Tierarzt-Benchmarking – das Beispiel der Niederlande

© WiSiTiA/hh

Kommt ein „Tierarzt-Benchmarking“ für Antibiotiaverordnungen? Die Bundesregierung hat ein solches „Rückkoppelungssystem“ in der Deutschen Antibiotikaresistenzstrategie (DART 2020) vorgesehen. Die Mehrheit der Bundesländer will sogar eine „Meldepflicht“ für Tierärzte. Wir haben uns das mögliche Vorbild „Niederlande“ einmal angesehen. Dort ist der Tierarztvergleich bereits eingeführt. 

von Annegret Wagner und Jörg Held

Mit einem Antibiotikamonitoring erfasst und vergleicht Deutschland seit dem Jahreswechsel 2014/2015 bereits den Antibiotikaeinsatz der Nutztierhalter (aktuelle Zahlen hier). Einen Tierarztvergleich sieht das deutsche Arzneimittelgesetz (AMG) aber nicht vor, denn rechtlich verantwortlich für die Daten ist der Nutztierhalter, weil er über die für die Tiergesundheit massgeblichen Haltungsbedingungen der Tiere entscheidet.
Doch weil sowohl die Bundesregierung mit diesem Satz in der DART 2020

“Erarbeitung von Eckpunkten für ein Rückkopplungssystem für Tierärzte, mit dem Tierärzte ihren Antibiotikaeinsatz untereinander vergleichen können.”

… als auch die Mehrheit der Länderagrarminister mit ihrem „Cross-Check“-Gedanken auf der aktuellen Agrarminister-Konferenz in Fulda eine zusätzliche Kontrolle der tierärztlichen Antibiotikaverordnungen ins Spiel gebracht haben, lohnt ein Blick auf die möglicherweise als Vorbild geltenden Niederlande:

Das holländische Ampelsystem

Dort gibt es seit 2014 mit dem Veterinary Benchmark Index (VBI) ein solches Vergleichssystem – auf privater Basis und von Tierärzten mitgestaltet. Verantwortlich ist die unabhängige Netherlands Veterinary Medicines Authority (SDa). Und da Deutschland, Dänemark und Holland eine enge Zusammenarbeit unter anderem bei der Antibiotikaminimierung vereinbart haben, liegt es nahe, dass man dann auch vergleichbare „Mess-Systeme“ etablieren will.
Die niederländischen Idee, auch die Tierärzte zu klassifizieren, entstand, weil der Antibiotikaverbrauch zwar insgesamt sehr deutlich gesenkt werden konnten (um über 50 Prozent bezogen auf den Verbrauch in Tonnen von 2009 bis 2012). Die Reduzierung gelang aber nicht in allen landwirtschaftlichen Betrieben. Deshalb teilt das Nachbarland seit 2011 mit einem Ampelsystem zunächst die Nutztierbetriebe in drei verschiedene Kategorien ein. Es gibt:

  • eine Target Zone (1. Drittel – Zielgruppe, grün): Hier ist der Antibiotikaeinsatz gering bis akzeptabel.
  • eine Signaling Zone (2. Drittel – Alarmstufe, gelb): Hier sollten Landwirt und Tierarzt den Antibiotikaeinsatz beobachten und sich Gedanken über eine Reduzierung machen. Es gibt aber keine Sanktionen.
  • eine Action Zone (3. Drittel – Aktionsstufe rot): Diese Landwirte müssen ihren Antibiotikaeinsatz senken.
So hat sich von 2012 bis 2014 die Einstufung der Nutztierbetriebe in den Niederlanden verändert. (Tabelle ©Sda-Bericht)

So hat sich von 2012 bis 2014 die Einstufung der Nutztierbetriebe in den Niederlanden verändert. (Tabelle ©Sda-Bericht)

Das System in etwa vergleichbar mit der deutschen Kennzahl-Einteilung beim Antibiotikamonitoring gemäß Arzneimittelgesetz: Hier sind Betriebe unter der „Kennzahl 1“  im grünen Bereich; Betriebe über dem Median (oberhalb der Kennzahl 1), sollen ihren Verbrauch überprüfen; Betrieb im letzten Quartil (über Kennzahl 2) müssen einen Reduzierungsplan vorlegen.

Wie errechnen sich die Grenzwerte?

Bei der Definitionen, ab welchem Antibiotikaeinsatz welche Zone erreicht ist, unterscheiden die Holländer nach Tierart (Schwein/Rind/Geflügel). Sie errechnen die Grenzwerte aus dem Verbrauch von Antibiotika pro behandeltem Kilogramm Tier umgerechnet in Behandlungstage. Errechnet werden die landesweiten durchschnittlichen Behandlungstage pro Tierart (DDDAnat = Defined Daily Dose Animal national) und die durchschnittlichen Behandlungstage pro Betrieb (DDDAf = Defined Daily Dose Animal farm). Anhand dieser Ergebnisse werden die Grenzen zwischen den Gruppen festgelegt. Es soll so auch ein Vergleich mit dem in der Humanmedizin üblichen Antibiotiakeinsatz gemessen in DDD möglich werden (Defined Daily Dose pro 1.000 Patienten / 365 Tagen).
Anders als beim deutschen „Therapiehäufigkeits-Index“ ist hier ein Vergleich des Antibiotikaeinsatzes zwischen den Tierarten möglich.

Stufe „rot“ – die „Action Zone“ für Tierärzte

Benchmark-Einstufung der niederländischen Tierärzte _ Datenbasis 2014. (Tabelle: © SDa-Bericht)

Benchmark-Einstufung der niederländischen Tierärzte – Datenbasis 2014. (Tabelle: © SDa-Bericht)

Die Klasseneinordnung der Landwirte (grün/gelb/rot) bestimmt in einem zweiten Schritt auch die Einstufung des behandelnden Tierarztes. Dazu muss jeder Betrieb – anders als in Deutschland, wo ein Landwirt mehrere Tierärzte haben kann – einen 1:1 Betreuungsvertrag mit einem Tierarzt vorweisen:

  • Hat ein Tierarzt (mehrfach!) mehr als 30 Prozent „rote“ Problembetriebe in seinem Kundenstamm, wird auch er selbst in die schlechteste Kategorie (rot/Action Zone) eingestuft. Und es wird zumindest angenommen, dass er aufgrund seines Verschreibungsverhaltens verantwortungsvoller mit dem Einsatz von Antibiotika umgehen könnte, beziehungsweise die Probleme in seinen Betrieben nicht in den Griff bekommt.
  • Entsprechend finden sich ein Tierarzt in der Alarmstufe (Signaling Zone/gelb), wenn 10 bis 30 Prozent seiner Kunden „rot“ eingestuft sind.
  • Und um als „Grün“ (Target Zone) klassifiziert zu werden, dürfen nur bis unter zehn Prozent der von einem Tierarzt betreuten Betriebe als „rote“ Vielverbraucher gelten.

Wichtig dabei ist: Die Einstufung gilt individuell für den einzelnen Tierarzt, nicht insgesamt für eine Tierarztpraxis mit mehreren Tierärzten.

Die Orientierung am Anteil der „Vielverbraucher“ (rot) halten die Sda-Experten für sinnvoll, denn jeder Tierarzt könne Problembetriebe oder schwarze Schafe in seinem Kundenstamm haben. Einzelne Betriebe fallen dabei nicht so stark ins Gewicht. Erst wer mehr als 30 Prozent Problemkunden hat, kommt in Erklärungsnot.

Die Expertenkommission erkennt außerdem an, dass unter Umständen einige Tierärzte mit besonderer Fachkenntnis explizit von Problembetrieben angefordert werden. Aber auch diese Tierärzte sieht sie in der Pflicht, den Landwirt aufzufordern, Missstände abzustellen, die die Tiergesundheit beeinträchtigen. Defizite in der Haltung sollen nicht dauerhaft durch höheren Antibiotikaeinsatz ausgeglichen werden.

Erste Auswertungen

Bei den ersten Auswertungen (2013) hat die Kommission die größten Unterschiede im Verschreibungsverhalten von Tierärzten im Bereich Mastkälber und Schweine gefunden. Es variiert hier je nach Tierarzt zwischen dem Faktor 5 und 20. Im Rindersektor wurden die geringsten Unterschiede zwischen den Behandlungen der einzelnen Tierärzte gefunden. Inzwischen liegenauch Daten für 2014 vor (siehe Quellen).

Welche „Strafen“ gibt es?

Da die Daten bisher von privater Seite (also ähnlich dem deutschen QS-System) erfasst werden, ist noch nicht klar, welche Konsequenzen den Tierärzten in der „Action Zone“ drohen. Eventuell könnten sie die Betreuung der entsprechenden Problembetriebe untersagt bekommen. Bisher ist es dem tierärztlichen Berufsstand überlassen, die Ursachen für die Unterschiede in der Verschreibung herauszuarbeiten und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.

Im deutschen QS-Antibiotikamonitoringsystem lassen sich ebenfalls bereits die gemeldeten Daten so auswerten, dass die Tierarztpraxen sich untereinander (anonym) vergleichen können. Auch hier ist davon auszugehen, dass besonders die Integrationen im Geflügelbereich stark darauf achten, dass ihre betreuenden Tierärzte nicht dauerhaft zu den Vielverordnern zählen.

wir-sind-tierarzt.de meint:

(jh) – Das holländische System hat aus unserer Sicht durchaus Vorteile:

    1. Es macht deutlich, dass eine pauschale Mengenreduzierung in Tonnen – wie vor allem von Grünen Politikern immer wieder gefordert – für die Tiergesundheit und wohl auch für die Resistenzbildung (siehe Dänemark) weniger bringt als erhofft. Die holländischen Reduzierungsraten in Tonnen sind mit minus 50% sehr gut. Dennoch hielt man im Nachbarland schon nach zwei Jahren eine zweite Vergleichsmöglichkeit direkt auf Einzelbetriebsebene für nötig. Ein solcher Betriebsvergleich ist aber sowohl im staatlichen deutschen Antibiotikamonitoring wie auch im QS-Monitoring möglich.
    2. Die Niederländer haben auch erkannt, dass es wichtig ist, die Menge der eingesetzten Antibiotika in Relation zum Gewicht der behandelten Tiere zu setzen. Eine 600 Kilo-Kuh verlangt nun mal eine andere Medikamentenmenge als ein 60-Kilo-Mensch. Indem sie auch bei Tieren die Defined Daily Doses etabliert haben, ist in den Niederlanden der Vergleich mit den Verbrauchsmengen der Humanmedizin – bei allen weiter bestehenden Unterschieden – zumindest etwas besser möglich.
      Anders in Deutschland: Hier werden in der politischen Debatte munter Tonnenzahlen gegeneinander aufgerechnet, ohne das es überhaupt verlässliche Angaben zu den humanmedizinischen Verordnungen gibt.
    3. Ein Tierarztvergleich muss nicht schlecht sein. Die unabhängige SDa hat festgestellt: „Tierärzte verschreiben nicht nur Antibiotika, sie sind auch (mit)verantwortlich für die Tiergesundheit auf den betreuten Betrieben.“
      Das ist eine Tatsache. Und wenn sie in Überwachungssysteme eingebaut wird – so denken zumindest die Niederländer – stärkt das sogar die Rolle des Tierarztes bei der Bestandsbetreuung, weil sie klar belegen können, dass im Betriebsvergleich etwas nicht stimmt und geändert werden muss.

      Der Index ist im übrigen durchaus fair gestaltet, denn er akzeptiert, dass es in einzelnen Betrieben temporär Gesundheitsprobleme geben kann, die ein Mehr an Antibiotikabehandlung notwendig machen. Wenn aber mehrfach über 30 Prozent der Betriebe „rot“ sind, fragt sich jeder verantwortungsvolle Tierarzt schon selbst, was bei ihm schief läuft.
    4. Der Veterinary Benchmark Index (VBI) ist also auch ein Qualitätsmasstab für die tierärztliche Arbeit. Den kann man, wie alle Regeln auch „aushebeln“ – etwa in dem man in Gemeinschaftspraxen die Zuständigkeit für Problembetriebe zwischen den einzelnen Tierärzten hin- und herschiebt und so dafür sorgt, dass der einzelne Kollege nicht in den „roten Bereich“ rutscht.
      Doch wie immer gilt: Eine Regel ist nicht grundsätzlich schlecht, nur weil man sie brechen oder umgehen kann.
    5. Das führt zu der Frage: Warum denkt man in Deutschland über ein Tierarzt-Monitoring nach? Die Grüne „Cross-Check“-Idee, die den Nutztierhaltern Fehleingaben unterstellt und diese durch Tierarztkontrollen aufdecken will, ist  wenig konstruktiv.
      Wenn es dagegen darum gehen sollte, ein Benchmark-System zu etablieren, bei dem Tierärzte sich an den besseren messen und von diesen lernen, spricht wenig dagegen – solange der bürokratische Aufwand in Grenzen bleibt. Im privatwirtschaftlichen QS-System ist ein Tierarztbenchmarking bereits möglich, die notwendigen Daten sind bereits erfasst.

Quellen:
Das niederländische Tierarzt-Benchmark-System (PDF-Download)

Niederländischer Benchmark-Jahresbericht 2014 (veröffentlicht 9/2015 – PDF-Download)

DART 2020
Themenseite Bundesgesundheitsministerium DART 2020
Gemeinsame Pressemitteilung Bundesgesundheits- und Bundeslandwirtschaftsministerium
DART 2020 – Broschüre (PDF-Download)
Auszug DART 2020 – Veterinärmedizin (PDF-Download)

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