Wird 2016 das Jahr der Klinikinvestoren? Hinter den Kulissen sind die schwedischen Tierarztketten sehr aktiv: So könnten im neuen Jahr bis zu 20 Kliniken umfirmieren und dann den Namen AniCura tragen oder zum Konkurrenten Evidensia gehören. Wir skizzieren Chancen und Risiken einer Investoren-Beteiligung für Praxisinhaber und Angestellte. (update Klinik-Liste: 2.2.2016)
von Jörg Held und Henrik Hofmann
Die AniCura-Group hat sich in Deutschland etabliert. Die Schweden haben eigene Internet-Seiten eingerichtet, sowohl für Deutschland, als auch für Österreich. Dort erklären sie ihr Geschäftsmodell und listen auch die deutschen AniCura-GmbH’s auf. Für Österreich nennt AniCura einen Standort in Wien.
Stringent ist die AniCura-Webseite aber (noch) nicht aufgebaut, es ist mühsam die genaue Zahl Standorte zu ermitteln. So nennt die Deutschlandseite fünf Standort. In einer Standort-Übersicht dagegen sind es bereits sieben. Tatsächlich gehören in Deutschland aber schon mindestens acht Kliniken/Praxen zur Kette (Stand 2. Februar 2016 – siehe Auflistung Infobox unten).
Von AniCura-Konkurrent Evidensia, auch aus Schweden kommend, ist bekannt, dass man ebenfalls Übernahme-Kandidaten sucht und inzwischen auch mindestens eine Tierklinik (die Tierklinik Stommeln in Pulheim) erworben hat. Diese trägt aber offiziell noch nicht Evidensia im Namen. Mit fast 160 Praxis/Klinik-Standorten, davon 130 in Skandinavien, ist Evidensia einer der großen Player in Europa.
Aber auch kleinere, noch branchenfremde Kapital-Investoren beobachten den Markt und überlegen, sich an Tierarztpraxen zu beteiligen. Mit zweien hatte wir-sind-tierarzt.de Kontakt.
Auch die Fressnapf-Gruppe, die unter dem Namen „Activet“ zu Spitzenzeiten 13 Tierarztpraxen in ihren Märkten beherbergte, plant den Wiedereinstieg unter neuem Namen. Sicher sind Praxis-Standorte in Krefeld und Duisburg. Schwerpunkt wird zunächst NRW sein.
AniCura: Größter Klinikbetreiber Deutschlands?
AniCura vermarktet seine deutschen Beteiligungen bisher eher zurückhaltend und akquiriert stattdessen weiter unter dem Radar. Federführend ist Dr. Andreas Herzog, Geschäftsführer der Vet.Netzwerk-Consulting Ravensburg und zugleich Business Area Manager bei AniCura.
Während in Norwegen, Dänemark und auch Österreich die zum Konzern gehörenden Kliniken/Standorte im einheitlichen Corporate Design auftreten, präsentieren sich die wir-sind-tierarzt bekannten acht deutschen Standorte jeweils noch in der Optik der „alten“, übernommenen Kliniken. Im Jahr 2016 aber könnte sich das ändern. Nach wir-sind-tierarzt-Informationen könnten sich dann bis zu 20 Kliniken/Praxen als AniCura-Beteiligung „outen“. Damit wären die Schweden der größte Tierklinik/Tierarztpraxen-Betreiber in Deutschland.
Liste der aktuellen AniCura-Standorte
♦ AniCura Kleintierspezialisten Ravensburg GmbH – erster AniCura-Standort in Deutschland mit drei angeschlossenen Praxen (auf der AniCura-Homepage verlinkt)
- Kleintierpraxis Dr. Göggerle, Meckenbeuren
- AniCura Kleintierpraxis Bad Wurzach
- Kleintierpraxis Ostrach (ist auf der AniCura-Ravensburg-Seite verlinkt, die Gesellschaft führt aber nicht explizit AniCura im Namen)
♦ AniCura Tierärztliche Spezialisten Hamburg GmbH – die Praxis der Augen/Dermatologieexperten Jens und Monika Linek führt das AniCura-Logo und ist auch auf der AniCura-Homepage verlinkt.
♦ AniCura Kleintiermedizinisches Zentrum Hüttig GmbH – die Klinik in Reutlingen führt den AniCura-Namen auf ihrer Webseite, aber noch nicht das Logo. Auch sie ist auf der AniCura-Homepage verlinkt.
♦ AniCura-Kleintierzentrum Heilbronn GmbH – auch die Webseite der Klinik der Dres. Maier, Lutter, Wieland führt den AniCura-Namen ohne Logo und ist auf der AniCura-Homepage verlinkt.
♦ AniCura Tierärztliche Klinik Neu-Ulm GmbH – die ehemalige Tierklinik P. Neuhofer weist ihre AniCura-Zugehörigkeit auf der Klinikwebseite bisher nur im Impressum aus, wird aber auf der AniCura-Homepage verlinkt.
♦ Tierarztpraxis Dr. Anja Baronetzky-Mercier – die Praxis in Mayen ist zwar auf der offiziellen AniCura-Webseite gelistet, führt auf der eigenen Homepage aber weder das AniCura-Logo, noch den Namen im Impressum.
♦ Tierklink Weingarten (Baden) – die Tierklinik von Dr. Christian Nees weist ihre AniCura-Zugehörigkeit bisher weder mit Logo noch im Impressum aus. Laut Handelsregistereintragung gehört sie aber als „AniCura Kleintiermedizinisches Zentrum Dr. Nees GmbH“ seit 12/2015 zur Kette und ist auch auf der AniCura-Webseite verlinkt.
♦ Tierklinik vom Bökelberg – auch die Klinik der Dres. Krampe, Stelljes und Döhmen firmiert offiziell noch nicht unter AniCura, gehört aber laut Handelsregistereintragung vom 26.1.2016 als „AniCura Tierärztlich Klinik vom Bökelberg GmbH“ dazu.
(Recherche Stand 2.2.2016 – neuere Liste hier)
Erfahrung eines Verkäufers
Die Kleintierspezialisten Ravensburg waren der erste AniCura-Standort in Deutschland und sie betreiben dabei bisher als einzige ein „Hub-Modell“: Mit der Klinik in Ravensburg sind gesellschaftsrechtlich noch drei Kleintierpraxen verbunden. Anfang des Jahres hatten Thomas Rieker und seine Teilhaber ihren Praxisverbund an die schwedische Kette verkauft und umbenannt. Auf dem bpt-Kongresses in München hatte Rieker einige Einblicke in seinen AniCura-Alltag gegeben:
So berichtet er, dass sich „fast nichts geändert“ habe, er arbeite so viel wie vorher: „70 + x Stunden“. Für ihn habe der Verbund mit anderen Praxen aber viele Vorteile. Rieker nannte das „Intranet“, das Zugriff auf viele hochkarätige Fachzeitschriften biete. Es gebe excellente Fortbildungen mit Spezialisten aus anderen europäischen AniCura-Praxen, man hospitiere untereinander und vieles mehr. „Ich hatte immer Angst, als Klinik mittlerer Größe nicht mehr schnell genug innovativ sein zu können.“ Mit dem Geld der Investorengruppe im Rücken scheint dies nun möglich. Jeder Tierarzt und jede TFA hätten auch die Möglichkeit, selbst Geld in AniCura zu investieren, sagte Rieker. Die Rendite sei mit Sicherheit höher als beim Sparbuch.
Altinhaber bleiben drei bis fünf Jahre im Boot
Bei den Übernahme-Konditionen gilt offiziell Stillschweigen. Was die Schweden zahlen, soll sich – natürlich abhängig von den individuellen Praxiskennzahlen – irgendwo zwischen dem fünf- und siebenfachen Jahresgewinn bewegen. Eine Due Dilligence, also eine genaue Überprüfung der Unternehmenskennzahlen mit Einblick in die Bücher ist obligatorisch, bevor über Geld gesprochen wird.
Die Altinhaber sollen bei einer Übernahme mindestens drei, oft aber auch mehr Jahre aktiv im Unternehmen weiterarbeiten. Momentan eher als aktive Gesellschafter, aber auch Modelle als angestellte Geschäftsführer sind denkbar. Die weiteren Arbeitszeit-, Vergütungs- und/oder Gewinnbeteiligungsvorstellungen der Alteigentümer haben dabei Einfluss auf den Kaufpreis. Erwartet wird in dieser Zeit eine jährliche Ergebnissteigerung in der kolportierten Größenordnung von fünf bis acht Prozent.
Ergebnisverantwortung bis zum Ausscheiden
Die AniCura-Konditionen werden weitestgehend als fair beschrieben. Obwohl sich mancher Praxisinhaber auch fragt: Warum soll er verkaufen, wenn er doch einen beachtliche Zeit weiter voll in der operativen Verantwortung bleiben muss, aber eben nicht mehr unabhängig ist?
Die Motive der an einer Übernahme interessierten Kollegen sind unterschiedlich. Bei Thomas Rieker war in München zu spüren, dass es ihm um die Weiterentwicklung seines Praxisverbundes und das innovative Konzept der Klinik-Kette geht. Andere Kollegen planen so eher den Übergang ins Rentenalter oder den Ausstieg aus der Unternehmerrolle. Klarer Vorteil des Modells gerade für ältere Kollegen mit umsatzstarken Kliniken/Praxen: Eine aufwändige Suche nach einem fachlich kompetenten und zugleich solventen Nachfolger entfällt mit dem Einstieg des Investors.
Andere Klinikinhaber haben sich bewusst gegen einen Investor entschieden. Sie expandieren stattdessen selbst und bauen rund um ihre Klinik ein Netz von Überweisungspraxen auf.
Attraktiv für Angestellte?
Für angestellte Tierärzte haben die Ketten durchaus ihren Reiz. So erwartete eine junge Kollegin bei der Diskussion über Klinikketten in München, dass dort „endlich“ Gehälter und Arbeitszeiten geregelt seien. Die „Sicherheit“ eines großen Arbeitgebers ist vor allem für den zu 80 Prozent weiblichen Tierarztnachwuchs interessant. Sie streben häufig eine berufliche Zukunft als langfristig angestellte und nicht als selbständige Tierärztin an. Allerdings gilt für die deutschen AniCura-Standorte, dass sie (noch) selbständige GmbHs mit schwedischer Beteiligung sind. Es steht also keineswegs fest, dass alle AniCura-Betriebe deutschlandweit vergleichbare Arbeitszeiten, Gehälter und Strukturen bieten. Momentan unterscheiden sich die Arbeitsverträge – soweit wir-sind-tierarzt.de das beurteilen kann – (noch) nicht von denen, die auch zuvor in den übernommenen Kliniken üblich waren.
Kapitalinvestoren: „Segen oder Fluch?“
Aus Norwegen ist indes zu hören, dass die Euphorie unter den Angestellten zu Beginn groß gewesen sei, es inzwischen aber auch Ernüchterung gebe. In Skandinavien haben die Ketten AniCura und Evidensia inzwischen rund 50 Prozent Marktanteil. Sie dominieren damit auch die Arbeitsbedingungen. Nicht alle Angestellten sind davon begeistert. „Bei uns“, berichtet eine norwegische Kollegin, „hat man drei Möglichkeiten: Man lässt sich auf das System der Ketten ein, macht Abstriche bei seinen eigenen beruflichen Vorstellungen oder geht ins Ausland.“
Sind die Klinik-Investoren damit „Segen oder Fluch?“ Die Frage will die berufspolitischen Veranstaltung des bpt auf der 24. bpt-Intensivfortbildung Kleintierpraxis in Bielefeld beantworten (Samstag 27.2.2015 ab 17:45 Uhr). Auf dem Podium sind Tierärzte mit „Kettenerfahrung“ aus Norwegen und Holland, sowie deutsche Praktiker, die entweder selbst verkauft oder einen Verkauf abgelehnt haben.
AniCura wächst enorm schnell
AniCura selbst reinvestiere alle Gewinne wieder in das Unternehmen und „unsere Vision der Tiermedizin von morgen“, heißt es in der Selbstdarstellung. Gewinne schüttet die schwedische Klinikkette nach eigenen Aussagen an ihre Investoren (noch) nicht aus, die Eigentümer erhalten auch keine Dividende. Einer ist die Private-Equity-Investment-Gesellschaft „Nordic-Capital“. Sie ist 2014 bei AniCura AB eingestiegen – mit 100 Millionen Euro.
Entsprechend wachsen die kapitalkräftigen Schweden rasant: So weist der aktuellste von AniCura veröffentlichte Geschäftsbericht aus dem Jahr 2014 „erst“ 52 Beteiligungen auf, wobei die Kette im Berichtsjahr 15 neue Standorte akquiriert hatte. Doch schon bis September 2015 zählt die Webseite „über 80 Standorte“ (Schweden 34 / Norwegen 32 / Dänemark 8 / Deutschland u. Österreich 7) und auch die Mitarbeiterzahl ist demnach von 1.054 (Geschäftsbericht 2014) auf über 1.700 gestiegen (Webseiten-Angaben 2015). Das wären über 50 Prozent Zuwachs in nur neun Monaten.
Bewahrheitet sich die Deutschland-Prognose von 20 Standorten, würden die Schweden sogar noch deutlicher zulegen.
Alle Quellen im Text verlinkt (unterstrichen)
Mehr zum Thema Kapital-Investoren:
„Praxis-Investoren: Die Schweden kommen“ – Bericht auf wir-sind-tierarzt.de (1. 6.2015)
„Fällt das Kapitalbeteiligungsverbot kommen die Tierarztketten“ – Bericht auf wir-sind-tierarzt.de (10.4.2015)
In einem Blog-Beitrag auf seiner Praxis-Homepage hat sich Tierarzt Ralph Rückert (Ulm) damit beschäftigt, wie sich Tierarztketten auf das Tierarzt-Tierhalter-Verhältnis auswirken könnten (22.7.2015).