Staatsanwaltschaft Münster: Tötung männlicher Eintagsküken ist strafbar

Küken von Legehennenrassen – nur die Hühner überleben. Männliche Küken müssen unmittelbar nach dem Schlüpfen sterben, weil sie keine Eier legen können.Küken von Legehennenrassen – nur die Hühner überleben. Männliche Küken müssen unmittelbar nach dem Schlüpfen sterben, weil sie keine Eier legen können. (Foto: @ ZDG)

Die Staatsanwaltschaft Münster hat die Brüterei Brinkschulte in Senden wegen der Tötung männlicher Eintagsküken angeklagt. Es wäre das erste Verfahren dieser Art – allerdings muss zunächst das Landgericht Münster entscheiden, ob es die Klage zulässt. (zuletzt aktualisiert: 19.2.2016 – 22:08)

(jh) – Ein Bericht des Spiegel am Wochenende über die Münsteraner Anklage sorgte sofort für eine Reihe von Politiker-Statements. Interessant dabei, dass nicht nur Grüne (z.B. NRW-Landwirtschaftsminister Remmel), sondern auch die SPD (Stellv. Fraktionsvorsitzende Ute Vogt) den Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt als in der Sache zu zögerlich agierend angingen. Die SPD-Tierschutzbeauftragte Christina Jantz kritisierte sogar die geplante Geschlechtserkennung im unbebrüteten Ei als Fortführung der „Industrielogik vom wertlosen männlichen Küken.“

Der Minister wiederum wiederholte seine Position, dass er die Tötungspraxis bis 2017 verbieten wolle, wenn die technische Alternative einer Geschlechtsfrüherkennung im Ei marktreif sei (wir-sind-tierarzt berichtete hier – alle Artikel zum Thema unter dem Suchwort „Eintagsküken“). Andernfalls würde ein deutsches Verbot die Züchtung der Hühner – und die Tötung der Küken – nur ins Ausland verlagern.
Den Zeitplan des Ministeriums (siehe Grafik unten) dürfte auch der neue Vorstoß aus Münster nicht ins Wanken bringen. Schon bisher laufen Verfahren wegen eines Verbotserlasses der NRW-Landesregierung, der vom Verwaltungsgericht Minden aber zunächst wieder kassiert wurde. Alle Parteien haben angekündigt, jeweils bis zur letzten Instanz zu gehen. Der juristische Weg durch diese Instanzen dürfte aber länger dauern, als die Einführung einer „technischen Lösung“, die das Töten der männlichen Küken dann überflüssig macht.

Staatsanwalt: „Verbotsirrtum gilt nicht mehr“

Die Begründung der neuen Klage durch die Staatsanwaltschaft Münster lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Die männlichen Eintagsküken bei Legehennenrassen werden getötet, weil sie weder Eier legen können noch ausreichend Fleisch für eine Mast ansetzen. Das betrachtet die Staatsanwaltschaft Münster als Verstoß gegen das Tierschutzgesetz (fehlender vernünftiger Grund). De facto dulden aber Behörden und Bundeslandwirtschaftsministerium bislang das Vorgehen. Deshalb wurde den Brütereien meist ein sogenannter „Verbotsirrtum“ zugebilligt. Dieser „Verbotsirrtum“ aber könne jetzt nicht mehr gelten, da die Tierrechtsorganisation Peta diesen Betrieb schon 2013 angezeigt habe, er also von der „Unrechtmäßigkeit seines Tuns“ informiert war. Die Staatsanwaltschaft Münster wird im Spiegel zitiert: Man wolle das Verfahren im Zweifel „bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) tragen“, da es sich um ein bundesweites Problem handle.

Wackelige Rechtsgrundlage?

[box]Inzwischen hat das Landgericht Münster signalisiert,die Klage nicht zuzulassen – mit genau der Begründung die wir-sind-tierarzt im folgen hier vorhergesagt hat.[/box]

Ob allerdings eine Peta-Klage bereits die „Unrechtmäßigkeit eines Tuns“ belegt, wird als erste Instanz das Landgericht Münster entscheiden müssen – wenn es denn die Klage der Staatsanwaltschaft zulässt. Juristen sehen die Passage im Tierschutzgesetz nicht als höherrangig an, als die Berufsausübungsfreiheit im Grundgesetz. Da es aktuell keine ökonomische Verwertbarkeitsalternative zur Tötung der männlichen Eintagsküken gebe, wäre jede Art von Verbot ein Berufsausübungsverbot für langjährig bestehender Betriebe. Eine angenommene Weiterentwicklung der gesellschaftlichen Werteordnung rechtfertige auch nicht die Annahme einer Strafbarkeit des Tierhalters nach § 17 Nr. 1 TierSchG. Das Urteil des Verwaltungsgerichts-Minden von Januar 2015 hatte auch diesen Aspekt schon verneint. Auf das Tierschutzgesetz aber stützt sich die Staatsanwaltschaft.
Peta wiederum bewertet die Klage als „historischen Durchbruch“. Man habe vor einem Jahr erneut bei elf Staatsanwaltschaften gegen alle rund 20 Brütereien in Deutschland Strafanzeige erstattet, erläuterte Peta-Sprecher Edmund Haferbeck.

Berichte zum Vorstoß der Staatsanwaltschaft Münster:
Auslöser: Vorabbericht im Spiegel
Süddeutsche.de
Sächsische Zeitung (beispielhafte für zahllose regionale Medien – basierend auf Meldung der Deutschen Presseagentur/dpa)

Neue Osnabrücker Zeitung (kurzer Übersichtstext mit zahlreichen Links zu Hintergründen)

Tierschutzorganisation PETA
SPD-Tierschutzbeauftragte kritisiert auch technische Lösung

Beitragsbild: Weibliche Legehennenküken – nur sie können Eier legen, die männlichen Küken werden getötet. (Foto: ©ZDG)

Zeitstrahl_Ausstieg_Kükentötung_BMEL

Zeitplan des Bundeslandwirtschaftsministeriums – die Forschung läuft seit 2008. (Grafik: ©BMEL)

 

Diagnoseverfahren_Eintagsküken_im_Ei_BMEL

Der Ansatz des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) Wenn ein technisches Verfahren das Kükengeschlecht im Ei erkennen kann, wird das Töten der männlichen Küken verboten. (Grafik: © BMEL)

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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