Wie gut wirkt transkutane Lokalanästhesie?

Kalb – frisch enthornt und die Hornanlage mit Blauspray geschützt. (© WiSiTiA/aw)

Die Frage, ob eine transkutane Lokalanästhesie Schmerzen wirklich lindern kann, beschäftigt Tierärzte bei verschiedenen Indikationen: In Nordamerika bei der Enthornung von Kälbern, in Deutschland bei der Kastration von Saugferkeln. Die Amerikaner sagen nun: Eine auf die Haut aufgetragene Paste mit integrierten Lokalkanästhetika wirkt nicht ausreichend.

von Annegret Wagner

Die Enthornung von Kälbern ist schmerzhaft. In Deutschland ist deshalb die Gabe eines Schmerzmittels vorgeschrieben (mehr zum Verfahren hier). In den USA und Kanada sind auch Ätzpasten erlaubt (hierzulande verboten – siehe Hintergrund unten). Aus der Humanmedizin weiß man, dass Verletzungen durch Verätzungen in ihrer Schmerzhaftigkeit deutlich stärker variieren als Brandwunden.
Ein Team der University of Guelph (Kanada) wollte ermitteln, ob solche Ätzpasten, wenn sie zugleich Lokalanästhetika enthalten, Schmerzen ausreichend ausschalten. Dazu haben die Tierärzte verschiedene Möglichkeiten der Schmerzausschaltung im Zusammenhang mit der Verätzung von Hornanlagen verglichen und ihre Wirksamkeit bewertet (Volltext der Untersuchung hier).

Vier Verfahren im Vergleich

Todd Duffiled und Mitarbeiter bildeten vier Gruppen, in denen alle Kälber zusätzlich vor dem Aufbringen der verschiedenen Pasten 0,5 mg/kg Meloxicam subkutan verabreicht bekamen:

  • Eine Kontrollgruppe, der sie eine Placebopaste auf die Hornanlagen aufbrachten und die einen lokalen Nervenblock mit Kochsalzlösung erhielt.
  • Die zweite Gruppe behandelten die Kanadier mit einer neuartigen Ätzpaste. Sie enthielt die Lokalanästhetika Lidocain und Prilocain. Zusätzlich setzten sie ebenfalls einen Nervenblock mit Kochsalzlösung.
  • Die dritte Gruppe behandelten sie mit normaler Ätzpaste nach Leitungsanästhesie des N. Cornualis mit Lidocain.
  • Bei Gruppe vier haben sie herkömmlich mit Ätzpaste unter Placeboanästhesie enthornt.

Anschließend haben die Tierärzte die Kälber über 180 Minuten beobachtet, ihr Verhalten registriert und Parameter wie Atmung und Pulsfrequenz erfasst.

Nur injiziertes Lokalanästhetikums reduziert Schmerzen

Das Ergebnis: Es gab bei den Schmerzreaktionen keine Unterschiede zwischen der Anwendung der herkömmlichen Ätzpaste und der Ätzpaste mit integrierten Lokalkanästhetika. Einzig der Nervenblock mit einem Anästhetikum konnte die Schmerzhaftigkeit im Anschluss an das Aufbringen der Ätzpaste deutlich senken.
Die Autoren sind daher der Ansicht, dass die neue, Lokalanästhetika enthaltende Ätzpaste nicht geeignet ist, um die Schmerzen durch den Eingriff zu vermindern. Ihre Empfehlung lautet, Kälber nur nach lokaler Betäubung durch Injektion eines Lokalanästhetikums an den N. Cornualis in Kombination mit der Gabe eines nichtsteroidalen Antiphlogistikums zu enthornen.

wir-sind-tierarzt.de meint: Betäubungspasten sind keine Alternative

(aw) – Die kanadischen Ergebnisse sind zwar auf den ersten Blick für deutsche Verhältnisse nicht relevant, da die Methode ohnehin nicht zugelassen ist (siehe unten).
Allerdings hinterfragt die Studie indirekt auch den Sinn von auf die Haut auftragbaren Pasten, die ein Lokalanästhetikum enthalten. Und das wird aktuell auch hierzulande als mögliche Alternative für die Kastration von Ferkeln unter lokaler Betäubung sehr wohl diskutiert. Die Untersuchung gibt aber einen ziemlich klaren Hinweis, dass Betäubungspasten allein wenig wirksam sind.

Quelle: Journal of Dairy Science

Hintergrund: Enthornen mit Ätzstiften

In Deutschland ist das Verätzen der Hornanlagen zum Enthornen von Kälbern nicht mehr erlaubt. Die einst zugelassenen Ätzstifte wurden verboten, weil es bei falscher Anwendung zu großflächigen Verätzungen der Kopfhaut und sogar der Augen kommen kann. Die Stifte benötigten Feuchtigkeit, um zu wirken. Doch durch (zu viel) Wasser konnten sich die ätzenden Wirkstoffe unsachgemäß verteilen.
In den USA und Kanada verwenden die Landwirte allerdings keine Ätzstifte, die nur in Kombination mit Feuchtigkeit wirksam sind, sondern zähe Ätzpasten. Diese können lokal aufgetragen und so besser dosiert werden.
Das Verfahren zur korrekten Enthornung beschreibt der hier verlinkte Artikel.

Teilen
Über den Autor

Annegret Wagner

Dr. Annegret Wagner (aw) hat in Gießen Tiermedizin studiert und arbeitet seit 1991 in der Großtierpraxis; seit 2005 niedergelassen in eigener Praxis mit Schwerpunkt Milchrind im Raum Rosenheim. Seit 2006 arbeitet sie auch als tiermedizinische Fachjournalistin. So hat sie für die VETimpulse die Nutztierthemen betreut und übernimmt diese Aufgabe auch bei wir-sind-tierarzt.de. Um nicht zum Mia-san-mia-Bayer zu mutieren, schaut sie intensiv über den Alpenrand hinaus, vorzugsweise ins englischsprachige Ausland. Kontakt: annegret.wagner(at)wir-sind-tierarzt.de
Web Design MymensinghPremium WordPress ThemesWeb Development

Wildtiere: Hilfe kann auch Leid bedeuten

9. März 20169. März 2016
Ein Faltblatt gibt Tipps zum Umgang mit Wildtieren. (©Landestierschutzbeauftragte Hessen / Erni/Fotolia.com)„Wildtiere brauchen in den aller seltensten Fällen menschliche Hilfe," sagt die Landestierschutzbeauftragte Hessen. Was tun kann, wer ein Wildtier findet – oder aber auch besser lassen sollte – erklärt ein Flyer, den Dr. Madeleine Martin zusammen mit der Landestierärztekammer Hessen herausgegeben hat. (mehr …)