AniCura – Start einer neuen Tierarztkette in Deutschland?

Hund und Katze – Das Logo der auf Kleintierzentren spezialsierten schwedischen Tierklinik-Kette "AniCura AB" (@Presse/AniCura)Hund und Katze – Das Logo der auf Kleintierzentren spezialsierten schwedischen Tierklinik-Kette "AniCura AB" (@Presse/AniCura)

Zunächst sah es nur aus wie eine Namensänderung: Vier Kleintierpraxen aus dem Schwäbischen und eine Klinik kooperieren unter der Dachmarke „Kleintierspezialisten Ravensburg“. Doch vier der fünf Partner verbindet auch der Name „AniCura“. Der aber gehört zu einer großen, auf Kleintierzentren spezialisierten, schwedischen Tierarztkette. Ist das der Einstieg skandinavischer Investoren in den deutschen Praxismarkt?

von Jörg Held

Hinweis: Dieser Artikel wird bei einer Google-Suche häufig zuerst angezeigt, stammt aber aus 6/2015.
Die aktualisierte Übersicht der Standorte von AniCura und Evidensia finden Sie am Ende dieses Artikels.
Alle unsere Artikel zu dem sich schnell weiterentwickelnden Thema „Kapitalinvestoren“ können sie hier im Überblick ansehen.

Auf der Webseite der „AniCura Kleintierspezialisten Ravensburg GmbH“ heißt es unverfänglich: „Auf Initiative von Tierarzt Thomas Rieker und Dr. med. vet. Ulrich Göggerle, … wurde die ehemalige Kleintierklinik am Hochberg … im Jahr 2010 gegründet. Im März 2015 wurde der Name in „AniCura Kleintierspezialisten Ravensburg“ geändert.“

Hund und Katze – Das Logo der auf Kleintierzentren spezialsierten schwedischen Tierklinik-Kette "AniCura AB" (@Presse/AniCura)

Hund und Katze – Das Logo der auf Kleintierzentren spezialsierten schwedischen Tierklinik-Kette „AniCura AB“ (@Presse/AniCura Group)

Geschäftsführer der neuen GmbH sind laut Impressum die beiden Tierärzte Rieker und Göggerle sowie wie Thomas Engzell. Gibt man in der google-Suche nun „anicura.de“ (die Domain der Kleintierspezialisten-E-Mail-Adresse ravensburg@anicura.de) ein, öffnet sich die Internetseite der AniCura Group aus Danderyd/Schweden. Bei der schwedischen Klinikkette ist Thomas Engzell seit November 2014 M&A-Director (Merger & Akquisition) – also für die Expansion in Europa zuständig. Das schwedische Logo (rechts) findet sich auch auf der Ravensburger Klinikhomepage.
(Nachtrag: Inzwischen hat die AniCura Group auch eine deutschsprachige Webseite und weist offiziell sieben Standorte in Deutschland und Österreich aus – siehe unten.)

Ein aktuallisierte Übersicht zum Thema „Kapitalinvestoren – Segen oder Fluch?“ finden Sie hier (Stand 12/2015)
Eine Liste mit den Klinik-Namen der  aktuellen deutschen AniCura-Standorte haben wir hier zusammengestellt (Stand 6/2016)

AniCura: 100 Millionen Euro frisches Kapital

Die schwedischen Klinik-Kette „AniCura AB“ hat bisher Dependancen in Norwegen und Dänemark, aber – zumindest laut schwedischer Homepage – offiziell noch keinen Standort in Deutschland. Allerdings ist in Düsseldorf eine „AniCura Germany Holding“ registriert, deren Geschäftszweck wie folgt beschrieben ist: „Der Gegenstand der Gesellschaft ist das Halten von Beteiligungen an Gesellschaften jedweder Rechtsform, welche tiermedizinische Zentren aller Art betreiben …“. Auch in der AniCura-Holding ist Thomas Engzell Geschäftsführer.
In Skandinavien behandeln die 1.800 „Professionals“ der Kette (darunter über 400 Tierärzte) an 80 Standorten über 650.000 Patienten jährlich – so steht es im LinkedIn-Profil der Kette. Entstanden ist AniCura 2011 aus der Fusion von vier Tierkliniken. Bereits seit 2011 ist auch der Private-Equity-Investor Fidelio Capital beteiligt. 2014 ist dann die Private-Equity-Investment-Gesellschaft „Nordic-Capital“ bei AniCura eingestiegen – mit 100 Millionen Euro. Erklärtes Ziel: Die Professionalisierung und Expansion des Geschäftes. Nordic Capital hat nach eigenen Angaben einen Investitions-Schwerpunkt in Deutschland sowie in „healthcare“-Unternehmen weltweit.

Expansionsziel Deutschland – Sieben AniCura-Standorte

AniCura ist außer in Skandinavien auch mit der AniCura Austria Holding in Österreich aktiv – dort führt zum Beispiel die Tierklinik Hollabrunn das AniCura-Logo – und die Schweden expandieren auch nach Deutschland. Hierzulande lassen sich bereits acht Standorte von Tierkliniken und Tierarztpraxen finden, von denen sieben AniCura im Namen führen und einer über Gesellschafter einen Bezug zu AniCura aufweist:

AniCura Kleintierspezialisten Ravensburg GmbH mit den angeschlossenen Praxen

AniCura Kleintiermedizinisches Zentrum Hüttig GmbH in Reutlingen

AniCura Tierärztliche Spezialisten Hamburg GmbH – die Praxis der Augen/Dermatologieexperten Jens und Monika Linek

AniCura Tierärztliche Klinik Neu-Ulm – vormals Tierklinik P. Neuhofer

Aktuell spricht die AniCura weitere Tierärzte an, soll dabei aber vorrangig nur Interesse an größeren Kliniken und Spezialisierungen haben. Dafür spricht auch die Dach-Firmierung mit dem Begriff  „AniCura…Spezialisten“. Das Beispiel Ravensburg zeigt aber auch ein denkbares „Hub“-Modell: Um eine zentrale Klinik werden kleinere Satelliten-Praxen angesiedelt.

Beteiligung von Investoren erlaubt?

Rechtlich dürfen Tierarztpraxen/Tierkliniken in Deutschland zwar von juristische Personen – also wie im AniCura-Fall von einer GmbH – betrieben werden. Die Mehrheit und die geschäftsführende Verantwortung muss aber laut Heilberufegesetzen und Berufsordnungen der meisten Länder/Kammern noch bei einem Tierarzt liegen. Diese Einschränkung ist für das Bundeslandwirtschaftsministerium noch „eine rote Linie“, die es auch gegen EU-Freizügikeitsbestrebungen verteidigen will (wir-sind-tierarzt.de berichtete hier).
Ob und wenn ja, über welche Vertragskonstruktionen sich die Schweden das „Sagen“ in den GmbH’s gesichert haben, ist nicht bekannt. Dass ein derart kapitalstarker Investor sich dauerhaft mit Minderheitsanteilen zufrieden gibt, ist aber unwahrscheinlich – und entspricht auch nicht dem Geschäftsmodell in Skandinavien. Dort sind die Kliniken praktisch immer zu 100 Prozent in AniCura-Besitz (eine einzige 92% Beteiligung lt. aktuellstem Geschäftsbericht 2013). Denkbar ist ein fest vereinbartes Vorkaufsrecht – wenn die EU also die geltende deutsche Fremdkapitaleinschränkungen kippt, könnte AniCura die GmbH’s komplett übernehmen.

Wie schnell die Schweden einen Markt umkrempeln können – wenn die rechtlichen Rahmenbedingungen stimmen – berichtete Torsten Jakobsson, Präsident des Schwedischen Tierärzteverbands, bei einem Workshop des Europäischen Tierärzteverbandes (FVE): 2012 seien die Ketten praktisch noch nicht existent gewesen, 2104 repräsentierten die Gesellschaften „Evidensia“ (90 Tierkliniken) und „AniCura“ (55 Kliniken) schon 50 Prozent des schwedischen Marktes.

Gefahr oder Chance – die Folgen für deutsche Praxen

bpt-Geschäftsführer Heiko Färber sieht für bestehende Praxen zunächst keine „Gefahren“. Seiner Ansicht nach ist für den durchschnittlichen Kleintierpraktiker weniger eine Hightech-Ausstattung entscheidend als viel mehr

  • eine konsequente Praxisausrichtung
  • gute Kundenkommunikation und
  • gutes Fachpersonal.

Die Arzt-Patientenbindung ist in Deutschland traditionell höher als in angelsächsisch geprägten Nachbarländern.

Steigen die Verkaufspreise für Praxen?

Möglicherweise könnte mit der Nachfrage durch Investoren der Marktwert bestehender Praxen sogar wieder steigen. Neben den Schweden wird auch britischen, amerikanischen und sogar asiatischen Tierarztketten und Investoren nachgesagt, aktuell den deutschen Markt auf Übernahmekandidaten zu sondieren.
Demographisch ist es so, dass es die nachrückende Generation der mehrheitlich Tierärztinnen lange nicht so stark in die eigene Praxis zieht, wie etwa die Generation der Baby-Boomer (Jahrgang 1960 ff). Die aber nähert sich dem Rentenalter und damit der Praxisabgabe. Neue Kaufinteressenten könnten den Preisen also gut tun.
Auch für Best-Ager-Kollegen, die „nicht mehr so aufs Geld schauen müssten“ und die sich wieder stärker auf ihre medizinische Spezialisierung konzentrieren wollen, könnte eine Kettenbeteiligung schon vor der Rente interessant sein, glaubt Färber: „Kein Stress mehr mit Putz- und Urlaubsplänen, Einkauf, Verwaltung, Personalsuche und Co“. Diese Aufgaben übernehmen die Ketten zentral.

Früh (noch) günstig einkaufen, das könnte auch die Motivation von AniCura sein, sich jetzt schon Beteiligungen zu sichern – in Erwartung, dass EU-Vorgaben dann in den nächsten drei bis fünf Jahren auch den deutschen Tierarztpraxen-Markt für Investoren komplett öffnen.

Quellen/weitere Berichte:
alle Quellen sind im Text direkt verlinkt
„Fällt das Kapitalbeteiligungsverbot kommen die Tierarztketten“ (Bericht auf wir-sind-tierarzt.de vom 10.4.2015)
In einem Blog-Beitrag auf seiner Praxis-Homepage hat sich Tierarzt Ralph Rückert (Ulm) damit beschäftigt, wie sich Tierarztketten auf das Tierarzt-Tierhalter-Verhältnis auswirken könnten (22.7.2015).
(aktualisiert 12/2015)

Beitragsbild: Firmenlogo der AniCura Group, wie es auch auf den Webseiten der beteiligten Praxen angezeigt wird. (©Presse/AniCura Group)

 

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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