Antibiogrammpflicht, Umwidmungsverbot, Dokumentationsvorschriften – die überarbeitete Tierärztliche Hausapothekenverordnung (TÄHAV) ist seit 1. März in Kraft. Doch es bleiben Unsicherheiten: Was gilt wann wie? wir-sind-tierarzt erklärt das Grundprinzip anhand von Diagrammen, die als „Entscheidungsbaum“ dienen können.
von Jörg Held
mit Material von Dr. Ilka Emmerich (VetiData/BTK-Arzneimittelausschuss)
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Alle in diesem Artikel eingebundenen Fließdiagramme können Sie hier als PDF-Datei herunterladen
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Eine Gegenüberstellung von altem TÄHAV-Wortlaut und jetzt neu geltenden Vorgaben inklusive der amtlichen Begründungen für die neuen Vorschriften können Sie hier als PDF-Datei herunterladen
Die seit 1. März 2018 gültige Änderung der Tierärztlichen Hausapothekenverordnung (PDF-Download hier) reguliert den Antibiotikaeinsatz bei Nutz- und(!) Haustieren strenger. Es gibt Umwidmungsverbote, eine Antibiogrammpflicht und umfangreiche Dokumentationsvorschriften.
Antibiogrammpflicht: Voraussetzungen und Ausnahmen
Mit der Antibiogrammpflicht nach § 12c der TÄHAV will der Gesetzgeber einen zielgenaueren Einsatz von Antibiotika in der Tiermedizin erreichen und zwar vor allem bei Nutztieren. Deshalb unterscheidet er bei der Antibiogrammpflicht (siehe Diagramm oben) zwischen Gruppen- und Einzeltierhaltung:
- Für Nutztiergruppen (Huhn, Pute, Rind und Schwein) können fünf Voraussetzungen eine Antibiogrammpflicht auslösen (siehe Grafik). Schon wenn eine davon zutrifft, muss der Tierarzt ein Antibiogramm erstellen. Die wichtigste dürfte die Antibiogrammpflicht bei Anwendung von Fluorchinolonen und Cephalosporinen der 3./4. Generation sein. Das zielt auf die politische Debatte um den Einsatz sogenannter „Reservantibiotika“ (mehr zur dazu hier).
- Bei Einzeltierbehandlungen (Hund, Katze, Pferd/Rind, Schwein) gelten nur zwei der fünf Voraussetzungen: der Einsatz eines für die Tierart nicht zugelassenen Antibiotikums (also bei einer Umwidmung) und die Anwendung eines für die Humanmedizin als kritisch geltenden Antibiotikums.
- Bei Kleintieren gilt die Antibiogrammpflicht aber nur für Hund und Katze. Für alle anderen, nicht genannten Tierarten, insbesondere minor species gibt es keine Antibiogrammpflicht.
Ein Antibiogramm ist auch nicht erforderlich, wenn
- die Probennahme die Gesundheit des Tieres zusätzlich beeinträchtigen könnte (es zum Beispiel sediert werden muss)
- der Erreger nicht mittels zellfreier künstlicher Medien kultiviert werden kann, oder
- für die Bestimmung der Empfindlichkeit des Erregers keine geeignete Methode verfügbar ist.
Die Antibiogrammpflicht ist und bleibt dabei nur ein Element zur Absicherung der tierärztlichen Diagnose. Sie soll nicht die Anwendung von Antibiotika verhindern. Auch wenn die TÄHAV einen Resistenztest vorschreibt, bleibt die tierärztliche Therapiefreiheit und die Interpretation der Befunde erhalten.
Oder – wie es Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Hansen auf dem bpt-Fachforum Antibiotikaeinsatz in Berlin formulierte:
„Sie müssen ein Antibiogramm anfertigen. Das ist vorgeschrieben. In der TÄHAV steht allerdings nicht, dass sie sich daran halten müssen.“
Das Antibiogramm bleibt (so steht es auch in der TÄHAV-Begründung) „ein wichtiges diagnostisches Hilfsmittel“. Damit ist es nur ein Element der tierärztlichen Diagnose und Therapie.
Die Kernaussage des § 12c ist:
- Ein Tierarzt muss im Rahmen der Behandlung zwingend(!) ein Antibiogramm anfertigen (lassen) und dessen Ergebnisse dokumentieren, wenn eine(!) der im Diagramm beschriebenen Voraussetzungen gegeben ist und keines der Ausschlusskriterien greift.
- Wann er dieses Antibiogramm erstellt – ob vor oder während der Behandlung – liegt in seinem Ermessen.
- Er darf – auch mit Blick auf den Tierschutz und die Tiergesundheit – unverzüglich mit der Einleitung einer antibiotischen Therapie seiner Wahl beginnen. Die Ergebnisse des Antibiogramms müssen nicht vorliegen.
- Es ist sinnvoll, die Proben für das Antibiogramm vor Beginn der Behandlung mit antibiotischen Wirkstoffen zu nehmen – auch damit gegebenenfalls Probenmaterial vorliegt, falls ein Antibiogramm erst später (zum Beispiel bei einem Therapiewechsel) notwendig wird.
- Der Tierarzt muss aber genau dokumentieren, warum er welches Antibiotikum ausgewählt und eingesetzt hat und/oder gegebenenfalls kein Antibiogramm erstellt hat (siehe Abschnitt 4: Dokumentationspflicht).
Umwidmungsverbot: Wenig zielführend
Das neue Umwidmungsverbot in § 12b der TÄHAV betrifft antibiotische Wirkstoffe,
die eine besondere Bedeutung für die Humanmedizin haben. Die TÄHAV nennt die Fluorchinolone und Cephalosporine der 3. Generation (die beide oft fälschlicherweise auch als „Reserveantibiotika“ bezeichnet werden) sowie die Cephalosporine der 4. Generation (die von der WHO tatsächlich als Reserveantibiotika eingestuft sind).
Mehr Informationen: Die WHO-Liste der Reserveantibiotika der Humanmedizin und eine Erklärung, was Reserveantibiotika von „kritischen Antibiotika“ unterscheidet.
Die Regeln für das Umwidmungsverbot:
- Ein Umwidmungsverbot gilt zunächst nur, wenn der Tierarzt ein Fluorchinolon oder Cephalosporin der 3./4. Generation bei einer Tierart anwenden will, für die es keine(!) Zulassung hat.
Hat das „kritische“ Antibiotikum eine Zulassung für eine Indikation bei der Zieltierart, der Tierarzt möchte es aber für eine andere Indikation/ein anderes Anwendungsgebiet bei dieser Tierart einsetzen, dann darf er das auch weiterhin. Die erste Stufe der Umwidmungskaskade bleibt also erlaubt. - Somit hat das Umwidmungsverbot nur eingeschränkt Konsequenzen. Es greift für Nutztiere im Praxisalltag kaum, denn hier gibt es ausreichend zugelassene Präparate mit diesen Wirkstoffen.
- Etwas kritischer wäre die Lage bei Haustieren. Deshalb gilt das Umwidmungsverbot hier auch nur für Hund und Katze. Bei allen anderen in der Verordnung nicht genannten Tierarten (insbesondere minor species) ist eine Umwidmung der Wirkstoffe weiter erlaubt.
(Einen Artikel über „Therapiegrundsätze, Auswahlkriterien, und Diagnostik beim Einsatz von Fluorchinolonen und Cephalosporinen in der Kleintiermedizin“ hat das Online-Portal vetline.de hier veröffentlicht) - Außerdem darf ein Tierarzt bei einem Therapienotstand auch weiter im Rahmen der klassischen Umwidmungskaskade nicht zugelassene Medikamente mit diesen Wirkstoffen umwidmen und einsetzen – wenn die „notwendige arzneiliche Versorgung der Tiere ansonsten ernstlich gefährdet ist“.
Er muss die nötige Unwidmungskaskade dafür jetzt zweimal prüfen:- für den Therapienotstand klassisch nach § 56a Absatz 2 AMG
- und für den Tierschutzvorbehalt neu nach § 12b Satz 2 TÄHAV.
- Wichtig: Setzt er einen der genannten Wirkstoffe ein, dann muss er das begründen und dokumentieren. Das gilt für die Umwidmung und auch die Ergebnisse des eventuell erforderlichen Resistenztests (§ 13 Satz 4 TÄHAV). Wie und wo (Patientenakte?) ist nicht vorgeschrieben.
Antibiogramm: Welcher Resistenztest ist „national oder international anerkannt“
Den größten Klärungsbedarf gibt es noch bei den Vorgaben, wie und mit welchem Verfahren ein Antibiogramm erstellt werden muss. Die Vorschriften im neuen § 12d der TÄHAV sollen sicherstellen, dass sich die entnommenen Proben für eine aussagekräftige Labordiagnostik auch eignen und die angefertigten Antibiogramme fachlich fundierte Aussagen über die Empfindlichkeit des untersuchten bakteriellen Erregers gegenüber antibakteriellen Wirkstoffen liefern.
Was aber gilt als „verfügbares, national oder international anerkanntes Verfahren“? Welche Verfahren liefern, vom wem angewandt für welchen Anwendungszweck, ausreichend fundierte Aussagen? Darum wird noch gerungen.
Zählt der Agardiffusionstest dazu? Kann ein Tierarzt in der Praxis die Erreger aus Proben isolieren? Müssen die (praxisinternen) Labore zertifziert sein und wenn ja wie (DIN oder CLSI-Standard)? Wie sinnvoll ist es, wenn Proben für ein Antibiogramm stets eingeschickt werden müssten? Kann man dem Tierarzt das Recht auf Diagnostik in der eigenen Praxis nehmen? Hierzu gibt es ganz erheblich voneinander abweichende Meinungen, wie die TÄHAV auszulegen sei.
Nachweis und Dokumentationspflichten
Aus Sicht des Bundeslandwirtschaftsministeriums ändern die neuen Vorgaben der TÄHAV dennoch wenig für Tierärzte, die im Praxisalltag Antibiotika auf Grundlage der Tierärztlichen Antibiotika-Leitlinien (PDF-Download hier) anwenden: „Die Leitlinien bestehen seit Jahren. Jetzt werden sie durch die Nachweispflichten eingefordert,“ argumentiert die für Tiergesundheit zuständige Ministerialdirigentin Dr. Karin Schwabenbauer.
Doch genau diese jetzt geforderten Nachweise erzeugen in den Praxen einen sehr aufwändigen zusätzlichen Dokumentationsaufwand, ohne das aus Tierarztsicht die Therapie verbessert würde.
Der § 13 der TÄHAV präzisiert zunächst die nachzuweisenden Angaben, die für alle Medikamente gelten – und zwar sowohl für Lebensmittel liefernde als auch für Kleintiere.
Dokumentiert werden müssen:
- Anwendungs‐ oder Abgabedatum,
- Name und Anschrift des Tierhalters,
- Anzahl, Art und Identität der behandelten Tiere,
- Arzneimittelbezeichnung und
- angewendete oder abgegebene Menge des Arzneimittels.
Neue Dokumentationspflichten gelten zusätzlich für den Antibiotikaeinatz:
- Es muss neben Anwendungs/Abgabedatum auch das Untersuchungsdatum angegeben sein.
- Das geschätzte Gewicht ist anzugeben. So will man Dosierungen nachvollziehen können.
- Bei einer Anwendung von Antibiotika bei Masttieren (Rind, Schwein, Huhn, Pute gemäß § 58 AMG/Antibiotiakaminimierungskonzept) sind die Nutzungsart, die antibiotischen Behandlungstage inklusive Wirktage (insbesondere bei one-shot/long-acting-Präparaten) und VVO-Nummer des Betriebes anzugeben.
Außerdem muss der Tierarzt folgendes dokumentieren:
- Ausnahmen vom Umwidmungsverbot
Setzt der Tierarzt einen antibiotischen Wirkstoff trotz Umwidmungsverbot (§ 12b) ein, muss er genau beschreiben, warum in diesem Fall ein Therapienotstand vorlag und der Tierschutzvorbehalt greift. - Ausnahme von der Antibiogrammpflicht
Wäre nach § 12c ein Antibiogramm zu erstellen gewesen, muss der Tierarzt die Gründe für dessen Nichterstellung dokumentieren. - Durchführung eines Antibiogramms
Hat er ein Antibiogramm erstellt, muss der Tierarzt Angaben zur Probenentnahme, zur Identität der beprobten Tier, zur Erregerisolierung, Diagnose, Bezeichnung des verwendeten Test und zur Bewertung der Ergebnisse machen.
Einen Vordruck für einen Anwendungs- und Abgabebeleg (AuA) hat VetiData erstellt (PDF-Download). Auch der bpt hat für Mitglieder eine ausfüllbare AuA-PDF bereitgestellt (LogIn-erforderlich).
Unabhängig vom Antibiotkaeinsatz wurde auch noch die Inventurvorschrift für verschreibungspflichtige Arzneimittel in der Tierärztlichen Hausapotheke geändert. Jetzt sind auch Datum und Ergebnis der Inventur zu dokumentieren.
TÄHAV korrekt umsetzen: Unsicherheiten bleiben
Mit dem Entscheidungsbäumen können Tierärzte die TÄHAV-Anforderungen zwar in den Grundzügen umsetzen. Aber obwohl die Verordnung in Kraft ist, bleiben Unsicherheiten und zwar sowohl für die Praktiker als auch für die Überwachungsbehörden. Es gibt noch eine ganze Reihe von unbestimmten Rechtsbegriffen und Formulierungen, bei denen nicht ganz eindeutig ist, wie sie letztlich auszulegen, anzuwenden und/oder korrekt zu dokumentieren sind.
Deshalb treffen sich am 10. April Vertreter der Tierarztverbände (BTK/bpt/BbT) gemeinsam mit für die Überwachung zuständigen Ländervertretern (AG TAM), um über Auslegungshinweise zu sprechen. Bei den Praktikern herrscht allerdings Skepsis. Ein erstes Papier enthalte viele Ansätze, die man so nicht mittragen könne.
Auch der Vizepräsident des Bundesverbandes der beamteten Tierärzte, Dr. Arno Piontkowski, forderte beim bpt-Fachforum deshalb:
„Die bestehenden Rechtsunsicherheiten müssen unbedingt vor etwaigen Verfahrenseinleitungen ausgeräumt werden, Auslegungshinweise sind zwingend erforderlich. Wir sollten dabei auf einen konstruktiven Dialog zwischen Überwachung und Praktikerschaft setzen.“