Eigentlich sind Schweinebäuche und disruptive Internetunternehmen wie der Privattaxianbieter Uber die angesagten Spekulationsobjekte der Finanzwelt. Doch in den USA setzt man inzwischen auf Medizin und – ja wirklich – sogar auf Tierärzte. Börsennotierte Tierklinikbetreiber schaffen über 70 Prozent Kurssteigerung binnen Jahresfrist. Ein Einstieg von Kapitalbeteiligungsgesellschaften könnten auch die deutsche Praxislandschaft durcheinanderwirbeln – wenn die EU wie geplant eine Änderung der Rechtsregeln durchsetzt.
von Henrik Hofmann und Jörg Held
Innerhalb der vergangenen sechs Monate hat die Aktie des US-Tierklinikbetreibers VCA 35 Prozent gewonnen, binnen Jahresfrist waren es sogar 77 Prozent Kurssteigerung. Seit 2012 befindet sich das Papier auf Rekordjagd. VCA betreibt über 600 Tierkliniken in den USA und Kanada und ist nach eigenen Aussagen Marktführer. Um zu expandieren, hatte das Unternehmen aus Los Angeles 2009 zuletzt auch Medizintechnikfirmen gekauft.
Bisher scheitern Tierarztketten
In Deutschland aber sind solche Tierarztketten bislang gescheitert. 50 Tierarztpraxis-Filialen mindestens waren einst das Ziel der Kette activet, die dem Heimtierbedarfs-Riesen Fressnapf zugeordnet wurde. Mehr als 13 wurden es nicht. Heute betreibt die activet GmbH noch einen Standort in Krefeld.
Relativ konstant in der Nische existiert das Franchise-System Smartvet mit 22 Praxispartnern.
In Großbritannien aber zum Beispiel sieht es anders aus: Über ein Drittel aller Kleintierpraxen gehören bereits dort zu einer der Ketten – die Umsätze gehen in die 100te Millionen Euro. In Schweden repräsentieren laut FVE zwei Klinikketten mit 155 Kliniken/Zentren etwa 50 Prozent des Marktes.
Größtes Hindernis: Kapitalbeteiligungsverbot
Doch warum wagen die kapitalkräftigen Klinikketten weder den Sprung über den Atlantik noch über den Kanal in den deutschen Markt?
Ein Grund ist sicherlich, dass deutsche Tierbesitzer den individuellen Kontakt zu „ihrem“ Tierarzt schätzen. Die freien Heilberufe (Ärzte/Zahnärzte/Tierärzte/Apotheker) haben (noch) einen hohen Stellenwert in der deutschen Gesellschaft. Stichworte sind „Vertrauens-“ und „Verbraucherschutz“. Da traut man Investoren wenig(er) zu.
Das eigentliche Hindernis aber ist das sogenannte Kapitalbeteiligungsverbot: Die Heilberufegesetze der 16 Bundesländer und die Berufsordnungen der Tierärztekammern nennen zwar bis auf Bayern und Bremen auch juristische Personen – also eine GmbH oder auch eine Aktiengesellschaft – als mögliche Betreiber einer Tierarztpraxis/Tierklinik. Sie schreiben aber auch vor, dass die medizinischen und die unternehmerischen Entscheidungen allein ein approbierter Tierarzt trifft. Das schmeckt den Kapitalgebern nicht – und auch nicht der Europäischen Kommission. Sie sieht durch die Vielzahl der Länderregeln die europäische Dienstleistungsfreiheit massiv behindert und will den Kapitalgebern den Marktzugang erlauben.
Rote Linie: Ein Tierarzt muss das sagen haben
Für des Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) sei es aber „eine rote Linie, dass der tierärztliche Berufsstand in jedweder Unternehmensform das Sagen behalten muss – weil es um öffentliche Gesundheit und Zoonosen geht“, betonte Ministerialrat Hans-Albrecht Carganico noch auf der letzten BTK-Delegiertenkonferenz im März in Berlin. Er ist der zuständige Referatsleiter Recht im BMEL und möchte gegenüber der EU aus der Defensive kommen: Das Ministerium will deshalb eine neue, bundesweit gültige Musterberufsordnung vorlegen, die inhaltlich mit den Vorgaben der EU-Dienstleistungsrichtlinie übereinstimmt. „Dann sollte EU-rechtlich nichts schief gehen“, glaubt Carganico.
Risiko Föderalismus: 17 Berufsordnungen sind der EU zuviel
Nur: Ob die Zeit bleibt, das zu realisieren, ist offen, denn zuständig bleiben eben die 16 Bundesländer und die 17 Kammerselbstverwaltungen. Sie müssten kurzfristig die gemeinsame Lösung umsetzen. Denn die EU macht Druck: „Es gibt kräftige Bestrebungen – Stichwort „Transparenzinitiative“ –, vor allem angeführt von Großbritannien und Schweden, diesen in Deutschland geltenden personenbezogenen Ansatz, aufzubrechen“, sagt Heiko Färber, Geschäftsführer des Bundesverbandes praktizierender Tierärzte.
Die „Rechtsformbeschränkungen“ sind bereits Gegenstand eines Pilotverfahrens gegen Deutschland. Das ist die letzte Vorstufe zur Klärung von Sachfragen, bevor die EU ein offizielles Vertragsverletzungsverfahren einleitet. An dessen Ende können dann wiederum hohe (Geld)Strafen stehen, weil ein Staat EU-Verträge nicht einhält.
Die Griechenlandkrise und die Tierärzte
Ob die Bundesregierung sich da auf einen Konflikt mit der EU einlässt, um einige tausend Tierarzpraxen zu schützen, darf bezweifelt werden. Zumal es wichtigere politische Baustellen gibt. Deutschland verlangt von anderen EU-Ländern harte und bis ins Portemonnaie eines jeden Bürgers dieser Staaten bitter spürbare Spar-Reformen (Stichwort: Griechenland, aber auch Spanien, Portugal, Italien und Frankreich). Wie groß die Bereitschaft dieser Länder umgekehrt ist, deutsche Sonderwege bei den Dienstleistungsreformen hinzunehmen, lässt sich leicht ausrechnen. Ein solcher Sonderweg ist etwa die Gebührenordnung für Tierärzte (die es außer in Österreich und Deutschland vergleichbar in sonst keinem anderen EU-Land gibt) aber eben auch das deutsche Kammerwesen mit seinen Berufsregeln und dem Kapitalbeteiligungsverbot.
Das Thema „Reformen der freien Berufe“ – also Ärzte/Tierärzte/Steuerberater/Architekten – ist jedenfalls inzwischen im Kanzleramt angekommen, sagt man im politischen Berlin. Das erwartet man von den Fachministerien schnell konkrete Vorschläge, die die EU-Bedenken endlich aus der Welt schaffen. Denn die Verhandlungsposition der Bundesregierung in Fragen der milliardenschweren Wirtschaftsreformen würde erheblich geschwächt, wäre Deutschland Ziel eines EU-Vertragsverletzungsverfahrens bei den Dienstleistungsreformen.
Klinikkonzerne vor Einkaufstour?
Weil also hier Entscheidungen anstehen, sondieren Kapitalgesellschaften bereits den deutschen Markt und suchen verkaufswillige Tierärzte und Klinikinhaber. Fällt das Kapitalbeteiligungsverbot, wollen sie startbereit sein. An Geld mangelt es nicht: „Diese Leute verfügen über hohe Milionenbeträge“, erklärt ein Insider gegenüber wir-sind-tierarzt.
Inzwischen hat mit AniCura eine erste schwedische Klinikkette Beteiligungen an sechs deutschen Praxen/Klinken erworben – unter anderem in Stuttgart, Hamburg und Ravensburg (Stand 31.5.2015)