Die Schweiz meldet einen Rückgang der Antibiotikaverkaufsmenge für die Tiermedizin von 45 Prozent in den letzten neun Jahren. Die Menge sank auf 38,3 Tonnen im Jahr 2016. Mit Minus 25 Prozent war der Rückgang bei den „kritischen Antibiotika“ von 2015 auf 2016 erstmals deutlich spürbar. Anders als Deutschland berichtet die Schweiz auch über die Menge der bei Heimtieren eingesetzten Antibiotika: Hier werden etwa mehr Cephalosporine verkauft als bei Nutztieren.
von Jörg Held
Auch in der Schweiz werden immer weniger Antibiotika für Tiere verkauft. Waren es im Jahr 2008 noch 68.8 Tonnen sank die Menge im Jahr 2016 auf 38.4 Tonnen. Dies entspricht einem Rückgang von 45 Prozent innerhalb von neun Jahren. Im direkten Vergleich zum Vorjahr liegt das Minus bei neun Prozent (-3.770 kg).
Ein Manko in den Schweizer Zahlen ist, dass in der Gesamtübersicht die Cephalosporine nicht nach Generationen unterschieden werden. Die als für die Humanmedizin wichtig eingestuften Cephalosporine der 3. und 4. Generation machen knapp ein Drittel (133 von 431 kg) des gesamten Cephalosporineeinsatzes aus, heißt es aber im Bericht des Schweizer Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz (BLV).
Dafür weisen die Schweizer ihre Zahlen auch in Relation zu der auf EU-Ebene üblichen Messgröße PCU aus – also in Bezug zur Biomasse der gehaltenen Tiere (Tabelle).
Zum Vergleich: Die Abgabemengen 2016 in Deutschland (Angabe in Tonnen) – hierzulande sind Nutztierbestände allerdings erheblich größer. (Einordnung der deutschen Zahlen hier)
Für beide Länder gilt: Die Statistik zu den Vertriebsmengen gibt Aufschluss darüber, welche Antibiotikaklassen im Laufe der Zeit häufiger oder seltener verkauft wurden. Sie lasse aber keine Aussagen über den Antibiotikaeinsatz bei spezifischen Tierarten oder Produktionstypen zu. Die Mengendaten eigneten sich auch nicht, um übermässigen oder unsachgemässen Antibiotikaeinsatz zu identifizieren oder Zusammenhänge mit der Resistenzlage aufzuzeigen, schreibt das BLV in seinem Bericht.
Schweiz: Deutlicher Rückgang bei „kritischen Antibiotika“
2016 gab es aber erstmals eine deutliche Reduzierung bei den kritischen Antibiotika. Die Schweizer ordnen Cephalosporine der 3./4. Generation, Fluorchinolone und Makrolide in die für die Humanmedizin wichtige Gruppe der sogenannten „highest priority critically important antimicrobials“ (HPCIAs) ein.
Der Bericht hebt hervor, dass die Vertriebsmengen dieser kritischen Antibiotika von 2015 auf 2016 um 23 bis 25 Prozent zurückgingen (siehe Tabelle unten). Allerdings hatte sich hier in den Vorjahren wenig bewegt. Zum Teil waren zwischenzeitlich – wie auch in Deutschland – die Mengen sogar angestiegen (Fluorchinolone).
Innerhalb der Gruppe der kritischen Antibiotika verzeichneten die Schweizer einen besonders hohen Rückgang bei Long-Acting-Präparaten, den einmalig zu applizierenden, langwirkenden Injektionspräparaten: Ein Minus von 32 Prozent im Vergleich zum Jahr 2015.
Für diese „plötzliche“ spürbare Veränderung bei den kritischen Wirkstoffen, haben die Schweizer Behörden auch eine Erklärung: Sie könnte hauptsächlich darauf zurückzuführen sein, dass die Abgabe dieser Präparate auf Vorrat an Tierhalter seit 1. April 2016 nicht mehr erlaubt ist, heißt es im BLV-Bericht.
Colistin: Schweiz unterbietet die EU-Vorgabe
Colistin zählen weder die Schweiz noch Deutschland – in der retrospektiven Betrachtung der Vorjahre – zu den besonders kritischen Wirkstoffen. Der Grund: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat das seit Jahrzehnten in der Tiermedizin eingesetzte Colistin erst im Jahr 2017 als „Reserveantibiotikum der Humanmedizin“ eingestuft (Bericht hier). Erst seit 2015 ein mobiles Resistenzgen (mcr-1) entdeckt wurde, rückte Colistin mehr und mehr in den Fokus.
Trotzdem weist der Schweizer Bericht ausdrücklich auf einen deutlichen Colistin-Rückgang hin: Seit 2008 hat der Verkauf um 76 Prozent abgenommen und lag 2016 bei 372 kg. In der Schweiz sind Colistin-Präparate hauptsächlich für die Anwendung bei Schweinen mit Gram-negativen gastrointestinalen Infektionen für die Verabreichung über das Futter zugelassen.
Pro produziertes kg Nutztier (population correction unit, PCU) wurde in der Schweiz 0.5 mg Colistin verkauft. Dies liegt weit unter dem Europäischen Durchschnitt.
Die Europäische Arzneimittelagentur EMA hat die Mitgliedsstaaten aufgefordert, den Colistineinsatz bis 2017 auf höchstens 5 mg/PCU zu reduzieren, idealer Zielwert sei 1 mg/PCU. Diesen Wert haben neben der Schweiz auch Dänemark und die Niederlande erreicht. Deutschland dürfte bis 2017 erst den Zielwert 5 mg/PCU schaffen.
Nutztiere: Größter Rückgang bei oraler Medikation
Anders als hierzulande weisen die Schweizer die Zahlen der Antibiotika für Nutztiere noch einmal gesondert aus (siehe Tabelle unten). Sie machen etwa 98 Prozent der Gesamtmenge aus.
Allerdings fallen darunter auch die Vertriebsmengen der Präparate, die sowohl für Nutz- als auch für Heimtiere zugelassen sind. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass die Heimtiermengen dabei zu vernachlässigen sind. Der Bericht weist aber darauf hin, dass so der Einsatz bei den Heimtieren tendenziell etwas unterschätzt werde.
Nur etwa zwei Prozent der in der Schweiz verfügbaren Antibiotika sind allein für Heimtiere zugelassen.
Heimtiere: Cephalosporine sind wichtig
Bei den Heimtieren sind in den vergangenen Jahren in der Schweiz die Vertriebsmengen von Penicillin und anderen nicht kritischen Antibiotika leicht gestiegen. Das könnte darauf zurückzuführen sein, dass sie als Ersatz für „kritische Antibiotika“ eingesetzt werden, schreibt das BLV. Deren Menge sei gesunken.
Auffallend ist dabei, dass in der Schweiz die Cephalosporine bei den Heimtieren auf Platz zwei der Abgabemenge stehen (241 kg/Tabelle). Auf Nutztiere entfallen mit 190 kg deutlich geringere Mengen (siehe Tabelle oben). Ob dieses Verhältnis auch für die „kritischen“ Cephalosporine der 3./4. Generation gilt, ist aus den Daten aber nicht zu entnehmen.
„Prudent Use“ durch Tierärzte
Die Abnahme basiere hauptsächlich auf einer Reduktion der Verkäufe von Tierarzneimitteln, die in der Nutztierhaltung zur Behandlung von Tiergruppen über das Futter verabreicht werden, sagt das BLV. Dabei weise die stete Abnahme der Gesamtverkaufsmenge von Antibiotika auf eine Bewusstseinsänderung bei den Tierärztinnen und Tierärzten sowie bei den Tierhaltenden hin. Außerdem scheinen Massnahmen, wie das Verbot einer Abgabe auf Vorrat von kritischen Antibiotikaklassen oder von Antibiotika für den prophylaktischen Einsatz, zu wirken.
Schweiz: Antibiotikadatenbank kommt 2019
Über den effektiven und zielgerichteten Einsatz der Antibiotika lässt die Verkaufsstatistik allerdings keine Schlussfolgerungen zu, betont das BLV.
Dafür plant auch die Schweiz eine Antibiotikadatenbank, vergleichbar mit dem staatlichen Antibiotikamonitoring in Deutschland. Darin soll die Behandlungshäufigkeit durch Tierärzte bei den einzelnen Tierarten respektive Produktionsformen erfasst werden. Die Schweizer wollen sich – anders als Deutschland – aber nicht auf die Tiermast beschränken, sondern von Ferkelaufzucht, Schwein- und Kälbermast bis zur Milchviehhaltung alle Haltungsformen erfassen.
Das „Informationssystem über den Antibiotikaverbrauch (IS-ABV)“ soll Anfang 2019 im Nutztierbereich beginnen. Später will man es auch auf Heimtiere ausweiten.
Die Behörden wollen anhand der Daten künftig tier- und nutzungsartspezifische Probleme beim Antibiotikaeinsatz identifizieren und dann gezielt gegensteuern.
Was die Schweizer bereits auf den Weg gebracht haben und noch planen, um Antibiotikaresistenzen zu minimieren, lässt sich in der „Nationalen Strategie Antibiotikaresistenzen (StAR)„ nachlesen (Webseite hier – PDF-Download hier)