die Europäische Innovationspartnerschaft „Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit“ (EIP-Agri).

Quellen im Artikel verlinkt

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Über den Autor

Dr. Henrik Hofmann

Dr. Henrik Hofmann (hh) betreibt seit 1995 eine eigene Tierarztpraxis in Butzbach. Er ist Fachtierarzt für Allgemeine Veterinärmedizin und hat die Zusatzbezeichnung Akupunktur. (www.tierundleben.de) Als Autor und Redakteur hat Hofmann in etlichen Zeitschriften und Zeitungen rund ums Tier geschrieben. Bei wir-sind-tierarzt.de betreut er schwerpunktmäßig Medizinthemen, den Bereich Praxismanagement und die Rubrik Mensch-Tierarzt. Außerdem steuert er die SocialMedia-Aktivitäten und leitet die Bildredaktion. Zuletzt ist sein Buch „Tieren beim Sterben helfen – Euthanasie in der Tierarztpraxis“ erschienen. Kontakt: henrik.hofmann(at)wir-sind-tierarzt.de
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