„Faszination macht aus einem Tier noch keinen Menschen“

Tiere denken – Buch mit provokanten Thesen (Cover: © Goldmann Verlag)

„Tiere denken“ – die Thesen des Philosophen Richard David Precht sind provokativ: Er nivelliert den Unterschied zwischen Mensch und Tier zur Verteidigung der Tierrechtsbewegung. Unser Gastautor Henry Brames erwidert in seiner Rezension: „Ein Buch schreiben, Herr Precht, ein Schimpanse hätte das nicht gekonnt.“

Buch-Rezension – Gastautor Dr. Henry Brames, Fachtierarzt für Reptilien

Über das Tierrechts Buch „Tiere denken“ von Richard David Precht* (R.D.P.) Goldmann Verlag 2016, 1. Auflage

Der Filosof, Autor, Moderator und Publizist R.D.P. ( ja so kürzt er sich ab!), erzählt uns auf knapp 500 Seiten etwas über das Zusammenleben von Menschen und Tieren. Er beginnt mit der Relativierung von Mensch und Tier, um die Krone der Schöpfung vom Podest zu holen. Dazu führt er Beispiele über vielfältige Leistungen von Tieren an, die auch und so ähnlich bei uns Menschen zu finden sind. R.D.P. argumentiert populistisch mit einer Zahl: Die 1,6 Prozent Gendifferenz zwischen Schimpanse und Mensch begründen keinen echten Graben.
Besonders angetan haben es ihm die „Kopffüßler“ am Anfang, Mitte und Ende des Buches: ihre hochentwickelten Sinne und ein aufregendes Sexleben! Steigt da irgendwann ein neuer Konkurrent des Menschen aus den Tiefen der Meere, der ihm mit bisher unbekannten Aquatechniken den Rang abläuft? Nun, die Faszination, die jeden Natur- und Tierbeobachter bei der genaueren Betrachtung überwältigt, macht aus einem Tier noch keinen Menschen. Kopffüßer, so heißen sie korrekt – „Kopffüßler“ zeichnen Kinder als erste Strichmännchen: Menschen mit Kopf und Gliedmaßen ohne Körper! oder sind mythologische Gestalten –  sind schon toll, wie sie Schraubgläser aufmachen und auch so sehr elegant.

"Tiere denken" von Richard David Precht

„Tiere denken“ von Richard David Precht (R.D.P.) Goldmann Verlag 2016 1. Auflage

Ameisen als Nutztierhalter

Doch auch Ameisen, die vor über 10 Millionen Jahren begonnen haben, Pilz Ackerbau zu betreiben, Blattläuse als Nutztiere melken und sich selber Baumhäuser pflanzen sind wahrlich nicht schlecht im Rennen – und übertreffen Schimpansenfähigkeiten. Precht hätte auch auf das Vierfarbsehen der Sauropsidae (Reptilien und Vögel), Amphibien und Fische hinweisen können oder auf das Fünffarbsehen von Riesenschlangen mit Infrarotsensoren usw.
Übrigens 50 Prozent der Gene haben die Menschen auch mit den Schwämmen gemeinsam. Also Schwamm drüber mit dem Unterschied Mensch und Tier? 1,6 Prozent Gendifferenz jedenfalls ist Populismus und sagt überhaupt nichts aus, denn entscheidend ist es, wo sich die Gendifferenz befindet (siehe die ZEIT 39/2016 „Familie Mensch“ von Ulrich Bahnsen).
Zurückblicken auf sein eigenes Werden und das Ganze in einem Buch verfassen, für lesefähige Mitmenschen! Herr Precht, ein Schimpanse hätte das nicht gekonnt!

Kein Unterschied zwischen Mensch und Tier?

R.D.P. braucht die Nivellierung Mensch Tier um seine weiteren Gedankengänge fortzuführen. Ist es nicht einfach so: Der Mensch macht, was er kann, genauso wie jedes Tier macht, was es kann. Lassen wir dem Menschen das Besondere, so haben wir die Chance, einen Ansporn an die Ehre, dass er sich reflektiert. Ohne dieses Besondere, keine Reflexion. Warum sollte das Menschtier sonst nicht genauso handeln wie in der Evolution üblich? Den Graben Mensch-Tier dürfen wir als gerne lassen und können das Zusammenleben Mensch-Tier gerade deswegen verbessern!

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Mythos: „Edle Wilde“ im Einklang mit der Natur

R.D.P . führt uns dann weiter über die Rolle der Religionen und Kulturen beim Zusammenleben Mensch und Tier. Er beginnt bei den „edlen Wilden“, über die einfühlsame Naturreligion der Ägypter bis zu den tierfatalen, abrahamitischen Religionen, die in der christlichen Tierneglektion und Tierverachtung gipfelt. Die „sanften“ asiatischen Religionen werden richtigerweise entlarvt in ihrer Tierunfreundlichkeit Wir Terrarianer und Herpetologen wissen das, wenn wir uns asiatische Märkte und Schildkröten betrachten. Die Praxis im Ackerbauland am Nil im praktischen Umgang mit Tieren war aber auch gewiss anders als Precht sie anhand von Wandreliefs glorifiziert. Die Viehhaltung ist der Tod der Beutegreifer und der Pflanzenbau der Tod der wilden Pflanzenfresser! Das war im „guten alten Ägypten“ auch nicht anders. Und im Übrigen zieren die Fassaden unserer Landmetzgereien süße Schweinchen und Kälbchen und Lämmer und sind gleichzeitig hinter der Fassade nett als Braten drapiert! Was werden zukünftige Archäologen darüber sinnieren? Die „edlen Wilden“, im Einklang mit der Natur sind ein romantischer Mythos: Sie haben einfach nur begrenzte Fähigkeiten der Naturunterwerfung und Zerstörung. Naturvölker setzen sich keine Grenzen, Grenzen werden ihnen von der Natur gesetzt! Oder hatten sie diese Fähigkeiten doch schon, wenn man die Ausrottung von Großsäugern im eiszeitlichen und steinzeitlichen Europa verfolgt? Das Johannes Evangelium in seiner Urfassung (der Esser Fassung) ist ein waschechtes Tierschutzgesetz. Warum ist in dem Neuen Testament nach dem Konzil von Nicäa 325 n. Chr. nichts davon übriggeblieben? Welche politischen Strömungen und Interessen standen dahinter? Diese Recherche hätte ich von R.D.P. erwartet.

Mythos vom edlen Wilden im Einklang mit der Natur (Foto:© pixaby.de/common licence)

Mythos vom edlen Wilden im Einklang mit der Natur (Foto:© pixaby.de/common licence)

Aktuell hat auch taz-Journalist Jost Maurin ein Interview mit „Starphilosoph“ Richard David Precht geführt: Über Fleisch und Fische, die wie Menschen sind, und warum Precht sich dennoch weigert, klar für Veganismus einzutreten. (taz / 10.1.22016)

Tierbefreier: Eine Befreiungsbewegung unter vielen

Die Tierrechtsbewegung ist eine Befreiungsbewegung unter vielen. Zum Beispiel wenn wir an Sklavenbefreiung und Frauenbefreiung denken. Recht hat R.D.P., wenn er darauf hinweist, dass die Bewegungen alle mit bestimmten ökonomisch/technischen Umständen aufkommen, aber der Erfolg nicht durch die Idee sondern erst durch die Umstände zustande kommt. Dort wo die ökonomischen Umstände noch heute nicht so weit sind, ist die Idee auch heute noch nicht auf fruchtbaren Boden gefallen.
Und eine Tierbefreiung, die nirgendwo im Buch erwähnt wird, hat ja schon einen grandiosen Erfolg erzielt: Arbeitstiere sind in den industrialisierten Ländern abgeschafft, nicht aus einer Idee „PRO ARBEITSTIER“ heraus, sondern weil es Maschinen gibt! Deswegen kann ich die technikfeindliche Haltung (das „Übel des innerdeutschen Flugverkehrs“) von R.D.P . überhaupt nicht verstehen. Wir würden noch heute, wie in Dinotopia, auf Flugsaurier reiten. Arme Saurier!

Arbeitstiere sind weitestgehend abgeschafft – Dank Technik, nicht dank Teirrechtsbewegungen ala "PRO ARBEITSTIER". (Pferd in steilem Gelände um 1960 – Foto: © Wikipedia/common licence)

Arbeitstiere sind weitestgehend abgeschafft – Dank Technik, nicht dank Tiebeferungsbewegungen ala „PRO ARBEITSTIER“.
(Pferd in steilem Gelände um 1960 – Foto: © Wikipedia/common licence)

Cyborgs mit Technogadgets

Wo liegen nach Precht die Missstände des Zusammenlebens Mensch-Tier in den wohlhabenden Ländern im Einzelnen: Die industrielle Massentierhaltung, Tierversuche (R.D.P.: Vivisektion), Jäger/Jagd und Pelztier Zucht. Die Zoos werden reflektiert (Therapie gegen die Entfremdung). Aber: Die private Tierhaltung, sei es Haustiere oder Exoten werden nicht erwähnt. Auch Fische bleiben aussen vor.
War die extensive und idyllische Tierhaltung in der bäuerlichen Landwirtschaft früher wirklich besser? Das ist ein romantischer, urbaner Trugschluss! Dunkle, muffige, verkotete Ställe sind beispielsweise in der Kuhhaltung kaum mehr anzutreffen oder firmieren gar heute vereinzelt als idyllischer „Biobetrieb“. Moderne Anlagen sind offen, hell und luftig. Und dank Transpondertechnik, ausgefeilter Sensoren und Computerprogrammen lässt sich die einzelne Kuh bis ins Detail betreuen. Zum Wohl der Kuh und des Bauern. Aber kein Zweifel, es gibt enormes Verbesserungspotential. Der technische Fortschritt mit IT wird allerdings auch aus den Nutztieren Cyborgs machen, wie die Menschen mit ihren Technogadgets heute schon Cyborgs sind.

Früher war alles besser?

Der Grund für den kritisierten Umgang der Menschen mit dem Tier ortet R.D.P. in Entfremdung zum Tier, dem Kapitalismus, den Kapitalisten, dem „Knetozän“, „Monezän“. Postmarxistisches Geschwafel!
Früher war alles besser? Denken wir an Religions- und Adelsterrorismus, Kolonialismus, Sklaverei, geschundene Arbeitstiere. Seine individualistische Lösung (warum nicht, wenn es schmeckt!): Werdet Vegetarier/Veganer! Das setzt Getreide frei für die kalorische Grundernährung. Ich befürchte der Überschuss wandert in Biogasanlagen und Kraftwerke. R.D.P.: Fleisch muss teuer werden! Weiß R.D.P.nicht, dass der arabische Frühling durch steigende Brotpreise ausgelöst wurde? Das brutale Ergebnis sehen wir jeden Abend in den Nachrichten mit blutigen Auswirkungen für Mensch und Tier.

Wohlsituierte Städter im Fleischüberdruss

Die Massen, so zeigt es die demokratische Realpolitik, müssen durch Brot (Fleisch) und Spiele (Fernsehen) ruhiggestellt werden. Erst billiges und schmackhaftes Retortenfleisch wird die Idee zur Realität werden lassen, wie Maschinen Arbeitstiere überflüssig gemacht haben. Den echten Puter gibt es dann zu Thanksgiving und die echte Gans zu Weihnachten! Wenn das Tierschutzgesetz dann in diesen Feiertagen noch einen vernünftigen Grund sieht.

Künftig überflüssig dank Retortenfleisch? Für die Schlachtung des "Thanksgiving-Truthahns" gibt es dann keinen "vernünftigen Grund" (Tierschutzgesetz) mehr. (Foto: © pixabay.de/common licence)

Künftig überflüssig dank Retortenfleisch? Für die Schlachtung des „Thanksgiving-Truthahns“ gibt es dann keinen „vernünftigen Grund“ (Tierschutzgesetz) mehr. (Foto: © pixabay.de/common licence)

Precht fordert das Tier als Rechtssubjekt, das vertreten durch Paten (das werden dann wohl der deutsche Tierschutzbund und PETA sein) klagen kann, damit das deutsche „Tiernutzungsgesetz“ endlich den Namen Tierschutzgesetz verdient.
Ich vermute, dass die ersten Klagen sich nicht mit Hühnerhaltung beschäftigen werden (zu riskant, zu teuer) sondern mit Exotenhaltern, zum Beispiel Terrarianern (keine Lobby, billiger Sieg). Mit einem dann anzunehmenden Verbot oder massiven Einschränkungen wird die von R.D.P. kritisierte Entfremdung zum Tier endgültig gerichtlich besiegelt. Ist es nicht gerade ein herrliches Ergebnis, dass kein Terrarianer und seine Freunde einem Reptil/Amphib in der Natur etwas zu Leide tun! Danke Terrarianer!

Wo bleiben die Pflanzen?

Im übrigen: Wo bleiben die Pflanzen? Mit keinem Wort wird die Pflanze erwähnt und damit eine vollkommen willkürliche Teilung der Biosphäre vollzogen. Nicht leidensfähig, zu primitiv, bedeutungslos? Jeder Botaniker, Naturfreund und Tierfreund wird sofort widersprechen! Lesen sie dazu gerne das amüsante Büchlein von Peter Wohlleben „Das geheime Leben der Bäume“. Herrlich zu lesen, ich habe viel gelernt, gespickt mit Anthropomorphismen, aber vielleicht ist es deswegen so mitreißend und macht Lust auf mehr.
Wo bleiben die Pflanzenrechtler? Sind die Tierrechtler nicht etwa doch verkappte „Speziezisten“?

Politsch gefährliche Lösung

R.D.P’s politische Lösung – und jetzt wird es wirklich gefährlich: eine ominöse Schopenhauer Treppe und eine Ethik des Nichtwissens. Er kritisiert zu Recht Ideologien des fundamentalen Arten- und Naturschutzes, Tierschutzes und Tierrechts als letztlich rational nicht begründet. Die Folgen lassen sich zusammenfassen – Schlagworte: Gesinnung steht über Verantwortung. Und der Zweck heiligt die Mittel.
Ärgerlich: Genau dieser R.D.P. propagiert eine Ethik des Nichtwissens. Sie ist nichts anderes als eine „Ethik“ des Postfaktischen. Gefühle, Mythen, Lügen, Fälschungen, Annahmen Vermutungen, Gesinnung – sie sollen die Grundlage eines neuen Zusammenlebens Mensch-Mensch und Mensch-Tier werden!? R.D.P. liegt damit genau im Trend der aktuellen postfaktischen Populisten. Nicht zu fassen! Diese Treppe macht mir schon auf den unteren Stufen Angst!

Chance verpasst!

Dr. Henry Brames

Unser Gastautor, Dr. Henry Brames, ist Fachtierarzt für Reptilien und beitreibt eine Praxis in Dachau in Bayern.

R.D.P. hat mit dem Buch „Tiere denken“ eine Chance verpasst, dass Zusammenleben Mensch-Tier filosofisch zu erhellen und zu verbessern. Stattdessen propagiert und bedient er den postfaktischen Populismus.
Also machen wir besser ohne Filosofen eines Schlages R.D.P. weiter und verbessern das Zusammenleben Mensch-Tier mit unseren bescheidenen Mitteln, bis echte und bessere Filosofen am Horizont erscheinen! Hoffentlich richtet R.D.P. mit seinem Buch „Tiere denken“ nicht zuviel Unheil an!

Abschließend, Herr Richard Daniel Precht, Sie behaupten „Kopffüßler“ stehen nicht im Tierschutzgesetz. Da haben Sie Recht, die haben dort auch nichts zu suchen! Die von Ihnen und uns allen bewunderten „Kopffüßer“ hingegen stehen, gleichberechtigt neben den Wirbeltieren – in §11 des deutschen Tierschutzgesetzes!

*R.D. Precht „Tiere denken“ (amazon Info-Link – kein Affiliate Link)

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