EFSA: 315.000 Zoonose Fälle in der EU – was sagt die Zahl wirklich?

315.000 lebensmittelbasierte Zoonoseinfektionen beim Menschen gibt es laut EFSA jährlich.315.000 lebensmittelbasierte Zoonoseinfektionen beim Menschen gibt es laut EFSA jährlich. (Foto: © screenshot EFSA-Präsentation)

Es hat schon eine gewisse Dramatik – 315.000 – sekundenschnell summiert ein Ticker die Zahl der Europäer, die sich eine Infektion durch ihr Essen einfangen. Die Europäische Food Saftey Agency (EFSA) hat in einer schicken, animierten Scroll-Programmierung das Zoonose-Risiko in Europa visualisiert. 75 Prozent der Krankheiten, die Menschen befallen haben demnach ihren Ursprung in Tieren. Nur, was hat die EFSA mit den Zahlen getan: Informiert? Gewarnt? Aufgeklärt? Eingeordnet? Sensibilisiert? Verunsichert? Aus meiner Sicht vor allem letzteres, denn eine Einordnung der Daten fehlt (mal wieder).

75 Prozent der Humaninfektionen stammen von Tieren, sagt die EFSA.

75 Prozent der Humaninfektionen stammen von Tieren, sagt die EFSA. (Foto: ©screenshot EFSA-Präsentation)

von Jörg Held

Also versuchen wir die EFSA-Zahlen in eine Beziehung zu setzen: 315.000 Infektionen pro Jahr von milden Symptomen bis zu lebensbedrohlichen Erkrankungen (das ist der Wortlaut) registriert die EU. Wie viele milde Symptome? Wie viel lebensbedrohliche Verläufe? Kein Wort dazu in der Präsentation, kein weiterführender Link, keine einordnende Information – nichts von dem, was Online so leicht möglich wäre. Stattdessen fies im Raum schwebende Keime.

0,06 Prozent der EU-Bürger von Food-Infections betroffen

Vielleicht hilft das: 507.000.000 Menschen leben in den 28 EU-Staaten (2014). Von 315.000 Zoonose-bedingten Fällen berichtet EFSA. Damit sind 0,06 Prozent der EU-Bevölkerung von „infections through food“ betroffen* – wohlgemerkt die ganze Spanne von „mild“ bis „lebensbedrohlich“. Wäre diese Information nicht doch eventuell hilfreich gewesen, damit die Menschen ihr eigenes Risiko besser einschätzen können?

200.000 der EU-Fälle entfallen auf Campylobacter-, 100.000 auf Salmonellen-Infektionen. Gefährlicher sind die 1.500 Listeriose-Fälle mit 13 Prozent Todesrate. Das kann man sich aus der Präsentation herausziehen, wenn man die drei eingebetteten Videos ansieht … und selbst interpretiert.

Deutschland: 89 Fälle

Aber da ich ja nun mal in Deutschland lebe, würde mich doch vor allem „mein“ Risiko vor Ort interessieren. Soweit denkt – und verlinkt – die EFSA natürlich nicht. Das muss ich selber recherchieren: Der aktuellste verfügbare deutsche Risikobericht zum Thema Zoonose-Infektion (BfR/2012) meldet 89 Fälle (die Zahl der pro Fall beteiligten Menschen ist höher: Bsp. Salmonellen: 20.850 / Listeriosen 427 – ergänzt am 18.2.2015). Der auf vergleichbaren Daten basierende BfR-Bericht zu „Lebensmittelbedingten Krankheitsausbrüchen“ (2014) kommt auf 73 Fälle (davon 22 x Salmonellen als Ursache). Beide Berichte sind zwar optisch tausendmal langweiliger als die schicke EFSA-Grafik, dafür aber fachlich weitaus informativer. (Die aktuelle BfR-Veröffentlichung vom 17.2.2015 zum EU-Zoonosen-Bericht finden Sie hier – ergänzt am 18.2.2015)

Besser: Länderkarten statt pauschale EU-Daten

Wie wär es also, wenn die EFSA – statt den Bürgern pauschale Zahlen in poppiger Farbgebung zu servieren – eine interaktive Karte programmiert und darin die ihr vorliegenden nationalen Daten hinterlegt. Technisch geht das relativ einfach: Ein Klick auf z.B. Salmonellen, Campylobacter & Co und die Europakarte färbt sich jeweils nach Risikoklassen ein. Maus-over und man sieht die Relation der milden bis schweren Verläufe (Todesfälle). Das wäre informativ.
Geld dafür hätte die EU durchaus. Politisch gewollt aber ist das sicher nicht. Wenn ich mir die sechsstellige EU-Ausgangs-Zahl und die roundabout 80 deutschen Fälle bei 80 Millionen Bevölkerung ansehe, kämen einige EU-Staaten da wohl weit weniger gut weg als andere.
Ein Schelm wer böses dabei denkt, dass selbst EU-Behörden da doch lieber mit Pauschal-Zahlen alle Europäer beglücken als darüber zu informieren wo die Probleme wirklich auftreten.

Wie kann ich mich schützen?

Wichtige Faktoren bei den deutschen Infektionen waren mangelhafte Küchenhygiene, nicht ausreichend erhitzte bzw. korrekt gekühlte Lebensmittel und  Kreuzkontaminationen. Aktuell hat das LAVES-Niedersachsen hier die 6 wichtigsten vorbeugenden Punkte zur Küchenhygiene aufgelistet. Eine Kurzfassung als PDF-Datei zum Download gibt es hier.

Nachtrag:
Die genannten (EU/D)-Zahlen basieren auf an die Behörden gemeldeten und tatsächlich nachgewiesenen Fällen. Die Dunkelziffer liegt deutlich höher (etwa Faktor 10 bis 40). Auch das wäre eine EU-Erklärung wert.
Warum wir das Thema jetzt aufgreifen: Die schicke EFSA-Präsentation ist uns im Januar erstmals begegnet. Wir haben wegen der Pauschalität nicht berichtet. Aktuell aber wird sie mit der Zahl „315.000 durch Tiere auf Menschen übertragene Erkrankungen“ vermehrt in den sozialen Medien geteilt. Deshalb diese Einordnung.

 

*zum Vergleich und zur persönlichen Risikoeinschätzung:
Verkehrsunfälle EU (2012) mit Schwerverletzten/Toten: 250.000/28.000
Verkehrsunfälle nur Deutschland (2013) mit Sachschaden: 2.122.906 / Leichtverletzten: 310.085 / Schwerverletzten: 64.057 / Todesfällen: 3.339

 

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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