Was darf eine Katzenkastration für Tierschutzvereine künftig kosten?

Stellte sich auf dem bpt-Kongress der Kritik der Tierärzte an seinem GOT-Coup: Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. (Foto: © WiSiTiA/aw)

Sollen und müssen Tierärzte ordnungspolitische Tierschutzdefizite über den Umweg eines moralisch „erzwungenen“ Honorarverzichtes lösen? Die „Sonderpreisregelung“ in der neuen GOT für Katzenkastrationsaktionen legt das nahe? Welchen Preis will der Tierschutz künftig bezahlen? Eine Antwort gab Tierschutzbundpräsident Thomas Schröder beim bpt-Kongress in München nicht.

von Jörg Held (mit Kommentar)

Die Verbitterung bei den Tierärzten ist spürbar: Dass sie Tierschutzaktionen unterstützen, ist deutschlandweit Alltag. Sie helfen durch Spenden, Arbeitsleistung und auch durch Honorarverzicht. Doch dass der Staat es für nötig hält, jetzt in ein Gesetz – die Neufassung der Gebührenordnung für Tierärzte (GOT) – „Sonderpreise“ für Katzenkastrationsaktionen aufzunehmen und so eine „Pflicht“ zu suggerieren, empfinden viele als Affront: Sollen Tierärzte ordnungspolitische Defizite so über den Umweg eines moralisch „erzwungenen“ Honorarverzichtes lösen?

Indem er für den Tierschutz erstmals „Sonderpreise“ in der GOT erlaubt, setzt der Gesetzgeber die Tierärzte moralisch unter Druck. (Quelle: bpt – Foto: WiSiTiA/aw)

Tierschutzpräsident erwartet Kostensenkung

Immerhin: Tierschutzbundpräsident Thomas Schröder, dem dieser Lobby-Coup der GOT-Änderung gelang, stellte sich dem Unmut der Branche. In einer Fragerunde auf dem bpt-Kongress 2017 in München blieb er dennoch eine klare Antwort auf die entscheidende Frage schuldig: Welche Leistung erwarten/fordern die Tierheime künftig zu welchem Preis? Soll es Kastrationen light geben?
Es gebe keine Aufforderung an die Tierschutzvereine „drückt die Tierärzte jetzt auf 50 Prozent runter.“ Diese Aussage ließ sich Schröder abringen. Und auch die Zusage, dass er sich um Extremfälle in seinem Zuständigkeitsgebiet kümmern würde. Aber er machte auch  deutlich, dass er sich von der GOT-Öffnung eine spürbare Kostenentlastung der Tierheime erwartet. Die wichtige Tierschutzarbeit könnten die Vereine ansonsten nicht stemmen.
Dieser moralische Druck, der durch die gesetzlich verordnete GOT-Öffnung sozusagen staatlich legitimiert und verstärkt wird, ist es, was die Tierärzte erzürnt.

Kein Anspruch auf „Sonderpreise“

Aus dem Publikum kam denn auch die Aufforderung, die Kollegen sollten Rückgrat zeigen, auch wenn es unpopulär sei: „Sie müssen den einfachen Satz nicht unterschreiten.“
In der Tat ist die neue GOT-Ausnahme eine „Kann-Bestimmung“, ein Anspruch auf Sonderpreise besteht nicht. Tierärzte dürfen den GOT-Einfachsatz künftig einzig für die Kastration einer „eingefangenen verwilderten Katze“ unterschreiten. Und das auch nur dann, wenn der Auftraggeber ein „gemeinnütziger Tierschutzverein“ ist. Diese Präzisierung hatten die Tierarztverbände dem Ministerium noch abringen können.

Die GOT-Ausnahme ist eine eng begrenzte „Kann-„, keine „Muss“-Bestimmung. (Quelle: bpt –Foto: WiSiTiA/aw)

Tierschutzpräsident Schröder war denn auch bemüht, immer wieder das gemeinsame Ziel des Tierschutzes zu betonen. Er hofft, dass mit Kastrationsaktionen das Problem der frei lebenden Katzenpopuationen in zehn bis fünfzehn Jahren „beherrschbar“ werde. Das scheint nicht unberechtigt: Seit 2014 läuft in Schleswig-Holstein ein Gemeinschaftsprojekt, dass sinkende Zahlen verwilderter Katzen zur Folge hat (siehe „Hintergrund“ unten).

Lobby-Sieg des Tierschutzbundes?

Einen „Lobby-Sieg des Tierschutzbundes“ wollte Schröder nicht erkennen: „Wir arbeiten schon lange daran, die Kostensituation in Tierheimen beherrschbar zu machen.“ Die Tierarztkosten gehörten dabei nach Personal und Futter zu den drei großen Ausgabenpositionen. Man habe mit der GOT-Anpassung (im Wahljahr / Anm. d. Red) „einen politisch günstigen Moment erwischt“.

wir-sind-tierarzt.de kommentiert:

(jh) – Nein, Vater Staat schreibt den Tierärzten nicht vor, dass sie bei Kastrationsaktionen auf Honorar verzichten müssen. Kein Tierschutzverein kann Sonderpreise einfordern. Doch die GOT-Öffnung nach unten erhöht den moralischen Druck.
Für die Tierärzte kann das zu einem echten Dilemma werden. Viele wollen – und werden – auch weiter den Tierschutz unterstützen. Dafür brauchte es keine „legale“ Möglichkeit in der GOT.
Aber: Sollte dieses Sonderpreismodell womöglich „ein spürbarer Erfolg“ werden, weckt das Begehrlichkeiten. Es gibt genügend andere „Tierschutzprobleme“, bei denen Geld eine limitierende Rolle spielt. Die lassen sich leichter lösen, wenn man einem der Beteiligten – auf welchem Weg auch immer – die Kosten zuschustern kann. Politik kann da sehr erfinderisch sein.

Staat in die Pflicht nehmen

Gibt einen Ausweg, der dennoch dem Tierschutz Rechnung trägt?
Keinen echten. Die Praktiker aber können den Spieß vielleicht ein kleines Stück umdrehen: Vom „Kann-Verzicht“ auf einen Honoraranteil sollten sie nur dann Gebrauch machen, wenn neben den Tierschützern auch der Staat – also Bundesländer und Kommunen – spürbar Geld in die Hand nimmt und den allergrößten Teil der Kosten trägt. Das Kastrationsprojekt in Schleswig-Holstein (siehe unten) kann da eine Richtung vorgeben.

Solidarisch sein

Der Tierschutzbund wiederum sollte sich nicht auf seinem Lobby-Coup ausruhen. Er muss darauf achten, dass zumindest seine Mitgliedsvereine keine Koppelgeschäfte einfordern a la Tierheimbetreuungsverträge bekommt nur, wer am billigsten kastriert.
Umgekehrt sollten die Tierärzte soviel Solidarität aufbringen, dass sie nicht versuchen, sich gegenseitig mit „Ich-kastriere-für-die Hälfte-Angeboten“ auszustechen.

So viel kostet eine Katzenkastration nach neuer GOT. Auf welchen Anteil davon Tierärzte künftig bei Tierschutzaktionen verzichten, entscheiden sie selbst. (Folie: bpt – Foto: WiSiTiA/aw)

Hintergrund 

Wildlebende Katzenpopulationen: Problem und Lösung

Geschätzt zwei Millionen Katzen leben in Deutschland auf verwilderten Grundstücken, stillgelegten Fabrikgeländen oder auf Friedhöfen. Bei frei lebenden Katzen, so definiert es der Tierschutzbund, handele es sich um Nachkommen von ehemals privat gehaltenen Katzen, die nun ohne einen zuordenbaren Besitzer leben. Das Problem: Sie vermehren sich unkontrolliert, leiden oft unter Hunger und Krankheiten und sind nicht mehr auf den Menschen sozialisierbar.

Der Weg zur Lösung des Problems ist zwischen Tierärzten und Tierschützern ebenfalls unstrittig:

  • Akut müssen die frei lebenden Katzen eingefangen und nach der Kastration wieder in ihrem angestammten Revier freigelassen werden. So lassen sich Reproduktionszyklen unterbrechen.
  • Perspektivisch ist eine Kastrationspflicht für Freigänger-Katzen
  • sowie eine Kennzeichnungs- und Registrierungspflicht erforderlich. So lässt sich die Population kontrollieren, können Freigänger und entlaufenen Hauskatzen identifiziert und Kosten zugeordnet werden.

Deshalb fordern Tierschützer (hier) und Tierärzte (hier und hier) eine bundesweite Katzenschutzverordnung. Bisher gibt es nur einen Flickenteppich von rund 500 kommunalen Verordnungen.

Schleswig-Holstein: Freiwillig Aktionen erfolgreich

Kastrationsaktionen kosten Geld. Die kann und soll der karitative Tierschutz nicht allein durch Spenden finanzieren. Wie Staat, Tierschutz und Tierärzte zusammenarbeiten können, zeigt das Kastrationsprojekt in Schleswig-Holstein – auch wenn es nicht unumstritten ist.

Seit Herbst 2014 cofinanziert das Land dort über einen – von einem privaten Spender initiierten – Fonds regelmäßig Kastrationsaktionen.

  • 2015 wurden so insgesamt 5.671 Tiere kastriert – finanziert durch 408.490 Euro aus dem Fonds sowie einen Honorarverzicht der Tierärzte von 141.425 Euro.
  • 2016 konnte der Fond rund 215.000 Euro ausbezahlen, die Tierärzte haben auf 67.000 Euro Honorare verzichtet.

Die Aktion 2017 läuft zur Zeit. Diesmal stellt das Land 180.000 Euro bereit, Tierschützer 45.000 Euro und weitere Verbände 6.000 Euro. Der tierärztliche Beitrag errechnet sich am Ende der Aktion, da er durch 25 Euro Spende (Honorarverzicht) pro tatsächlichem Eingriff entsteht.
Insgesamt wurden in Schleswig-Holstein von 2014 bis 2016 so über 10.000 frei lebende Katzen kastriert. Ein Erfolg sei erkennbar, berichtete Dr. Stefanie Schmidtke in München: Mit jeder Aktion würden weniger Tiere eingefangen.

Zugespitze Tierarztkritik: Reduziertes Honorar vs reduzierte Leistung. (Folie: bpt – Foto: WiSiTiA/aw)

Quellen im Artikel verlinkt

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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