Kein Verbot, aber eine Neueinstufung als „critically important“ für den Einsatz in der Humanmedizin – die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) bewertet das über 60 Jahre alte Antibiotikum Colistin neu. Und gibt vor: Der Einsatz in der Nutztierhaltung müsse binnen drei bis vier Jahren europaweit um mehr als die Hälfte sinken. Deutschland müsste sogar ⅔ oder 65 Tonnen weniger einsetzen.
von Jörg Held
„Critically important“ ist die zweithöchste Stufe auf der Antibiotika-Skala der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Diese Antibiotika haben eine besondere Bedeutung für die menschliche Gesundheit und ihr Einsatz in der Tiermedizin soll – und kann – eingeschränkt werden. Das Polymyxinantibiotikum Colistin galt bisher in der Tiermedizin als ein gegen E. Coli-Infektionen – überwiegend bei Schwein und Geflügel – gut wirksames, meist oral verabreichtes Antibiotikum, das dennoch primär auf den Zielkeim wirkt.
Die Humanmedizin setzt Colistin aber in den letzten Jahren, trotz vielfältiger Nebenwirkungen bei Menschen, immer stärker als „Reserveantibiotikum“ bei carbapenemresistenten Bakterien ein.
Mobile Resistenz führt zu Neubewertung
Eine Neubewertung hat die EMA für nötig erachtet, weil ein 2015 neu entdecktes Resistenzgen (mcr-1 / Hintergründe hier) eine bisher für Colistin unbekannte Resistenzmobilität aufweist: Auf einem Plasmid lokalisiert, kann es besonders leicht (Multi)Resistenzen weitergeben.
Allerdings wurde dieses Gen inzwischen in Rückstellproben bis 2004 nachgewiesen und in dieser Zeit haben die Behörden keinen ungewöhnlichen Resistenzanstieg registriert. Im Gegenteil: Colistin hat im Vergleich mit anderen Antibiotika geringe Resistenzraten. Und das trotz häufigem Einsatz bei Tieren (Platz fünf der europaweit eingesetzten Veterinärantibiotika / Deutschland Platz 4).
Reduzierungsziel: europaweit 65 Prozent weniger
Vorbeugend will die EMA dennoch – obwohl die Datenlage noch Lücken aufweist – den Colistineinsatz bei Nutztieren reduziert sehen, um den Selektionsdruck zu senken. Ziel ist ein Einsatz von maximal 5 mg Colistin pro Population Correction Unit (PCU). Die PCU errechnet sich dabei aus dem Gewicht der jeweiligen Nutz- und Schlachttierarten eines Landes. Die EMA erwartet, dass so europaweit die Menge des eingesetzten Colistins um 65 Prozent gesenkt werden kann (Bezugsjahr 2013).
Deutschland soll zwei Drittel einsparen
In Deutschland wurden in den Jahren 2011 bis 2013 jeweils etwa 15 mg/PCU Colistin eingesetzt (siehe Tabelle). Diese Menge soll um ⅔ reduziert werden (auf 5 mg/PCU). Tierärzte und Landwirte haben in 2014 gegenüber dem Vorjahr zwar bereits 18 Tonnen weniger verwendet (107 statt 125 Tonnen – die Mengen für 2015 werden in der kommenden Woche/KW 31 veröffentlicht), doch aufgrund der EMA-Vorgaben wäre bis 2017 eine Reduzierung um weitere 65 Tonnen nötig.
Mitgliedsstaaten dürfen schärfer Vorgaben machen
Die EMA „ermutigt“ die Mitgliedsstaaten sogar zu noch schärferen Reduktionszielen und zwar einer Senkung auf bis zu 1 mg/PCU. Dabei soll es – und darauf weist die EMA ausdrücklich hin – keine Mengensteigerung bei anderen Antibiotika geben. Die Reduzierung sollen die Tierhalter durch veränderte Haltungsbedingungen und einen besseren Gesundheitsstatus und nicht durch einen Wirkstoffwechsel erreichen, insbesondere nicht durch den Einsatz von Fluorchinolonen oder Cephalosporinen (3./4. Generation).
Weniger als 1 mg/PCU setzen bereits jetzt Länder wie Dänemark, die Niederlande und Großbritannien ein, während Italien und Spanien zwischen 20 und 25 mg/PCU liegen.
Deutschland gegen Pauschalziele
Deutschland hat sich in einer Stellungnahme sowohl gegen ein Colistin-Verbot, als auch wissenschaftlich nicht belegte pauschale (prozentuale) Reduktionsziele ausgesprochen (Comment 5 in dieser Quelle). Tierärzte sollten im Rahmen ihrer Therapiefreiheit das jeweils notwendige Medikament einsetzen dürfen. Die erforderliche Reduzierung werde durch das staatliche Antibiotikamonitoring erreicht.
Schärfere Reduzierungsvorgaben als die 5 mg/PCU der EMA dürften also von der Bundesregierung nicht zu erwarten sein.
Komplettverbot abgewendet
Der Europäische Tierärzteverband (FVE) hat bei der EMA dafür geworben, Colistin nicht komplett zu verbieten, was rechtlich ebenfalls möglich gewesen wäre. Die EMA folgte dem und erlaubt Colistin weiter in den Fällen, in denen es als beste Behandlungsoption bei Nutztieren gilt – allerdings mit der klaren Vorgabe, die Menge auf das Niveau der „besseren“ Staaten zu reduzieren.
Quellen:
EMA-Pressemeldung zur Colistin-Neubewertung (27.7.2016)
EMA-Neubewertung im Volltext (PDF-Download)
Stellungnahmen von Verbänden und Regierungen vor der Neubewertung (PDF-Download)