high level – low budget: Wieviel ist tierärztliche Turnierbetreuung wert?

Das sagt die GOT: Ein Tag "Anwesenheit bei Veranstaltungen" (Turnierbetreuung) kostet mindestens 309 Euro beim einfachen Satz. (Foto: © WiSiTiA/hh)

Was muss ein Turniertierarzt abrechnen und was „darf“ er kosten? Die Debatte um die Betreuung von Pferdesportveranstaltungen ist erneut aufgeflammt, weil es immer noch keine bundesweite Einigung mit der Reiterlichen Vereinigung gibt. Die tierärztliche Gebührenordnung nennt rund 309 Euro Tagessatz. Ist das zu viel oder eher zu wenig?

von Annegret Wagner (mit Kommentar)

Viele Tierärzte scheinen trotz geltender Gebührenordnung für Tierärzte (GOT) ein Problem mit der Abrechnung ihrer Leistung zu haben. Das zeigte sich überdeutlich auch bei der Diskussion zur Bezahlung der tierärztlichen Betreuung von Pferdesportveranstaltungen auf dem bpt-Kongress 2017 in München.
Sie wurde unter der Überschrift „Turnierbetreuung: high level – low budget“ aktuell ins Kongressprogramm aufgenommen, weil zuletzt zum wiederholten Male keine Einigung mit der Reiterlichen Vereinigung (FN) über einen Rahmenvertrag erzielt werden konnte. Bundesweit gültige feste Abrechnungssätze gibt es seit 2007 nicht mehr. So kann (und muß) jeder Turnierveranstalter mit (s)einem Tierarzt die finanziellen Bedingungen einer Turnierberbetreuung selbst aushandeln oder auf regionale Vereinbarungen zurückgreifen.

GOT gibt den Rahmen vor: Minimum 307,85 Euro

Rechnet vor, was Turnierbetreuung mindestens kosten muss: Pferdepraktiker Dr. Kai Kreling. (Foto: © WiSiTiA/aw)

Den Tagessatz für die Tierarztpräsenz bei einer Pferdesportveranstaltung benennt die aktuelle GOT auf den Cent: Mindestens 307,85 Euro müsse eine Tierarzt laut Gebührenordnungsposition 40 ansetzen, rechnete Dr. Kai Kreling in München vor. Das gelte für einen achtstündigen Dienst, für jede weitere Stunde seien 38,50 Euro fällig. Dazu können Fahrtkosten von 2,30 Euro pro Doppelkilometer kommen. All das entspricht dem einfachen GOT-Satz. Rein rechtlich sei es möglich, diesen – da es sich in der Regel um Wochenendveranstaltungen handele – bis zum dreifachen zu erhöhen.

Bekommt der Turniertierarzt viel Geld fürs Zugucken?

Da oft ja nichts passiere, seien auch geringere Tagessätze möglich, warfen Tierärzte in die Diskussion ein (mehr siehe unten). Kai Kreling hielt dagegen, dass bei einer echten Turnierbetreuung für einen Turniertierarzt schon ganz ohne Unfall einiges zu tun sei. Das reicht von der Kontrolle der Pferdepässe, über das Prüfen der Verfassung und der Fitness der teilnehmenden Pferden und der Beratung von Pferdebesitzern, Veranstaltern und Richtern bis zur wichtigen Überwachung des Tierschutzes. All das fordere im Übrigen auch die Leistungs-Prüfungs-Ordnung (LPO) der reiterlichen Vereinigung.
Gerade das Tierschutzthema wird immer wichtiger (Debatte siehe hier). Es gebe genug Interessenverbände, die hinterfragten, ob und wie ein Pferd beim Sport geritten werden darf/muss. Deshalb sei die generelle Präsenz eines qualifzierten Turniertierarztes ein wichtiger Aspekt, um das Gesamtbild des Pferdesports zu verbessern.
Auch außerhalb des eigentlichen Turnierdienstes hat ein Tierarzt bereits Kosten: Er muss entsprechende Lehrgänge besuchen und sich auch regelmäßig weiterbilden.

Das sagt die GOT: Ein Tag „Anwesenheit bei Veranstaltungen“ (Turnierbetreuung) kostet mindestens 309 Euro beim einfachen Satz. (Foto: © WiSiTiA/hh)

Tierärzte und die „Mischkalkulation“

Die Diskussion über die Abrechnung, zeigte dann das volle Spektrum der Tierarztmeinungen. Einige Pferdepraktiker – vor allem die, die selbst an der Ausrichtung von Turnieren beteiligt sind – empfahlen, deutlich geringere Tagessätze anzusetzen als die GOT-Berechnung. Ansonsten könnten die Veranstalter die erheblichen Mehrkosten nicht stemmen. Außerdem würden die Tierärzte das ganze Jahr an den Pferden verdienen. Der Turnierdienst sei so Teil einer Mischkalkulation und keine eigenständige Leistung.

Tierarzt oder Blumenschmuck

Dieser Argumentation folgte die Mehrheit der Anwesenden allerdings nicht. In der Realität werde heute nur noch sehr selten der (turnierveranstaltende) Reitstall/Verein von nur einer Praxis betreut. In den Ställen „verdienten“ eine Vielzahl von Tierärzten mit unterschiedlichen Schwerpunkten (Lahmheit, Kolik, Zähne etc.).
Zum anderen seien selbst die Teilnehmer an ländlichen Turnieren vielfach so professionell ausgerüstet, dass man ihnen ein höheres Startgeld finanziell durchaus zumuten könne. Dr. Kreling erinnerte daran, dass seit den 1990er Jahren der Preis für die tierärztliche Betreuung im Nenngeld enthalten sei. Leider werde dieses Geld mittlerweile aber eher „für Blumenschmuck verwendet“.

Was muss ein Turnierdienst wirklich kosten?

Wer die echten Kosten, die einer Praxis für den Turnierdienst entstehen betriebswirtschaftlich sauber kalkuliert, kommt zu ganz anderen Tagessätzen. Realistisch sei eher ein Betrag um die 1.000 denn 300 Euro, betonten einige Teilnehmer.
Warum? Die üblichen Turniertage Samstag/Sonntag sind keine normalen Arbeitstage. Wochenendarbeit muss (bei angestellten Tierärzten zwingend) durch Freizeit ausgeglichen werden, um die rechtlich bindenden Arbeitszeiten einzuhalten. Außerdem sind Wochenendzuschläge beim Gehalt fällig.
Da sind die 125 Euro pro Stunde – die sich aus einem Tagessatz von 1.000 Euro umgerechnet auf acht Stunden ergeben – an einem Wochenende im Vergleich zu Handwerkerstundensätzen keineswegs überteuert. Gerade junge Kollegen, bei denen Wochenend- und Notdienste nicht ins Work-Life-Balance-Konzept passen, seien schwierig zu motivieren und schon gar nicht mit (zu) wenig Geld.

Rettungssanitäter qualifizierter als Tierarzt?

Auch im Vergleich zu anderen sei der Tierarzt nach GOT-Einfachsatz noch günstig. Die ständige Anwesenheit von zwei Rettungssanitätern (Ausbildungszeit drei bis vier Monate) sei für Veranstalter nicht verhandelbar. Die würden mit 350 Euro pro Tag und Person entlohnt.
Für viele Praktiker ist daher nicht nachzuvollziehen, warum ausgerechnet Tierärzte und ihre finanziellen Forderungen die Turnierveranstalter vor unlösbare finanzielle Belastungen stellen sollten.

Tierarztkosten transparent machen?

Stattdessen – so regten es einige Kollegen an – sollte man die Tierarztkosten transparent machen und das Nenn- oder Startgeld um den nötigen Betrag erhöhen – durchaus bewußt mit Benennung des Postens „Tierärztliche Turnierbetreuung“.
Andere würden dagegen lieber mit den Landeskommissionen abrechnen und den Ausrichter nicht behelligen. Solche Überlegungen wurden teilweise schon ausgelotet, bisher immer ohne zufriedenstellendes Ergebnis.

Anwesenheit oder Rufbereitschaft?

Geht es um Turnierbetreuung, geht es immer auch um die Debatte Anwesenheitspflicht am Turnierort oder Rufbereitschaft. Einige Veranstalter – und auch Pferdepraktiker – halten es weiterhin für ausreichend, wenn der Tierarzt im Notfall innerhalb von 15 Minuten am Turnierort sein kann: Sie seien im Rahmen ihrer Turnierdienste noch nie mit Notfällen konfrontiert worden.
Für andere ist die Bereitschaftsvariante nicht mehr zeitgemäß. Sie sehen darin sogar große Risiken für das Image des Pferdesports, auf den ohnehin zunehmend kritisch geschaut werde: Bilder eines Pferdes, das bei einer Verletzung vor den Augen des Publikums ohne tierärztliche Versorgung bleibt, verbreiten sich über soziale Medien im Internet in Windeseile. 15 Minuten können da eine quälend lange Zeit sein – und ein schlechtes Licht auf die Notfallversorgung von Pferden werfen.

Fazit: Auf Mindeststandards achten

Das Fazit der Diskussion lautete:

  • Es gibt durchaus Veranstaltungen mit erfahrungsgemäß geringem Verletzungsrisiko für Pferde, bei denen keine ständige Anwesenheitspflicht nötig sei (Voltigieren, Dressurturniere unter einem gewissen Schwierigkeitsgrad)
  • Es wäre wünschenswert, dass sich die Kollegen bei Turnierbetreuung künftig zumindest an die Verrechnung des einfachen GOT-Satzes halten.
  • Ob eine Praxis ihrerseits einzelne Wettbewerbe sponsort und so die Veranstalter unterstützt, sei eine persönliche Entscheidung des Inhabers.
  • Honorarverzicht wurde aber einhellig nicht als das richtige Instrument gesehen, die Turnierkosten zu senken.

wir-sind-tierarzt.de kommentiert:
Nicht die Falschen subventionieren!

(jh) – Die Szenarien gleichen sich immer wieder – leider.
Allzuoft denken Tierärzte nicht darüber nach, was eine „Leistung“ die Praxis tatsächlich kostet, sondern ob und wie der Tierbesitzer denn dadurch womöglich unzumutbar belastet werde. Das ist der falsche Ansatz.

Ein selbständiger Pferdepraktiker mag sich so noch ausbeuten oder die Turnierbetreuung als Investment in die Kundenbindung betrachten. Wenn er aber mit dem Verweis auf „fehlende Abrechnungsmöglichkeit“ seine Angestellten für Wochenenddienste nicht angemessen bezahlen „kann“ oder gar das Arbeitszeitgesetz missachtet, dann nimmt er definitiv auf die Falschen Rücksicht. (Angestellte) Tierärzte können nicht den Reitsport subventionieren.
Je nach Größe des Teilnehmerfeldes lässt sich schon mit wenigen Euro „Umlage“ auf das Startgeld eine Turnierbetreuung halbwegs akzeptabel honorieren. Aus dieser Pflicht dürfen die Pferdepraktiker weder sich selbst noch die Veranstalter entlassen.

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Über den Autor

Annegret Wagner

Dr. Annegret Wagner (aw) hat in Gießen Tiermedizin studiert und arbeitet seit 1991 in der Großtierpraxis; seit 2005 niedergelassen in eigener Praxis mit Schwerpunkt Milchrind im Raum Rosenheim. Seit 2006 arbeitet sie auch als tiermedizinische Fachjournalistin. So hat sie für die VETimpulse die Nutztierthemen betreut und übernimmt diese Aufgabe auch bei wir-sind-tierarzt.de. Um nicht zum Mia-san-mia-Bayer zu mutieren, schaut sie intensiv über den Alpenrand hinaus, vorzugsweise ins englischsprachige Ausland. Kontakt: annegret.wagner(at)wir-sind-tierarzt.de
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