So richtig kann anscheinend selbst die Bundesregierung die neuen Regeln für die Tierärztliche Hausapothekenverordnung nicht verstehen und deshalb auch nicht kommunizieren: Das „Verbot“ von „Reserveantibiotika“ „gilt ab sofort“, suggeriert eine Infografik – und sorgte dafür, dass selbst Regierungssprecher Steffen Seibert sich deshalb korrigieren musste. Ein Kommentar, der vom kleinen bunten Bild auf das große politische Ganze schließt.
Kommentar von Jörg Held
„Bätschi“ möchte man rufen, wenn Politik zu sehr an der eigenen Schlagwortgläubigkeit hängt – und dann wenigstens etwas zurückrudern muss. Aber so ein „Verbot von Reserveantibiotika in der Tiermast“ lässt ja auch einfach zu schöne Bilder im Kopf entstehen:
>>Tierärzte und Tierhalter verballern verantwortungslos wertvolle humanmedizinische Reservemedikamente, damit Schweine fett werden.<<
Völlig egal, wie viel Wahrheitsgehalt in dieser Vorstellung steckt: Wer dagegen vorgeht, kann politisch nur Pluspunkte sammeln. Und deshalb hängen sie alle, egal ob schwarz, grün, rot oder sonst einer politischen Couleur zugeordnet, am Kampfbegriff der „Reserveantibiotika“ – wohl wissend, dass der fachlich zweifelhaft ist und man ihn deshalb inzwischen mit „Anführungszeichen“ verwenden muss (was aber selbst das Bundeslandwirtschaftsministerium/Beleg hier nicht lassen kann; die fachliche Auflösung dazu, liefern wir weiter unten im Text).
Politik in Bildern
Weil Politik zu sehr in Bildern und Schlagworten denkt, sind Tierärzte inzwischen mit einem immer engeren gesetzlichen Regelkorsett und behördlichen Überwachungstools konfrontiert, die ihnen Stück für Stück die Therapiefreiheit beschneiden. (Mehr zur Tierärztlichen Hausapothekenverordnung hier)
Die eigentliche große und unbestritten wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgabe, den „antimikrobiellen Resistenzen vorzubeugen“, wird elegant in den Stall verlagert – zumindest was die mediale Aufmerksamkeit betrifft. Oder erinnert sich jemand an eine Regierungsgrafik mit dem Tenor: „Resistenzen vorbeugen – strengere Regelung für Antibiotika in Arztpraxen und Krankenhäusern – gilt ab sofort“?
So verdichtet sich der ganze Konflikt in eben diesem harmlos erscheinenden Bildchen:
Die scheidende Bundesregierung hat zum 1. März die überarbeitete Tierärztliche Hausapothekenverordnung (Hintergrund hier) in Kraft gesetzt – und wollte mit knackiger Social-Media-Kommunikation noch einen kleinen Erfolg verbuchen: Wir tun jetzt mal endlich was richtig Wirksames, um „Resistenzen vorzubeugen“.
Pustekuchen. Tut sie nicht. Zumindest nicht in der zugespitzten Konsequenz, inklusive impliziertem Reserveantibiotikaverbot („dürfen nicht mehr“). Im Gegenteil: So ist die Information zur TÄHAV unseriös.
Deshalb musste sich denn auch Regierungssprecher Steffen Seibert korrigieren, der die Regierungs-Grafik über Twitter weiterverbreitet und der Botschaft damit noch einmal richtig Gewicht gegeben hatte.
Aber selbst in der Korrektur der „missverständlichen“ Grafik mag der @RegSprech nicht auf die Reserveantibiotika-in-Anführungszeichen verzichten. Fast bedauernd stellt er fest, es sei „nun lediglich“ deren Umwidmung „verboten“. Legt man diesen bedauernden Unterton interpretatorisch auf die Goldwaage, könnte man schlußfolgern: Seibert hält die ganze TÄHAV-Novelle inzwischen für „lediglich“ halb gelungen.
Ja! Recht hast Du, möchte man ihm zurufen – aber aus ganze anderen Gründen.
Der Hauch eines ruchvollen Skandals
Klar, dass da auch SPD-Politiker auf den Zug aufspringen und die Botschaft teilen. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach schafft es, mit den zwei kleinen Wörtchen „besser“ und „nur“ der Info-Grafik sogar noch einen Hauch ruchvollen Skandals mitzugeben:
>>’Besser‘ wäre gar keine Antibiotika in der Tiermast, nur kranke Tiere behandeln…“
Wie kann man mit „gar keine Antibiotika“ eigentlich „nur kranke Tiere“ behandeln? Egal, das wollte Lauterbach ja auch gar nicht (er)klären – eher mit der Wortkombination von „Antibiotika“ und „Mast“ die üblichen Bilder im Kopf verstärken.
In der Summe bleibt einmal mehr hängen:
Die Tiermedizin ist für die Resistenzen der Humanmedizin verantwortlich. Deshalb müssen „für Menschen wichtige Antibiotika“ dort verboten werden. Das frustriert eine ganze Branche zunehmend.
Soweit die politische Spiegelfechterei. Hier noch die versprochenen Daten und Fakten und drei Vorschläge zum Besseren:
Der „Reserve-Mythos“ und die echten Zahlen
Nur eines, der mit dem neuen TÄHAV-Umwidmungsverbot belegten und für die „Menschen besonders wichtigen Antibiotika“ ist tatsächlich ein „Reserveantibiotikum“ gemäß WHO-Definition.
Was gilt als „Reserveantibiotikum“ für die Humanmedizin?
Mehr Informationen hier und hier.
Die Wirkstoffgruppen der Fluorchinolone und Cephalosporine (um die geht es in der Verordnung) sind nicht etwa „besonders wichtig“, weil sie als „Reserve“ besonders selten eingesetzt würden, dann, „wenn normale Antibiotika nicht mehr wirken“ – wie selbst die Deutsche Presseagentur (dpa) die Dramatik der Reserveantibiotikaapologeten ohne Überprüfung in ihre Meldung zur TÄHAV übernimmt.
Die besondere Bedeutung folgt eher aus dem Gegenteil von „Reserve“: Fluorchinolone und Cephalosporine sind „besonders wichtig“, weil die Humanmedizin sie besonders oft „braucht“. In Deutschland zählen sie zu den am häufigsten verordneten Antibiotika: Ihr Anteil liegt irgendwo zwischen 25 und 30 Prozent der Gesamtmenge von geschätzt 700 Tonnen – genaue Zahlen kann (oder will?) die Humanmedizin immer noch nicht liefern.
In der Tiermedizin haben diese „kritischen“ Fluorchinolone und Cephalosporine mit 12,7 von 742 eingesetzten Tonnen noch einen Anteil von 1,7 Prozent an der Gesamtmenge (mehr zu den Zahlen und Quellen hier – die Abgabemenge wird seit 2011 staatlich erfasst).
Humanprobleme nicht im Stall lösen
Da kann man jetzt politisch trotzdem wollen, dass die Tiermedizin auch noch auf diese letzten Prozente verzichtet. Und ja: Das würde Resistenzen reduzieren.
Aber man soll es den Bürgern dann bitte nicht als rettende Maßnahme für die Resistenzprobleme in den Krankenhäusern verkaufen. Der Effekt dürfte in der Humanmedizin angesichts der dort verordneten Mengen dieser Wirkstoffe kaum meßbar sein.
Oder wie es BfR-Präsident Prof. Andreas Hensel formulierte: „Die Probleme der Humanmedizin lassen sich nicht im Stall lösen.“
Tiermedizin: Keine Chance auf neue Wirkstoffe
Warum wehren sich die Tierärzte eigentlich so gegen die immer wieder aufkommenden Verbotsforderungen? Wo sie selbst im Berufsstand den Einsatz „kritischer Wirkstoffe“ doch durchaus auch kritisch diskutieren?
Weil Verbote nicht nur symbolisch verantwortlich machen, sondern weil sie die Therpieoptionen der Tierärzte dauerhaft und nachhaltig reduzieren würden.
Denn die echten „Reserveantibiotika“ der Humanmedizin, das sind die Wirkstoffe, die gar nicht für die Tiermedizin zugelassen sind. Da gibt es einige. Sie bleiben dem Menschen vorbehalten. Und das ist gut so.
Zu dieser „Reserve“ dürften zukünftig auch die wenigen neuen Antibiotika werden, die gerade in den Entwicklungspipelines stecken. Niemand wird angesichts der Debatte über eine „Post-antibiotische Ära“ ernsthaft darüber nachdenken, sie auch für die Behandlung von Tieren zuzulassen.
Genau deshalb kämpfen Tierärzte darum, wenigstens die vorhandenen Wirkstoffe als Therapieoption zu behalten. Sie wehren sich gegen die Salamitaktik der ständig wiederholten Verbotsforderungen (zuletzt hier im Bundesratsbeschluss zur TÄHAV). Denn diese schaffen ein Klima, in dem ein ganzer Berufsstand ins Unrecht gesetzt wird.
Dass Tierärzte Antibiotika generell restriktiver einsetzen müssen, ist dabei unstreitig. Sie tun das auch: Seit 2011 haben sie die Menge halbiert. Wenn man der Debatte rund um die TÄHAV (alle Berichte hier) wenigstens etwas Gutes abgewinnen will, dann das: In den Praxen wird noch intensiver über den gezielten Antibiotikaeinsatz nachgedacht.
Positive Lösungen anbieten
Diese Bereitschaft zur Veränderung positiv zu nutzen, muss das Ziel sein. Deshalb drei Vorschläge für die Wende zum Besseren, die nicht auf Verboten beruhen, sondern auf Angeboten:
Resistenztests sind gut und wichtig. Aber nicht, um in Patientenakten zur Erfüllung einer Kontrollpflicht abgeheftet zu werden. Oder durch aufwändige Dokumentationspflichten als Abschreckungsinstrument zu dienen.
Nutzt die schon vorhandenen Resistenzdaten – die es in großen Nutztierpraxen, in Kleintierkliniken und privaten Labors vielfach gibt – und baut ein nationales Resistenzmonitoring auf. Erweitert es. Schafft eine Resistenzdatenbank, in der möglichst alle Tierärzte vor einer Behandlung nachschlagen können, welche Resistenzen in ihrer Region bestehen. Die Datenbank muss nicht bis auf die letzte MHK-Grenzwert-Kommastelle „wissenschaftlich“ sein. Es geht um Orientierungswerte. Schafft Anreize, die die Therapieentscheidungen in den Praxen verbessern. Keine Verbote.
Macht andere Datenfriedhöfe nutzbar. Antibiotikamonitoring, Schlachthofbefunde, der Zustand von Falltieren in der Tierkörperbeseitigungsanstalten, Milchleistungsdaten, Salomnellen-Monitoring … es gäbe und gibt in der Tierhaltung eine Vielzahl von Daten. Sie auszuwerten und die Ergebnisse in einer Tiergesundheitsdatenbank möglichst gut nutzbar zu machen, würde die Tiergesundheit deutlich verbessern. Doch vielfach werden sie ängstlich gehütet. Warum? Darum:
Droht nicht immer gleich mit Sanktionen. Vergrault nicht die Menschen, von deren „Compliance“ positive Entwicklungen abhängen.
Aktuell gilt eher: Gibt es eine neue Erkenntnis, folgt ein neues Verbot. Politik und auch Bürger neigen dazu, auf jedes Problem mit „starker Hand“ zu reagieren. Das sichert politischen und medialen Beifall in aufgeheizten Debatten.
Doch der Sache hilft das selten: Gerade wenn es darum geht, über Daten Erkenntnisse zu gewinnen, dann ist man drauf angewiesen, dass die „Betroffenen“ mitmachen. Es sind Tierärzte und Tierhalter, die die validen Tiergesundheitsdaten aus den Beständen liefern müssen – und können.
Doch aktuell macht sich in der Branche eher Resignation breit: Wer mitmacht, sorgt nicht für positive Weiterentwicklung; er liefert Munition für Restriktion.
Was das alles mit der bunten Infografik vom Anfang zu tun hat?
Sie steht mit ihrem Unterton genau für dieses Klima von Restriktion und Resignation:
Sie weist der Tierhaltung Schuld zu. Ein Komplettverbot der „Reserveantibiotika“ hätte man wohl gerne gehabt; so bleibt „nun lediglich“ ein Umwidmungsverbot.
Es ist die damit verbundene politische Botschaft, die enttäuscht.