Einen Großteil der beim Menschen gefundenen Antibiotikaresistenzen hat nach Ansicht des österreichischen Infektiologen Prof. Dr. Florian Thalhammer die Humanmedizin selbst verschuldet. Dennoch forderte er auf den 28. Bayerischen Tierärztetagen: Colistin „gehört“ der Humanmedizin.
von Annegret Wagner
Awareness – Bewusstsein schaffen – das ist die wichtigste Strategie zur Minimierung antimikrobieller Resistenzen. Deshalb ist der Einsatz von Antibiotika bei Mensch und Tier mittlerweile ein Standardthema auf jedem deutschen Tierärztekongress. Zu den 28. Bayrischen Tierärztetagen in Nürnberg hatten die Organisatoren mit Prof. Dr. Florian Thalhammer einen – in Deutschland eher weniger bekannten – österreichischen Infektiologen der Medizinischen Universität Wien eingeladen. Der wählte klare Worte.
Colistin „gehört“ der Humanmedizin
Humorvoll aber präzise beleuchtete der Humanmediziner Missstände im Umgang mit Antibiotika bei Mensch und Tier – so sei die Resistenzlage in der Humanmedizin selbstverschuldet (Begründung unten). Aber dennoch stellte er eine deutliche Forderung an die Tiermedizin:
Colistin „gehört“ der Humanmedizin. Es sollte in der Tiermedizin nicht mehr angewendet werden dürfen.
Es sei schließlich nicht zu leugnen, dass der Einsatz von Antibiotika und die Entstehung von Resistenzen gegen sie im Zusammenhang stünden. Colistin aber hat sich mit dem vermehrten Auftreten von multiresistenten, gramnegativen Erregern beim Menschen zu einem wichtigen „Reserveantibiotikum“ entwickelt. Zwar wurde ein Colistinseinsatz aufgrund der Nephrotoxizität in der Humanmedizin lange Zeit als „No go“ angesehen, trotzdem gilt es inzwischen weltweit als „last ressort“-Wirkstoff, dessen Wirksamkeit durch neu entdeckte mobile Resistenzgene womöglich stark gefährdet ist. Deshalb soll es – so fordern es auch EU-Aufsichtsbehörden – in der Tiermedizin nur noch sehr restriktiv eingesetzt werden.
Gerade Colistin werde aber in der Tiermedizin 600mal häufiger eingesetzt als in der Humanmedizin, kritisierte Thalhammer: „Dass muss sich ändern.“
Je weniger Antibiotika eingesetzt würden, desto langsamer schreite auch die Selektion auf resistente Keime voran, egal ob in der Human- oder Tiermedizin.
Hintergründe zur Debatte um das Antibiotikum Colistin finden sie hier
Humanmedizin ist an Resistenzentwicklung selbst schuld
An einem Großteil der in der Humanmedizin gefundenen Resistenzen sind nach Ansicht des Wiener Infektiologen die Humanmediziner allerdings selbst Schuld. So würden etwa bei Virusinfektionen auf Wunsch des Patienten häufig Antibiotika verordnet, obwohl diese keine Wirkung gegenüber Viren besitzen.
Mehr zu den Antibiotikaverordnungen der Humanmedizin lesen Sie hier
Ebenso sei die Anwendung von antibiotikahaltigen Salben in der Regel obsolet. Bei der Verschreibung von Medikamenten werde auch häufig die Applikationsart nicht ausreichend berücksichtigt. Und es kontrolliere kaum jemand, ob die Patienten die Medikamente korrekt einnähmen.
Zusätzlich führe der Sparzwang in den Kliniken zu erheblichem Zeitdruck beim Reinigungspersonal. Das sei ein Auslöser für vermehrte Resistenzen und erhöhten Keimdruck in Krankenhäusern.
Zu wenig Infektiologen
Darüber hinaus moniert Prof. Thalhammer, „leisteten“ sich zu wenig Krankenhäuser einen spezialisierten Infektiologen, der mit der Überprüfung von Schwachstellen beauftragt sein sollte. Er kritisierte auch die schlechte Bezahlung dieser Fachrichtung, was dazu führe, dass es generell zu wenig Infektiologen gäbe.
Unbedingt Applikationsmodus beachten
Beim Antibiotikaeinsatz betonte Prof. Thalhammer außerdem die Bedeutung des Applikationsmodus für die Resistenzbildung. Der habe einen wesentlichen Einfluss auf die Pharmakokinetik. Cephalosporine (bis auf Cefalexin), aber auch Amoxicillin werden oral schlecht resorbiert und erreichen daher oft im Zielgewebe nicht die nötige Konzentration. Der häufige Einsatz von Cephalosporinen, besonders der dritten Generation, in der Humanmedizin habe zur Entstehung von ESBL-positiven Enterobakterien (E. Coli, Klebsiella species) geführt.
(Einen prägnanten Abriss über die aktuelle antimikrobielle Therapie mit Blick auf konzentrationsabhängige und zeitabhängige Antibiotika hat Thalhammer hier veröffentlicht – PDF-Download.)
Resistenzentwicklung ist dosisabhängig
Zum Thema Resistenzen erinnerte Prof. Thalhammer die Tiermediziner noch an einen weiteren Aspekt: Die Resistenzentwicklung ist dosisabhängig. Niedrige Dosierungen von Antibiotika führen zu einer Selektion auf resistente Keime und sollten unbedingt unterbleiben. Das gelte etwa im Rahmen der Metaphylaxe oder – wenn auch offiziell verboten – beim Einsatz als „Leistungsförderer“.
Antibiotika müssen laut Thalhammer immer so hoch wie möglich dosiert und so kurz wie möglich gegeben werden.
Diese Erkenntnis ist in der Tiermedizin nicht neu. Allerdings ist sie – für Nutztiere –nicht ganz so leicht umzusetzen wie in der Humanmedizin, denn im Rahmen der Wartezeiten bei lebensmittelliefernden Tieren sind die Angaben auf dem Beipackzettel verpflichtend. Abweichungen von angegebenen Dosierungen gelten als Zulassungsüberschreitung und machen eine Neubeurteilung der Wartezeiten nötig – das ist in praxi in der Regel schwer möglich.