Mehr Empathie in der Nutztierhaltung

Folie aus dem bpt-Vortrag von Frank O'Sullivan (©WiSiTiA/aw)

In der Nutztiermedizin scheint sich gerade eine gewisse Spaltung der Tierärzte anzudeuten: Die einen begrüssen die steigenden Leistungen der Tiere und möchten vor allem durch das Sammeln von Daten die Tiergesundheit verbessern. Die anderen sorgen sich um das Wohlergehen der Tiere aufgrund der immer größeren Stoffwechselanforderungen. 

von Annegret Wagner

„Empathie“ ist ein Begriff, den man im Zusammenhang mit Nutztiermedizin selten zu hören bekam. Das hat sich auf dem jüngsten bpt-Kongress in Hannover geändert und trägt der Sorge vieler Tierärzte Rechnung, dass die Belastungsgrenzen für Tiere und Landwirte in der modernen Landwirtschaft erreicht sind.

Folie aus dem bpt-Vortrag von Frank O’Sullivan (©WiSiTiA/aw)

Bereits in der Eröffnungsveranstaltung widmete sich der irische Tierarzt Dr. Frank O’Sullivan in seinem Vortrag über die Zukunft der irischen Milchwirtschaft diesem Begriff. Er hält Empathie für einen wichtigen Aspekt zur erfolgreichen Arbeit in der Rinderpraxis. Empathie, also die Fähigkeit und Bereitschaft, Empfindungen, Gedanken, Emotionen, Motive und Persönlichkeitsmerkmale einer anderen Person zu erkennen und zu verstehen, erweitert O’Sullivan auch auf die Tiere. Empathie hat nichts mit Mitleid zu tun, sondern soll das Verständnis für die Situation der Beteiligen (Landwirte, Tiere etc.) verbessern, da nur so eine effektive Hilfe möglich ist.

Haben Tiere Emotionen?

Auch Prof. Dr. Dr. Matthias Gauly ging in seinem Vortrag über Einflüsse auf das Tierwohlniveau in Milchviehställen indirekt auf Empathie ein. „Wenn wir über Tierwohl sprechen, sprechen wir über Gesundheit und Wohlbefinden“, so Gauly. Wohlbefinden hänge stark von der Möglichkeit ab, inwieweit ein Tier positive Emotionen erfahren kann, das heißt positive Emotionen hat.

Folie aus bpt-Votrag von Prof. Matthias Gauly (©WiSiTiA/aw)

Mehr Leistung – weniger Gesundheit

Die Gesundheit – der zweite Aspekt von Tierwohl – nimmt laut einer Studie aus Brandenburg, die Prof. Gauly in seinem Vortrag zitiert, bei Kühen mit zunehmender Leistung ab. Dies ist eigentlich logisch nachvollziehbar, wird aber von vielen Landwirten, Beratern und Tierärzten nicht so gesehen. Noch immer meinen viele Beteiligte, die hohen Leistungen seien ohne Beeinträchtigung für die Tiere zu managen – wenn man denn alles richtig mache. In der zitierten Studie von Roffeis und Waurich lag der Anteil gesunder Kühe in den ersten 100 Tagen der Laktation maximal bei 13 Prozent, im schlechtesten Falle und gleichzeitig in der Gruppe mit den höchsten Leistungen waren es sogar nur erschreckende 8,6 Prozent. Ausgehend von dieser Veröffentlichung, zeigte Prof. Gauly eine Übersicht mit den durchschnittlichen Leistungssteigerungen verschiedener landwirtschaftlicher Nutztiere zwischen 1970 und 2014.

Folie aus bpt-Vortrag von Prof. Matthias Gauly (©WiSiTiA/aw)

In weniger als 50 Jahren hat etwa die durchschnittliche Milchleistung von Schwarzbunten Kühen (DSB/HF) von 4900 Litern auf rund 9200 Liter pro Jahr zugenommen. Eine Steigerung um 88 Prozent. Auch die Mastleistungen bei Schweinen haben sich deutlich erhöht und liegen beim Pietrain-Schwein mittlerweile bei weit über 800 Gramm Gewichtszunahme pro Tag. Es braucht nicht viel Fantasie um sich vorzustellen, was diese Leistungen dem Stoffwechsel der Tiere abverlangen. Prof. Gauly stellt dazu die Hypothese auf, dass die hohen (Milch-)Leistungen für viele Betriebe nicht beherrschbar sind.

Wo ist der Tierfreund?

Neben Frank O’Sullivan und Matthias Gauly, die sich mit Rindern beschäftigten, kam der (indirekte) Aufruf nach mehr Empathie mit Tieren und deren Besitzern auch aus den Reihen der Schweinepraktiker. So fragte sich etwa Privat-Dozentin Dr. Isabel Hennig-Pauka in ihrem Vortag „Mit offenen Augen durch den Bestand…“ an einer Stelle: Wo ist der Tierfreund? Im konkreten Fall waren Landwirte in einem Seminar gefragt worden, wie sie sich sehen. Dabei fielen unter anderem Begriffe wie  „selbstständiger Unternehmer“, „Familienvater“, „Ernährer“, „Tierhalter“ aber auch „Opfer der Gesellschaft“, „Prügelknabe“, „Sklave/Abhängiger“. Nur: „Tierfreund“ oder eine ähnliche Bezeichnung wurde von den Beteiligten nicht genannt, wie Hennig-Pauka betonte

Folie aus bpt-Vortrag von Dr. Isabel Hennig-Pauka (©WiSiTiA/aw)

 Andere Haltungsansprüche

Im anschließenden Vortrag von Prof. Dr. Elisabeth große Beilage, die ihre berühmt gewordenen Bilder und Befunde von Schweinen aus Tierkörperbeseitigungs-Anlagen zeigte (nachzulesen u.a.  hier und hier) , bekam das Auditorium dann auch gleich den entsprechenden optischen Eindruck davon, was passiert, wenn Tierhalter – und unter Umständen auch die zuständigen Tierärzte – keine Tierfreunde sind. Die Bilder sind aber auch ein Ausdruck von Überforderung der Landwirte aufgrund hoher Haltungsansprüche ihrer Tiere. Menschliche Spitzensportler, deren Stoffwechselleistungen mit denen unserer landwirtschaftlichen Nutztiere vergleichbar sind, müssen zur Erhaltung ihrer Leistung ja auch anders „betreut“ werden, als der Durchschnittsmensch. Dieser Grundsatz gilt im gleichen Maße für unsere Nutztiere.

wir-sind-tierarzt kommentiert: „Hochgradig Unmoralisch“

(aw) Ich halte mich für einen Tierfreund und versuche in meiner täglichen Arbeit diese Haltung den Landwirten vorzuleben – nicht vorzubeten. Ich sehe täglich Tiere, die Opfer ihrer hohen Leistungen sind und eben auch Landwirte, die den ständig steigenden Ansprüchen ihrer Tiere nicht mehr gerecht werden können.

Berater überfordern Landwirte

Wann sehen landwirtschaftliche Berater endlich ein, dass Landwirte auch Menschen sind. Sie laufen nicht an 365 Tage im Jahr gesund, gut gelaunt und aufmerksam acht Stunden täglich durch ihre Ställe. Diese Überforderung von Landwirten wird direkt an die gehaltenen Tiere weitergegeben, die keine Fehler bei der Tierbeobachtung oder der Haltung verzeihen, weil sie aufgrund ihrer Genetik einfach eine hohe Leistung erbringen. Da wir mit „menschlichem Versagen“ rechnen müssen – egal ob in einem kleinen oder großen Team – ist es hochgradig unmoralisch, Tiere zu züchten, deren gesundheitlich Fehlertoleranz immer geringer wird und die in der Folge dann leiden oder sogar sterben.

Es ist auch unmoralisch, Landwirten während ihrer Ausbildung nicht beizubringen, dass Tiere leidensfähige Mitgeschöpfe sind, deren Bedürfnisse zu respektieren sind. Stattdessen rät man ihnen zu zunehmender Automatisierung, um mit weniger „Menschen“ immer größere Tiergruppen halten zu können.

Erschreckt hat mich da vor Kurzem ein Landwirt, der seit einigen Monaten einen Melkroboter besitzt. Er rief mich aufgrund einer akuten Mastitis am Sonntag im Notdienst an. Zunächst führte er mich zu seinem Computer und zeigte mit, dass die Kuh aufgrund einer Zellzahl von über einer Millionen vom Roboter „rausgeworfen“ worden war. Auf Nachfrage wusste er weder, ob die Kuh Fieber hatte, noch wie das Euter und das entsprechende Sekret aussahen oder ob die Kuh normal gefressen hatte.
Ich hoffe nicht, dass diese Art der Tierbeobachtung am Bildschirm Schule macht. Wer sich als Landwirte hier allein auf elektronische Datenerhebung verlassen will, sollte schlicht keine Tiere halten. Wir brauchen wieder mehr Tierfreunde anstatt Tierverwalter.

Teilen
Über den Autor

Annegret Wagner

Dr. Annegret Wagner (aw) hat in Gießen Tiermedizin studiert und arbeitet seit 1991 in der Großtierpraxis; seit 2005 niedergelassen in eigener Praxis mit Schwerpunkt Milchrind im Raum Rosenheim. Seit 2006 arbeitet sie auch als tiermedizinische Fachjournalistin. So hat sie für die VETimpulse die Nutztierthemen betreut und übernimmt diese Aufgabe auch bei wir-sind-tierarzt.de. Um nicht zum Mia-san-mia-Bayer zu mutieren, schaut sie intensiv über den Alpenrand hinaus, vorzugsweise ins englischsprachige Ausland. Kontakt: annegret.wagner(at)wir-sind-tierarzt.de
Web Design MymensinghPremium WordPress ThemesWeb Development

Wildtiere: Hilfe kann auch Leid bedeuten

9. März 20169. März 2016
Ein Faltblatt gibt Tipps zum Umgang mit Wildtieren. (©Landestierschutzbeauftragte Hessen / Erni/Fotolia.com)„Wildtiere brauchen in den aller seltensten Fällen menschliche Hilfe," sagt die Landestierschutzbeauftragte Hessen. Was tun kann, wer ein Wildtier findet – oder aber auch besser lassen sollte – erklärt ein Flyer, den Dr. Madeleine Martin zusammen mit der Landestierärztekammer Hessen herausgegeben hat. (mehr …)