Antibiotikakennzahlen sinken weiter

Die neuen Antibiotikakennzahlen für das 2. Halbjahr 2015. (Tabelle: ©BVL)

Der Antibiotikaeinsatz in der Nutztierhaltung geht weiter deutlich zurück. Die neuen Kennzahlen für das 2. Halbjahr 2015 zeigen gegenüber der ersten Erfassung (2/2014) bei Schweinen eine Halbierung, bei Geflügel einen Rückgang um ein knappes Drittel.

(jh) – Zum dritten Mal haben die Behörden die Zahlen zur Therapiehäufigkeit, also einen mathematischen Vergleichswert für den betrieblichen Antibiotikaeinsatz in der Nutztierhaltung veröffentlicht. Die Werte sind weiter rückläufig. Doch wie muss man die Zahlen „lesen“, was lässt sich daraus ableiten und was nicht? Eine Erklärung:

Für die Tierhalter ist vor allem die „Kennzahl 2“ relevant (siehe Tabelle 1): Liegt ein Betrieb mit seinem Antibiotikaeinsatz über dieser Kennzahl, müssen die Landwirte mit ihrem Tierarzt einen sogenannten „Maßnahmenplan“ zur Reduzierung aufstellen. Das bedeutet aber nicht, dass sie Vielverbraucher sind, die bestraft werden müssen. Den Behörden liegen aber schon Medienanfragen vor, ob sie Betriebe aufgrund der Kennzahlüberschreitung bestraft oder gar geschlossen hätten. Dies zeigt, dass die Zahlen und das Konzept des Gesetzes sehr erklärungsbedürftig sind.

Die Therapiehäufigkeit geht weiter zurück – Antibiotikakennzahlen für das zweite Halbjahr 2015. (Tabelle: ©wir-sind-tierarzt.de)

Die Therapiehäufigkeit geht weiter zurück – Gegenüberstellung der „Kennzahl 2“ aus drei Erfassungshalbjahren. (Tabelle: ©wir-sind-tierarzt.de)

Landwirtschaftsministerium: Reduzierungsstrategie greift

Für das Bundeslandwirtschaftsministerium greift die Strategie zur Antibiotikaminimierung. Es bewertet „das Absinken der Kennzahlen als wichtigen Trend …, der auf einen veränderten Umgang mit antibiotischen Tierarzneimitteln bei den Tierarten, für die das Antibiotikaminimierungskonzept gilt, hinweist.“ Minister Christian Schmidt erklärte dazu: „In einem nächsten Schritt werde ich weitere Regelungen zum Einsatz von Antibiotika bei Tieren auf den Weg bringen. Insbesondere die Anwendung von Reserveantibiotika muss restriktiver werden. Gleichzeitig gebietet es aber der Tierschutz, dass wir kranke Tiere mit diesen Wirkstoffen behandeln, wenn das notwendig ist.“ Das Ministerium hat ein Eckpunktepapier vorgelegt, das die geplanten Regelungen skizziert.

Wem nutzen die Zahlen?

Zuallererst den Tierhaltern selbst, aber auch den behandelnden Tierärzten. Veröffentlicht werden hier die bundesweiten Kennzahlen zur Therapiehäufigkeit. Jedem Tierhalter hat das federführende Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) bereits vorab für seine gehaltene Tierart eine betriebsindividuelle Kennzahl mitgeteilt. Jetzt kann er sich mit den bundesweiten Zahlen vergleichen und so feststellen: Habe ich im Erfassungszeitraum mehr oder weniger Antibiotika eingesetzt als andere Tierhalter meiner Nutzungsart.
Auch die zuständigen Aufsichtsbehörden können die Werte einsehen und entsprechend handeln (siehe unten: Konsequenzen).

Was können die Zahlen NICHT aussagen?

Die Kennzahlen ermöglichen keine Aussage über die durchschnittliche Anzahl der Behandlungstage pro Tier je Halbjahr und sind auch nicht geeignet, einen Vergleich der Anwendungshäufigkeiten zwischen den einzelnen Tier- und Nutzungsarten zu beschreiben, betont das BVL.
Aus der Tabelle lässt sich also NICHT ablesen, dass Putenhalter fast sieben mal soviel Antibiotika wie Schweinehalter einsetzen. Die Therapiehäufigkeit ist ein mathematischer Wert und keine Mengenangabe (siehe unten: Wie entstehen die Zahlen).

Gegenüberstellung der Therapiehäufigkeiten aus allen bisherigen Erfassungszeiträumen. (Tabelle: ©wir-sind-tierarzt.de)

Gegenüberstellung der Therapiehäufigkeiten aus allen bisherigen Erfassungszeiträumen. (Tabelle: ©wir-sind-tierarzt.de)

Was ergibt sich aus dem Vergleich der bisherigen Erfassungszeiträume?

Die Kennzahlen sinken fast alle. Das bedeutet, die Tierhalter senken den Antibiotiakaeinsatz. Trotzdem kann das für einige Tierhalter bitter sein: Selbst wenn sie ihren Einsatz bereits deutlich – zum Beispiel um ein gutes Drittel – reduziert haben, können sie immer noch vergleichsweise „schlecht“ dastehen, weil auch die anderen Tierhalter weniger Medikamente eingesetzt haben und damit die „Grenzwerte“ insgesamt sinken. Ein Beispiel:

  • Ein Mastschweinehalter (über 30kg/KGW) lag in Halbjahr 2/2014 mit 9,6 noch knapp über der damaligen „Kennzahl 2“.
  • Er hat es aber geschafft, seinen Medikamenteneinsatz in einem Jahr um mehr als ein Drittel zu reduzieren, so dass er jetzt eine Kennzahl von z.B. 5,3 hat.
  • Trotzdem zählt er weiter zu den 25 Prozent der Betriebe im letzten Quartil (über Kennzahl 2) und muss mit einem Maßnahmenplan weiter reduzieren, denn:
  • Im Halbjahr 2/2015 ist auch die bundesweite „Kennzahl 2“ von 9,5 auf 4,6 gesunken.

Hier wird sehr gut das Prinzip des Antibiotikaminimierungskonzeptes sichtbar: Der Antibiotikaeinsatz in der Nutztierhaltung soll kontinuierlich Schritt für Schritt weiter reduziert werden. Dies geschieht, weil die „Grenzwerte“ durch erfolgreiche Reduzierung immer niedriger werden und so stetige Verbesserungen von den Tierhaltern verlangen. Die Laufzeit des Monitorings ist deshalb auch auf fünf Jahre angelegt, so dass insgesamt zehnmal Halbjahreswerte ermittelt werden. Danach bewertet der Gesetzgeber die Ergebnisse und entscheidet, wie weiter verfahren werden soll.

Wie sind die Zahlen zu bewerten?

Deshalb ist es jetzt – nach dem dritten vom zehn Erfassungszeiträumen – immer noch nicht zielführend, schon Schlussfolgerungen über Erfolg und Misserfolg oder das „Potential“ an Reduzierungen zu ziehen. Absehbar ist aber, dass die Zahlen nicht auf Null sinken können.
Es ist auch nicht zulässig zu sagen, die x-tausend Nutztierhalter, die über der „Kennzahl 2“ liegen, seien „notorische Vielverbraucher“. Bei jeder neuen Erfassung in den nächsten vier Jahren werden immer 25 Prozent der Betriebe in diesem letzten Quartil liegen – das ist mit der Systematik des Gesetzes und der Berechnung vorgegeben und so gewollt.
Liegen Betriebe aber dauerhaft im letzten Quartil und es ist keine Verbesserungstedenz zu erkennen , müssen sie erklären, warum sie im Vergleich mit anderen schlechter abschneiden. Hoftierarzt und Behörde müssen dies dann bewerten und Abhilfe schaffen.

Gerade die Hoftierärzte sollten allerdings auch offensiv gegenüber den Behörden ihre Verordnungen erklären: Gab es ungewöhnliche Krankheitsausbrüche? Welche Medikamente, die den Therapieindex „hochtreiben“ können, hat man bewußt eingesetzt? So kann zwar der Einsatz sogenannter „Reserveantibiotika“ die Therapiehäufigkeit senken, da diese Wirkstoffe weniger „Behandlungstage“ brauchen. Das ist allerdings gesamtgesellschaftlich absolut unerwünscht.
Klassische Kombinations-Antibiotika dagegen werden gleich mit doppelter Behandlungszeit gewertet, weil sie zwei Wirkstoffe enthalten. Das erhöht die „Therapiehäufigkeit“ – und ist von den Tierhaltern wiederum nicht gewünscht. Ein Zielkonflikt, unter dem inzwischen auch immer mehr Tiere leiden – weil später oder auch gar nicht behandelt wird.
Dabei ist Kennzahl zunächst nur ein Indikator und sagt nichts über die Notwendigkeit eines Antibiotikaeinsatzes aus. Deshalb soll/kann erst der Maßnahmenplan die Situation auf einem Betrieb schlüssig erklären.

Welche Probleme die Tierärzte mit der Kennzahl-Berechnung haben und was verbessert werden muss, ist hier erklärt

Wie Aufsichtsbehörden in NRW und Niedersachsen die Maßnahmenpläne bewerten, zeigt dieses Interview

Außerdem ist die Erfassungs-Systematik immer noch nicht ausgreift und die Datenlage nicht zu 100 Prozent sicher. Das zeigen die Werte aus der Kälbermast: 0,000-Werte sind unrealistisch, da praktisch immer Tiere erkranken und behandelt werden müssen und deshalb auch in den Kennzahlen auftauchen sollten.
Zum Vergleich: Das von QS organisierte Antibiotika-Monitoringsystem der privaten Wirtschaft hat etwa zwei Jahre gebraucht, um eine verlässliche Datenbasis aufzubauen.
(siehe dazu auch wir-sind-tierarzt.de-Bericht zum ersten Erfassungszeitraum hier und hier)

Wie entstehen die Zahlen?

Beispielrechnung mit der Berechnungsformel für die Therapiehäufigkeit. (© WiSiTiA)

Beispielrechnung mit der Berechnungsformel für die Therapiehäufigkeit. (© WiSiTiA)

Gemäß Arzneimittelgesetz müssen Tierhalter ab einer bestimmten Bestandsgröße halbjährlich die Bezeichnung der angewendeten Antibiotika, die Anzahl und Art der gehaltenen und behandelten Masttiere, die Anzahl der Behandlungstage sowie die insgesamt angewendete Menge von Antibiotika ihrer zuständigen Überwachungsbehörde melden. Aus den Meldungen ermittelt die Behörde mit nebenstehender Formel für jeden Betrieb und jede Nutzungsart einen betriebsindividuellen halbjährlichen Therapiehäufigkeitsindex.

Welche Konsequenz hat die Zahl?

Liegt der Betrieb über dem Median aller Betriebe (also über Kennzahl 1), muss der Tierhalter zusammen mit seinem Tierarzt die Ursachen dafür ermitteln und gegebenenfalls Maßnahmen ergreifen, die zur Reduzierung der Antibiotikaverwendung führen.

Liegt der Betrieb mit seiner betriebsindividuellen Kennzahl über dem dritten Quartil (der Kennzahl 2 – gehört also zu den letzten 25 Prozent der Tierhalter), muss der Tierhalter innerhalb von vier* Monaten nach Veröffentlichung der bundesweiten Kennzahlen einen schriftlichen Maßnahmenplan zur Senkung des Antibiotikaeinsatzes erarbeiten und diesen der zuständigen Überwachungsbehörde vorlegen. Die Behörde prüft den Plan und kann ggf. Änderungen anordnen und weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Hygiene, der Gesundheitsvorsorge oder der Haltungsbedingungen verlangen. Im Extremfall könnte sie das Ruhen der Tierhaltung anordnen.


Quellen:
BVL-Veröffentlichtung der bundesweiten Kennzahlen zur Therapiehäufigkeit bei Masttieren
Pressemitteilung Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) zur Veröffentlichung der Zahlen
Themenseite des BMEL zur Antibiotikaminimierungs-Strategie

Die Tabellen mit den Therapiehäufigkeiten können Sie hier auch als PDF herunterladen:
Gegenüberstellung der Therapiehäufigkeiten/Kennzahlen aller bisherigen Erfassungszeiträume
Gegenüberstellung der „Kennzahl 2“ der bisherigen drei Erfassungszeiträume

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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