Nestle und die Europäische Masthuhn-Forderung

Konventioneller Hähnchenmaststall. (Foto: © screenshot Video stallbesuch.de)Konventioneller Hähnchenmaststall. (Foto: © screenshot Video stallbesuch.de)

Wer setzt die Standards beim Thema Tierschutz? Der Gesetzgeber? Oder doch Unternehmen in Zusammenarbeit mit Tierschutzorganisationen? Aktuell kündigt der Lebensmittelkonzern Nestle an, für Lebensmittel, die Hühnerfleisch enthalten, die Europäische Masthuhn-Forderung erfüllen zu wollen – allerdings mit einer Übergangsfrist bis 2026.

(aw/jh) – Nestlé will sich in Europa, dem Mittleren Osten und Afrika für bessere Haltungsbedingungen von Masthühnern einsetzen. In Produkten der Marken Herta, Maggi, Buitoni und Wagner, für die Hühnerfleisch verarbeitet wird, soll dies nur noch von Masthähnchen stammen, die die Haltungsbedingungen der Europäische Masthuhn-Forderung erfüllen. Diese werden von 26 Tierschutzorganisationen unterstützt. Die Umstellung beginnt 2019 und soll bis 2026 für sämtliche Produkte gelten.

Inhalt der Europäischen Masthuhn-Forderung

Die Forderungen adressieren Überzüchtung, Platzmangel und Beschäftigungsmaterial sowie Fehlbetäubungen beim Schlachten – konkret müssen …

  1. … sämtliche EU-Bestimmung, die die Tierhaltungsbedingungen regeln, unabhängig vom Produktionsland eingehalten sein.
  2. … soll die Besatzdichte nie mehr als 30 kg Körpermasse pro Quadratmeter betragen, besser noch weniger. Auf Vorfang soll verzichtet werden; falls der sich nicht vermeiden lässt, darf diese Maßnahme nur einmal pro Mastdurchgang durchgeführt werden.
    Zum Vergleich: In Deutschland dürfen in extensiver Haltung, je nach Programm nur 21 bis 27,5 kg pro Quadratmeter gehalten werden. Die intensive Haltung erlaubt für Kurzzeitmast 35 kg pro Quadratmeter und für Mittel- und Langmast nie mehr als 39 kg)
  3. … werden robuste Geflügelrassen oder Hybriden, etwa Hubbard JA757, 787, 957 oder 987, Rambler Ranger, Ranger Classic, Ranger Gold oder andere Rassen eingestallt, die die Anforderungen des RSPCA Broiler Breed Welfare Assessment Protocol erfüllen
  4. … müssen außerdem folgende Auflagen eingehalten werden:
    – mindestens 50 Lux Licht inklusive natürlichem Lichteinfall
    – mindestens zwei Meter nutzbare Sitzstange pro 1.000 Tiere und zwei verschiedene Picksubstrate
    – die Luftqualität muss unabhängig von der Besatzdichte die Anforderungen des Anhangs 2.3 der Europäischen Richtlinie zur Broilerhaltung erfüllen
    – keine Käfighaltung oder Haltung auf mehreren Ebenen
  5. … soll bei der Schlachtung die Betäubung in kontrollierter Atmosphäre mittels inerter Gase erfolgen, in mehrstufigen Systemen oder durch eine effektive elektrische Betäubung ohne lebende Tiere mit Kopf nach unten aufzuhängen
  6. … ist durch jährlich Audits unabhängiger Dritter und öffentliche Information über Fortschritte bei der Haltung der Nachweis zu erbringen, dass die Standards eingehalten werden

Relativ geringe Hühnerzahl aber beispielgebend?

Nestle soll in Europa jährlich rund 10.000 Tonnen Hähnchenfleisch einkaufen, was grob umgerechnet etwa fünf Millionen Masttieren entspricht. Allein in Deutschland werden aber über 90 Millionen Masthähnchen gehalten.
Tierschutzorganisationen hoffen, dass andere Lebensmittelproduzenten dem Beispiel von Nestlé folgen und sich so die Haltungsbedingungen für Masthühner durch Einkaufsvorgaben der Konzerne verbessern lassen.
Im September 2017 hatte bereits Unilever bekannt gegeben, die Mindestanforderungen umzusetzen. Wenig später schloss sich die Elior Gruppe an. Als erster Einzelhändler in Europa hat sich Marks & Spencer verpflichtet, die Standards umzusetzen.

wir-sind-tierarzt kommentiert:
Staat oder Konzern – wer soll’s regeln?

(jh) – Fünf Millionen Masthähnchen, die in Europa von den besseren Haltungsbedingungen profitieren sind zunächst nicht allzu viele – angesichts dessen, dass allein europaweit hunderte Millionen gehalten werden.
Aber solche Konzernregeln haben gegenüber national höheren Standards oft einen Vorteil: Sie gelten grenzüberschreitend – so sind laut Nestle diese Einkaufsvorgaben auch für den Mittleren Osten und Afrika gültig. Nationale Haltungsverbesserungen gelten zwar für mehr Tiere, doch die Lebensmittelhersteller können sie insbesondere bei verarbeiteten Fleischprodukten durch internationalen Einkauf leicht aushebeln (Stichwort „Käfigeier“).
Effektiver wäre es also, wenn die EU – und auch Deutschland – bei Tierhaltungsfragen das Reziprozitäts-Prinzip generell konsequent durchsetzen würde: Jedes Produkt (oder dessen Bestandteile), das in der EU verkauft wird, muss mindestens unter EU-Tierhaltungsvorschriften erzeugt worden sein. Das aber bedeutet, man muss sich auch mal mit Lieferländern streiten und klären lassen, ob solche Tierschutzvorgaben tatsächlich gegen Regeln der Welthandelsorganisation verstoßen – oder höherwertig sind?
Wahrscheinlich sind die Konzerne aber am Ende dann doch schneller: Sie entscheiden und fertig.

Quellen:
Pressemeldung Nestle
Pressemeldung Albert-Schweitzer-Stiftung

Europäische Masthuhn-Forderung  (deutsch Albert-Schweitzer-Stiftung / englisch hier)

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