Helfen wollen – töten müssen

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Töten gehört zum Praxisalltag. Deshalb geraten Tierärzte und Tiermedizinische Fachangestellte häufig in einen Konflikt. Denn eigentlich haben sie einen Beruf gewählt, in dem Tieren geholfen wird. Gelingt das nicht, wird die Konfrontation mit den Emotionen der Tierbesitzer zur Belastung. Wie geht man damit um?

von Henrik Hofmann

„Wenn ich an einem Tag mehrere Euthanasien vorzunehmen habe“, berichtete eine Kollegin, „dann kann ich abends kaum mehr einschlafen.“ Eine andere berichtet gar, dass sie oft mit den Besitzern weine, „die ja, nach eigenem Bekunden, ihr ‚Kind’ verlieren. Und ich verliere einen Patienten, den ich 14, 15, 16 Jahre und länger betreut habe, den ich narkotisierte, operierte, der mich forderte, weil er ängstlich oder aggressiv oder nur stur war oder eine chronische Erkrankung hatte“. So wie ihnen geht es vielen Tierärzten und auch Tiermedizinischen Fachangestellten.

Euthanasie ist immer auch Kapitulation und Versagen

80 Prozent der Tierärzte entscheiden sich für ihren Beruf, weil sie das Leben von Tieren erhalten, retten oder wenigstens verbessern wollen. Sie sehen ihre Aufgabe in der Heilung von Krankheiten und der Erhaltung von Leben. Sie wollen ihren Beitrag dazu leisten, dass es ihren Patienten gesundheitlich gut geht und ihnen ein möglichst angenehmes Zusammenleben mit ihren Besitzern ermöglichen. Ein extrem hoher Prozentsatz der Tierärzte sind Idealisten, die sich zu ihrem Beruf berufen fühlen. Nicht umsonst vertrauen Tierbesitzer ihren Tierärzten laut Statistik sehr sehr weit – weiter sogar als ihren eigenen „Menschenärzten“ zitiert Voss eine Umfrage. Der Tierarzt muss für Tierbesitzer „ein hörendes Herz“ haben. Er findet sich in der Rolle des Arztes, Freundes, Erziehers, Sozialarbeiters, wirtschaftlichen Beraters sowie Trauerbegleiters wieder. Und zugleich will und muss er die Euthanasie „lehrbuchmäßig“ sachlich, routiniert, stressarm, ruhig und friedlich gestalten.

Nur medizinisch vorbereitet

Tieren beim Sterben helfen - Euthanasie in der Tierarztpraxis"

„Tieren beim Sterben helfen – Euthanasie in der Tierarztpraxis“ von Henrik Hofmann

Vorbereitet werden Tierärzte im Rahmen ihrer Ausbildung nur auf die medizinische Seite. Wir Tierärzte sehen, dass medizinisch immer mehr möglich ist. Tierärzte sind die Schnittstelle zwischen Tierbesitzer, Medizin und Patient. Bei der Entscheidung über eine Euthanasie gibt es nicht immer nur schwarz oder weiß; häufig ist sie auch abhängig von der Lebenssituation von Tier und Besitzer. Eine individuelle Gewissensentscheidung, eine Situation, auf die Tierärzte zumindest von der Ausbildung her nicht vorbereitet sind. Und immer auch Kapitulation und Versagen und damit belastend. Margit Voss schreibt in ihrer Doktorarbeit dazu: „Als besonders belastend werden Euthanasien empfunden, wenn das betreffende Tier bei genügend ideellem und finanziellem Engagement zu therapieren wäre oder gar nicht erkrankt ist. War die Lebenserhaltung des Patienten in der letzten Phase mit großem Zeitaufwand und großer Mühe verbunden, fällt die Euthanasie ebenfalls sehr schwer, da sie in diesem Zusammenhang oft als persönliches Versagen von den Mitarbeitern gesehen wird.“ Prof. Peter Kunzmann, katholischer Theologe und Philosoph hält Ethik-Vorlesungen an der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Er sagt, dass Therapien immer teurer werden. Er sehe, dass damit und mit zunehmender Klagebereitschaft „sozialer Sprengstoff entsteht“. Belastungen in diesem Zusammenhang werden auch als „moralischer Stress“ bezeichnet.

Muss der Tierarzt auch Psychologe sein?

„Wo fängt die Arbeit von uns Tierärzten an, wo hört sie auf?“, fragt Prof. Brigitte von Rechenberg von der Vetsuisse-Fakultät der Uni Zürich/CH. „Sind wir nur für die Tiere da, oder sind wir auch noch Psychologen? Vielleicht sind wir beides, vielleicht sollten wir auch einfach Menschen sein, die ihren Tierbesitzern Sympathie und Empathie entgegenbringen und Verständnis für die Folgen eines solchen Verlustes haben; für die Trauerarbeit.“ Sie schildert Szenarien, in denen die Euthanasie in jeder Hinsicht lehrbuchhaft verläuft – die Besitzer sich im Nachhinein jedoch als hochgradig suizidgefährdet erweisen, der Kollege in einem Fall sogar von den Hinterbliebenen verklagt wird „weil er es unterlassen hat, einen Angehörigen anzurufen“.

Prof. Leo Brunnberg von der Uni Berlin hat eine solche Erfahrung vor einigen Jahren selbst gemacht (Pers. Mitteilung, Mannheim, 2013). Er habe über einen längeren Zeitraum einen schwer kranken Boxer behandelt und schließlich den Besitzern, zwei Geschwistern, zur Euthanasie geraten. „Ich bin sogar zu ihnen nach Hause gefahren, da ich wusste, dass sie durch ihr eigenes sehr hartes Schicksal eine besondere Bindung zu dem Hund hatten. Die Euthanasie verlief ruhig und vorbildlich. Doch einige Tage später las ich durch Zufall in der Zeitung, dass die Geschwister sich gemeinsam vor einen Zug geworfen hatten. Ich habe mich gefragt: Hätte ich das nicht erahnen müssen, dass die Leute ernst machen? Was habe ich übersehen?“

TMFA müssen Gefühle der Besitzer auffangen

Tiermedizinische Fachangestellte haben meist einen sehr viel direkteren, unmittelbareren Zugang zu Patientenbesitzern. Daher werden sie sehr viel intensiver mit den Emotionen von Tierbesitzern konfrontiert, als Tierärzte. Bei ihnen war mehr noch als bei Tierärzten der Berufswunsch durch Liebe zum Tier und dem Bedürfnis zu helfen geprägt. Dennoch ist bei ihnen die Bereitschaft, bei Euthanasien mitzuwirken meist groß – und häufig müssen sie starke Gefühle der Besitzer auffangen. Nach Ansicht von Rechenbergs ist „die tierärztliche Betreuung des Besitzers mit dem Tod des Tieres auf dem Sprechtisch oder im Stall noch nicht beendet.“ Vorbereitet auf diese Situation sind weder sie noch ihre Arbeitgeber. Helferinnen fühlen sich zum Teil völlig allein gelassen.

„Kein Lebensbereich bleibt unberührt“

Der Umgang mit sogenannten schwierigen, vor allem aggressiven oder vorwurfsvollen Patienten, wirkt sich belastend aus. Eine starke Identifikation mit den Patienten und entsprechendes Mitleiden sowie Unzufriedenheiten mit vorgegebenen Arbeitsbedingungen gehören ebenfalls zu den Belastungen. Hinzu kommen die oft schwierige Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Euthanasieren wird von zahlreichen Autoren als ein Hauptgrund für Burnout in der Kleintierpraxis angegeben. „Kein Lebensbereich bleibt von den Auswirkungen des Stresses unberührt“, schreibt Voss. „Als körperliche Stresssymptome, die im Zusammenhang mit dem Euthanasieren von Tieren stehen, werden Schlaflosigkeit, Ess- und Verdauungsstörungen, Kopfschmerzen, Schwindelgefühle, Bluthochdruck und kardiovaskuläre Probleme, Allergien, Magengeschwüre, Nervenzusammenbrüche sowie Suchtprobleme bzw. ihre Verstärkung beschrieben.“ Psychische Auswirkungen der Belastung durch die Assistenz bei Tiereuthanasien seien Missstimmungen, Weinen, Gefühle der Überlastung, des Aufgewühlt- oder Beschämtseins, des Zornes auf die Tierbesitzer aber auch der emotionalen Leere.

„Tierärzte sollten nur dann eine Euthanasie durchführen, wenn sie mit der Entscheidung ruhig leben und schlafen können“

Während das Problem in der Tiermedizin bislang meist unausgesprochen bleibt oder sogar belächelt wird, hilft ein Blick über den Tellerrand zu erkennen, dass Sterbebegleitung, Trauer und Emotion in der Humanmedizin sehr ernst genommen wird. „Die Folgen bestehen häufig in Phänomenen des Burnouts, die eine Reaktion auf eine stark physisch und psychisch belastende Arbeitsumgebung darstellen“, schreiben Maria Haskamp, und Prof. Hartmut Remmers von der Uni Osnabrück. Pflegende tendieren mehrheitlich dazu, Belastungen auszuhalten, Interaktionsprobleme defensiv anzugehen, offene Konflikte zu scheuen, gemeinsame Probleme eher individuell anzugehen und die Helferrolle eher im Sinne dienender und aufopfernder Einstellungen zu definieren.“ Sie sagen, dass persönliche Bewältigungsstrategien, wie beispielsweise ein ausgewogener Lebensstil, Humor und Inanspruchnahme von familiärer Unterstützung eine große Rolle bei der Vermeidung von arbeitsbezogenem Stress spielen. Außerdem seien selbstbewusste und erfolgsorientierte Pflegekräfte mit der Fähigkeit, traurige Ereignisse harmonisch in das Leben zu integrieren und zwischen eigener Trauer und der des Patienten real unterscheiden zu können, weniger von Stress und Burnout betroffen. Ein positives Betriebsklima, fürsorgliches Verhalten seitens der Einrichtung in Bezug auf das Wohlergehen der Mitarbeiter sowie die offene Bewältigung von Spannungen und Konflikten im Team verringerten psychische Belastungen. Kunzmann empfiehlt Helferinnen und Tierärzten, sich „Beistand zu holen“, wie es in Pflegeberufen in der Humanmedizin üblich sei. Und: Tierärzte sollten nur dann eine Euthanasie durchführen, wenn sie sich sicher sind, mit der Entscheidung ruhig leben und schlafen zu können!

Braucht es Leitlinien zur Euthanasie

Es ist eine wichtige Erkenntnis, dass das gesamte Burnout-Erleben von Mitarbeitern mit bestimmten Arbeits- und Organisationsbedingungen zusammenhängt. Regelmäßige Mitarbeiterbesprechungen, Trainings und vielleicht sogar Rollenspiele können nachhaltig Stress und Burnout reduzieren und Konflikt- und Teamfähigkeit der Mitarbeiter sichern und verbessern. Mithin wird ist der Ruf nach „Leitlinien“ und Empfehlungen hörbar, wie, wann und warum Tiere euthanasiert werden dürfen beziehungsweise müssen. Ob es tatsächlich möglich und auch sinnvoll ist, den Tierärzten die Verantwortung für Sterbehilfe beim Tier abzunehmen, ist fraglich. Es wird immer Grauzonen geben, in denen Entscheidungen zu treffen sind, für die es kein eindeutiges „richtig“ oder „falsch“ gibt, die
im individuellen Kontext zu betrachten sind und keine „einzig wahre Lösung“ ermöglichen. Der Tierarzt muss dann nach bestem Wissen und Gewissen seine menschliche, tierärztliche und moralische Verantwortung übernehmen und mit sich selbst vereinbaren. TVT: „Eine zwingende Begründung ist ohne persönlich wertende Komponente nicht möglich.“

Buchtip zum Thema: „Tieren beim Sterben Helfen“ von wir-sind-tierarzt-Redakteur Henrik Hofmann

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Über den Autor

Dr. Henrik Hofmann

Dr. Henrik Hofmann (hh) betreibt seit 1995 eine eigene Tierarztpraxis in Butzbach. Er ist Fachtierarzt für Allgemeine Veterinärmedizin und hat die Zusatzbezeichnung Akupunktur. (www.tierundleben.de) Als Autor und Redakteur hat Hofmann in etlichen Zeitschriften und Zeitungen rund ums Tier geschrieben. Bei wir-sind-tierarzt.de betreut er schwerpunktmäßig Medizinthemen, den Bereich Praxismanagement und die Rubrik Mensch-Tierarzt. Außerdem steuert er die SocialMedia-Aktivitäten und leitet die Bildredaktion. Zuletzt ist sein Buch „Tieren beim Sterben helfen – Euthanasie in der Tierarztpraxis“ erschienen. Kontakt: henrik.hofmann(at)wir-sind-tierarzt.de
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Wildtiere: Hilfe kann auch Leid bedeuten

9. März 20169. März 2016
Ein Faltblatt gibt Tipps zum Umgang mit Wildtieren. (©Landestierschutzbeauftragte Hessen / Erni/Fotolia.com)„Wildtiere brauchen in den aller seltensten Fällen menschliche Hilfe," sagt die Landestierschutzbeauftragte Hessen. Was tun kann, wer ein Wildtier findet – oder aber auch besser lassen sollte – erklärt ein Flyer, den Dr. Madeleine Martin zusammen mit der Landestierärztekammer Hessen herausgegeben hat. (mehr …)