SPD-Bundestagsabgeordnete droht mit Abschaffung des Dispensierrechtes

Weiter Zankapfel politischer Forderungen - das tierärztliche Dispensierrecht. (Foto: WiSiTiA/aw)

Zu viel tierärztliche Kritik an den geplanten Verschärfungen der Tierärztlichen Hausapothekenverordnung könne zur Abschaffung des Dispensierrechtes führen. Damit droht indirekt die SPD-Bundestagsabgeordnete Dr. Karin Thissen. Darauf reagiert wiederum bpt-Präsident Dr. Siegfried Moder. Hintergründe zu einem Schlagabtausch über „Offene Briefe“. 

von Jörg Held

Die Kritik aus der Tierärzteschaft an politischen Vorgaben wird schärfer: Ob magere GOT-Erhöhung, verknüpft mit Sonderpreisen für Tierschutzkatzen unter bisherigem GOT-Niveau, ob geplante Neufassung der Tierärztlichen Hausapothekenverordnung (TÄHAV) mit hohem Dokumentationsaufwand und rechtlichen Unsicherheiten für Praktiker oder der „vierte Weg“ bei der Ferkelkastration mit Abgabe von Narkosemitteln an Landwirte – praktisch jede aktuell anstehende politische Entscheidung enthält Punkte, die für Tierärzte nicht akzeptabel sind. Dagegen wehren sich die Tierarztverbände zunehmend lauter (siehe auch hier).

Idee: Dispensierrecht entziehen

Die Politik wiederum reagiert dünnhäutiger. Der Ton bei Spitzengesprächen im Bundeslandwirtschaftsministerium wird schärfer und mancher Politiker droht mit Konsequenzen. So schreibt Dr. Karin Thissen, Tierärztin und Bundestagsabgeordnete der SPD, jetzt in einem Offenen Brief:

Die geplanten Dokumentations-Pflichten der TÄHAV seien sinngemäß an das Dispensier-Recht geknüpft. Es sei unklug zu laut und zu oft über diese Dokumentationspflichten zu klagen,

„Es könnte sonst möglicherweise jemand auf die Idee kommen, dass man die Dokumentationspflicht dadurch reduziert, dass man das Dispensierrecht entzieht.“

Worum geht es?

Eigentlich sollte über die Neufassung der TÄHAV ein weiterer Schritt zur Reduzierung der Resistenzbildung in der Tiermedizin erfolgen. Konkret sollte es um den Einsatz antibiotischer Wirkstoffe mit hoher Bedeutung für die Humanmedizin gehen – im englischen als critically important antimicrobials (CIA) bezeichnet, auf deutsch häufig „Reserveantibiotika“ genannt. Ein entsprechendes Eckpunktepapier wurde von der Tierärzteschaft uneingeschränkt begrüßt. Ein Anfang des Jahres 2017 vorgelegter Verordnungsentwurf enthielt dann aber zusätzliche umfangreiche Dokumentatiosnvorschriften. Die Tierärzte kritisieren, dass die politisch Verantwortlichen die Arbeit des Tierarztes dabei mit unakzeptablen und unnötige Rechtsunsicherheiten belasten.

„Es ist nicht hinnehmbar, dass der praktizierende Tierarzt laut Verordnungsentwurf für Angaben haften soll, die er nicht zweifelsfrei erbringen kann.“
(bpt-Präsident Dr. Siegfried Moder)

Stellungnahme des bpt – Auslöser für die Kritik Dr. Thissen
Stellungnahme der Bundestierärztekammer

Was sagt „die“ Politik?

Eine einheitliche Position dazu, ob, wie und wann der TÄHAV-Entwurf umgesetzt werden soll, gibt es noch nicht. Die vom Bundeslandwirtschaftsministerium formulierte allerneueste Fassung liegt den Tierarztverbänden noch nicht vor. Ob der Zeitplan – vorgesehen war die Verabschiedung in der letzten Bundesratssitzung vor der Bundestagswahl im September – eingehalten werden kann, ist offen.

Länder: „Probleme praxisgerecht lösen“

Zumal auch aus Reihen der Bundesländer noch Nachbesserungsbedarf signalisiert wird. So hat SPD-Landwirtschaftsminiuster Dr. Till Backhaus (Mecklenburg-Vorpommern) den Entwurf abgelehnt (Bericht hier).
Auch Bayerns Staatskanzleichef Dr. Marcel Huber (CSU) sagte auf dem Bayerischen Tierärztetag, dass es keine Lösung im Sinne der Resistenzminimierung sein könne, wenn man die TÄHAV-Neufassung schnell vor der Wahl mal eben wegräume: „Wir wollen uns die Zeit nehmen, diese Dinge praxisgerecht zu lösen.“ Einige Länder hätten deshalb die Bremse eingelegt.

Scharfe Kritik an den Tierärzten

Karin Thissen, Amtstierärztin und seit Mai 2015 SPD-Bundestagsabgeordnete. (Foto: ©SPD-Schleswig-Holstein)

Dr. Karin Thissen, Amtstierärztin und seit Mai 2015 SPD-Bundestagsabgeordnete. (Foto: ©SPD-Schleswig-Holstein)

Dagegen kritisiert die SPD-Bundestagsabgeordnete und Tierärztin Dr. Karin Thissen in einem „Offenen Brief“ die Tierärzteschaft hart. Die „öffentliche Kritik etwa des bpt am TÄHAV-Entwurf habe sie „verwundert“. Thissen hält fest:

  • Schon während ihres Studiums vor 30 Jahren sei gelehrt worden, dass „Tierärzte nicht immer verantwortungsvoll mit dem Dispensierrecht umgehen.“ Die geplanten Dokumentations-Pflichten der TÄHAV seien aber sinngemäß an das Dispensier-Recht geknüpft.
  • Es erschließe sich ihr auch nicht, was an einem „grundsätzlich“ vorab zu erstellenden Antibiogramm derart schwierig sein solle. „Grundsätzlich“ impliziere in Gesetzestexten, dass es begründete Ausnahmen gebe werde.
  • „Unberechtigt“ sei auch die Verbandskritik an der verpflichtenden Angabe von „Nutzungsart“ und „Wirktagen“. Ein Tierarzt müsse die Nutzungsart und die pharmakologische Wirkung der verwendeten Medikamente kennen.
  • Auch erschließe es sich ihr nicht, warum der bpt „öffentlich und explizit“ vom Verordnungsgeber eine Liste mit „Reserve-Antibiotika“ fordere. Eine solche Liste sei nicht zielführend. Stattdessen solle ein veterinär- und humanmedizinisches Fachgremium regelmäßig die Resistenzlage evaluieren und Empfehlungen zum Antibiotikaeinsatz geben.

Die Reaktion der praktizierenden Tierärzte

bpt-Präsident Dr. Siegfried Moder (Foto: © bpt)

Für den bpt wiederum erwidert Präsident Dr. Siegfried Moder darauf ebenfalls per „Offenem Brief“:

  • Die Tierärzte wehren sich in keinster Weise gegen die vorgesehenen Einschränkungen bei den kritischen Antibiotika, also Umwidmungsverbote und Antibiogrammpflichten. Im Gegenteil: „Wir halten beide Instrumente für sinnvoll!“
  • Allerdings halte es der Verband für seine Pflicht, fachlich Punkte zu kritisieren, die in der Praxis zu erheblichen Problemen führen würden.
    „Es ist nicht hinnehmbar, dass der praktizierende Tierarzt laut Verordnungsentwurf für Angaben haften soll, die er nicht zweifelsfrei erbringen könne.“
  • „Nutzungsart“ und „VO-Nummer“ etwa beruhten auf Ansage des Landwirtes. „Ist die Ansage des Landwirtes nicht korrekt, stimmt die Dokumentation des Tierarztes nicht. Eine falsche Dokumentation stellt aber eine Ordnungswidrigkeit dar und geht zu Lasten des Tierarztes!
  • Ähnliches gelte für die „Wirktage“ von langwirkenden Antibiotika. Bereits im Gesetzgebungsverfahren zur 16. AMG-Novelle haben die Tierarztverbände gefordert, dass Bund, Länder, eine Bundesoberbehörde oder die Pharmaindustrie eine Liste mit rechtsverbindlichen Wirktagen für diese Wirkstoffe vorlegt. Wenn keine dieser Instanzen sich in der Lage sehe, eine solche Liste zu erstellen, warum soll dann ausgerechnet der praktizierende Tierarzt diese Angaben rechtsverbindlich leisten können ?
  • Beim Thema Resistenztest drängen die Tierarztverbände darauf, die „national und international anerkannten Verfahren“ so zu definieren, dass auch Praktiker Tests durchführen können – konkret solle zukünftig auch der Agar-Diffusionstest weiter zum Einsatz kommen können.

Kompromissvorschlag der Tierärzteschaft

„Deshalb wiederhole ich gerne unseren Vorschlag, dass es nicht zuletzt wegen der aufgezeigten Mängel besser wäre, den Bereich der Dokumentationspflichten zunächst aus dem TÄHAV-Verordnungsvorschlag auszuklammern und zurückzustellen,“ schreibt bpt-Präsident Moder.
In zwei Jahren stünden sowohl die im Gesetz vorgesehene Evaluierung der 16. AMG-Novelle an, als auch die Umsetzung der EU-Tierarzneimittelrechtes an. Das sei ein geeigneter Zeitpunkt, dann „Dokumentationsvorschriften aus einem Guss zu schaffen, die sinnvoll für die Uberwachung und rechtssicher anwendbar für den praktizierenden Tierarzt sind“.

Anerkennung statt Kritik

Es sei „hoffentlich unstrittig“, dass die Tierärzteschaft in den vergangenen Jahren einen erheblichen Beitrag zur Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes in der Tierhaltung geleistet habe, betont der bpt-Präsident weiter. Er verweist auf den Rückgang der Antibiotikaeinsatzmengen um über 50 Prozent von 2011 bis 2015. „Auch bei den sogenannten kritischen Antibiotika hat und wird es weiterhin eine Reduktion der Einsatzmengen geben.“

Moder: „Die Anstrengungen der Tierärzte bei der Minimierung von antimikrobiellen Resistenzen verdienen aus meiner Sicht Anerkennung, nicht Kritik.“

Quellen:
Offener Brief MDB Thissen zur TÄHAV-Kritik des bpt (PDF-Download)
Antwort bpt/Moder auf Kritik Thissen (PDF-Download)

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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