Welchen fachlichen Wert haben parteipolitische Positionspapiere?

Karin Thissen, Amtstierärztin und seit Mai 2015 SPD-Bundestagsabgeordnete. (Foto: ©SPD-Schleswig-Holstein)Dr. Karin Thissen, Amtstierärztin und seit Mai 2015 SPD-Bundestagsabgeordnete. (Foto: ©SPD-Schleswig-Holstein)

Antibiotika-Reduktionsziele von 50 Prozent seien „absolut dummes Zeug“. Die SPD-Bundestagsabgeordnete und Tierärztin Dr. Karin Thissen distanzierte sich fachlich mit ungewöhnlich klaren Worten von dieser SPD-Forderung, die sie selbst mit unterzeichnet hatte. Wie aber entstehen überhaupt solche parteipolitischen Papiere? Ein Einblick.

von Jörg Held

Logo_NRW_TierärztetagWelchen fachlichen Wert haben eigentlich parteipolitische Positionspapiere? In einer Diskussion über den Antibiotikaeinsatz in der Nutztierhaltung auf dem NRW-Tierärztetag in Dortmund (4.9.2015) entwickelte sich ein kurzer Schlagabtausch über parteipolitische Forderungen und deren Entstehungsgeschichte:

Ende Juni hatte die SPD-Arbeitsgruppe Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz im Bundestag ein Positionspapier veröffentlicht. Unter der Überschrift „Antibiotikareduktionsstrategie weiterentwickeln“ heißt es (u.a.) wörtlich:

„Erforderlich ist es, eine eindeutige Zielvorgabe festzuschreiben, an denen sich Landwirte und Tierärzte orientieren müssen. Wir setzen uns dafür ein, dass der Antibiotika-Verbrauch in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung bis 2020 um mindestens 50 Prozent reduziert wird.“

In den ebenfalls im Papier aufgestellten „SPD-Forderungen an die Tierärzteschaft“ wird auch eine Konsequenz angedroht (Zitat):

„Gelingt dies der Tierärzteschaft nicht, ist sich vorzubehalten auch das tierärztliche Dispensierrecht zu reformieren.“

„Das lässt sich politisch gut verkaufen“

Karin Thissen, Amtstierärztin und seit Mai 2015 SPD-Bundestagsabgeordnete. (Foto: ©SPD-Schleswig-Holstein)

Dr. Karin Thissen, Amtstierärztin und seit Mai 2015 SPD-Bundestagsabgeordnete. (Foto: ©SPD-Schleswig-Holstein)

Für diese Aussagen hatten Tierärzte die SPD heftige kritisiert. Von Dr. Alfred Mennekes damit konfrontiert, dass diese „fachlich fragwürdigen Forderungen noch dazu von einer tierärztlichen Kollegin stammen“, erwiderte die SPD-Bundestagsabgeordnete und Tierärztin, Dr. Karin Thissen:

„Nein, das hat die Kollegin nie gefordert.“ Thissen räumte ein, dass sie das Positionspapier zwar entworfen habe – unter Zeitdruck –, „aber wenn ich es nicht gemacht hätte, wär es noch zehnmal schlimmer geworden.“ Eine Reduktion um 50 Prozent oder überhaupt eine Zahl zu nennen sei (Zitat) „dummes Zeug, absolut dummes Zeug.“

Für die „medizinischen Laien“ in der SPD-Arbeitsgruppe sei dies aber der Weg gewesen, „um von den Antibiotika-Mengen runter zu kommen“ und man habe argumentiert, das lasse sich „politisch auch gut verkaufen“. „Ich habe mir Fransen an den Mund geredet und versucht, denen klar zu machen: Das ist dummes Zeug, das zu fordern.“ Wenn sie als Tierärztin mit fachlichen Gegenargumenten (siehe unten) konfrontiert werde, habe sie aber „die Erlaubnis bekommen, zu sagen: Die Deppen von der SPD wollten es nicht besser wissen. Es wurde abgestimmt, ich wurde überstimmt.“ So sei Demokratie.

Mengenreduzierung „wissenschaftlich nicht zielführend“

Eine Abnahme der Antibiotika-Mengen durch verkürzte Therapien, könnte sogar kontraproduktiv für die Resistenzentwicklung sein. Die fachliche Kritik an pauschalen Reduktionszielen hatte Dr. Jürgen Wallmann vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) in der September-Ausgabe des Deutschen Tierärzteblattes* erläutert:

„Oberflächlich betrachtet erscheint eine Mengenreduktion des Antibiotikaeinsatzes als wünschenswert. Die direkte Verknüpfung der Abgabemengen mit der Resistenzentwicklung und Resistenzausbreitung bei Bakterien ist jedoch nicht sachgerecht, weil die Resistenzmechanismen deutlich komplexer sind und sich nicht allein auf abgegebene/verwendete Antibiotikamengen reduzieren lassen. Pauschale Forderungen nach einer Reduktion des Antibiotikaeinsatzes, ohne begleitende Maßnahmen, die einen sinnvollen und sachgerechten Einsatz sicherstellen, sind wissenschaftlich nicht zielführend.“

Fachkompetenz kein politisches Kriterium?

Auf einen Einwurf in der Diskussion in Dortmund, dass es schon etwas traurig sei, wenn fachkompetente Personen in solchen Fragen in der Partei nicht gehört würden, erwiderte Thissen: „Fachkompetenz ist in der Politik noch nie das Hauptkriterium gewesen.“ (Im zehnköpfigen SPD-Arbeitskreis waren mit Dr. Thissen und Dr. Wilhelm Priesmeier zwei Tierärzte – Anm.d. Red.)
Politik müsse, so formulierte Thissen, manchmal auch einfache Wege zeigen und mit wenigen Worten etwas sagen. Man könne nicht jedes Mal zu allem einen fachlichen Diskurs anfangen. „Das kapieren die Leute dann nicht.“

Die Tierärztin Dr. Karin Thissen ist seit Mai als Nachrückerin SPD-Bundestagsabgeordnete. wir-sind-tierarzt.de hat sie hier kurz vorgestellt.

Weitere Punkte im SPD-Antibiotika-Papier

Die SPD-Arbeitsgruppe sieht auch (Zitat):

„ … erhebliche Vollzugsdefizite in der Durchsetzung von tierschutz-, fleischhygiene- und arzneimittelrechtlichen Vorschriften. … Die Vollzugsdefizite werden sich bei Amts- und amtlichen Tierärzten nur reduzieren lassen, wenn außerdem arbeitsrechtliche Regelungen und disziplinarrechtliche Maßnahmen durchgesetzt werden. 

Davon unabhängig will die SPD auch „das Rabattsystem beim Kauf großer Arzneimittelmengen abschaffen“. Dies ist eine Position von Bündnis 90/die Grünen und der Partei Die Linke, die aber auch die CDU inzwischen zu teilen scheint (Bericht hier).

Die SPD-Forderungen in der Übersicht

  • Ställe an die Tiere anpassen und nicht andersherum
  • Tierbestandsgrößen auf Grundlage wissenschaftlicher Vorgaben regulieren
  • Konzentration von Mastställen regional begrenzen
  • Filteranlagen als Standard für Neuanlagen gesetzlich vorschreiben
  • Sachkunde stärken durch regelmäßige Fort- und Weiterbildung der Landwirte
  • Tiergesundheit verbessern durch Zuchthygiene und Stallmanagement
  • Präventivmaßnahmen z.B. Impfungen fördern
  • Einsatz von Arzneimitteln im Rahmen der Metaphylaxe auf ein Mindestmaß reduzieren
  • Gebührenordnung für Tierärzte (GOT) reformieren
  • Bestandsbetreuung verbindlich machen
  • Rabattsystem beim Tierarzneimittel-Handel abschaffen
  • Antibiotika-Leitlinien der Bundestierärztekammer verbindlich machen
  • Vollzugsdefizite in der Veterinärverwaltung beenden
  • Verschleppungsrisiken in der Produktions- und Verarbeitungskette identifizieren und minimieren
  • Hygiene und Qualitätsmanagementsysteme in der Schlachtbranche überprüfen und verbessern
  • Forschungsvorhaben finanzieren, die sich direkt oder indirekt mit der Reduzierung von Medikamenteneinsatz in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung befassen
  • Verantwortung des Einzelhandels für Verbraucher und Landwirtschaft einfordern

Quellen:
Das vollständig SPD-Positionspapier „Antibiotikareduktionsstrategie weiterentwickeln“ finden Sie hier (PDF-Download)
Über Teile des SPD-Papiers hatte wir-sind-tierarzt.de hier berichtet
*BVL-Erläuterung der Antibiotika-Mengenerfassung und deren Bewertung in der Ausgabe 9/2015 des Deutschen Tierärzteblattes (Seite 1.260 bis S. 1.265)
214 Tonnen weniger – Antibiotika-Mengenreduktion 2014

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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