Sterile Kanülen beim Rinder-TBC-Test Pflicht

Kanülen für TBC-Tests – technisch Sauber aber nicht steril. Foto: WiSiTiA/aw

„Keine Erreger in unsere Tiere spritzen“ – im Allgäu haben Gegner der behördlich angeordneten TBC-Tests bei Rindern ein Urteil erstritten, das „sterile Kanülen“ für jedes einzelne Tier vorschreibt. Das bedeutet für Tierärzte erheblich mehr Aufwand und verteuert die Untersuchungen deutlich.

Aktualisierung 11.12.2014 – EU ändert den Wortlaut der Verordnung – keine Sterilität gefordert

von Annegret Wagner

Ähnlich wie bei der Blauzungenimpfung gibt es auch bei den aktuell behördlich angeordneten TBC-Tests für Rinderbestände im Allgäu eine hartnäckige Front von Testverweigerern. Ein Landwirt klagte erfolgreich gegen die Tuberkulinisierung seiner Tiere und begründete dies unter anderem damit, dass bei der Durchführung nicht für jedes Tier eine sterile Kanülen verwendet werde. Diese Forderung lässt sich nämlich aus einer EU-Richtlinie ableiten.

Gericht pocht auf Wortlaut der EU-Richtlinie

Das Urteil des Bayrischen Verwaltungsgericht dürfte erhebliche Folgen für Tierärzte und künftige TBC-Tests haben. Die Richter begründeten es mit dem Wortlaut der EU-Richtlinie: 64/432/EWG. In dem schon 2002 geändertem Anhang B (1226/2002), wird die Durchführung des Intrakutantests explizit wie folgt beschrieben:

„ … dazu die kurze, sterile Kanüle (abgeschrägte Seite nach außen) einer graduierten, mit Tuberkulin aufgezogenen Spritze (verwenden) …“

Auch in Übersetzungen der EU-Richtlinie für andere EU-Länder heisst es ausdrücklich „steril“. Das Gericht weist zudem darauf hin, dass im Anhang B selbst beschrieben werde, warum man ihn damals geändert habe: „… (um) zum Zwecke der Überwachung und des Handels innerhalb der Gemeinschaft Testmethoden festzulegen, die der Stellungnahme des wissenschaftlichen Veterinärausschusses Rechnung tragen“. Deshalb gehe man davon aus, dass diese Auslegung im Sinne der Sachverständigen sei.

Kanülenwechsel bei TBC-Test – machbar oder nicht?

Kanülen für TBC-Tests – technisch Sauber aber nicht steril. Foto: WiSiTiA/aw

Kanülen für TBC-Tests – technisch sauber aber nicht steril.
Foto: WiSiTiA/aw

Diese Argumentation des Verwaltungsgerichts ist schlüssig, aber für den durchführenden Tierarzt schwer umzusetzen. Es gab und gibt (bis Redaktionsschluss dieses Textes) in Deutschland keine sterilen Kanülen, die mit den auf dem Markt befindlichen Tuberkulinspritzen kompatibel sind. Bisher werden nur Kanülen angeboten die als technisch sauber gelten. „Steril“ sind sie nicht. Ein Kanülenwechsel pro Tier würde damit streng genommen dem Gesetz eben so wenig entsprechen, wie die zur Zeit gängige Methode, mehrere Tiere mit einer Nadel zu beproben.

Sterilisieren verteuert Test um 2 Euro pro Tier

Da die Verordnung eine „kurze, sterile Kanüle“ fordert, nicht aber die Verwendung eigener Kanülen für jedes Tier, scheint es zunächst rechtskonform, einen Sterilisationsaufsatz einzusetzen, wie er seit kurzem angeboten wird. Die Desinfektionskappe sollte (je nach Kontamination der Nadel) aber nur für maximal zehn Tiere verwendet werden. Fünf dieser Desinfektionskappen kosten etwa 32 Euro plus Mehrwertsteuer. Das Verfahren würde beim Simultantest also mit rund zwei Euro Zusatzkosten pro Tier zu Buche schlagen.

Ist die Desinfektionskappe rechtskonform?

Nimmt man den Verordnungstext aber wörtlich – was das Bayrische Verwaltungsgericht ja tut – ist der Einsatz des Sterilisationsaufsatzes ebenfalls strittig. In der Ausführungsverordnung heisst es, dass die Kanüle „schräg“ eingeführt werden muss. Das soll vermeiden, dass das Tuberkulin durch das Einstichloch wieder austritt. Mit dem Aufsatzes kann man aber nur noch senkrecht einstechen. Dadurch erhöht sich das Risiko, dass zu viel Tuberkulin ausfließt. Bei einer Testmenge von lediglich 0,1 ml spielt dieser Faktor eine große Rolle. Außerdem ist noch nicht klar, ob das Desinfektionsmittel das Testergebnis verfälschen könnte, weil es eventuell Hautreizungen auslöst oder das Tuberkulin beeinträchtigt.

Tierärzte nur mit Kanülenwechsel auf der sicheren Seite

Wer gesetzeskonform tuberkulinisieren möchte, muss also größere Mengen an Kanülen (zwei pro Tier) kaufen und im praxiseigenen Sterilisator testfertig machen. Nach Gebrauch müssen die Kanülen gereinigt und können dann erneut sterilisiert werden. Das Ganze bedeutet für den Tierarzt (und seine Helfer) einen erheblichen zeitlichen Mehraufwand. Schneller ginge es mit speziellen sterilen Einmalkanülen, die sich für Tuberkulose-Tests bereits in der Testphase befinden.

Kanülenwechsel vergeudet wertvolles Tuberkulin

Gegen einen Kanülenwechsel nach jedem Tier sprechen allerdings auch ganz praktische Gründe. Das Testvolumen pro Tier ist mit nur 0,1 ml pro Tier sehr gering. Würde man die Nadel danach jeweils wegwerfen, landete mit ihr auch noch überproportional viel restliches Tuberkulin im Müll.

Historie zeigt: Kanülenwechsel nicht nötig

Warum sich die Formulierung „steril“ in die EU-Verordnung eingeschlichen hat – und bislang auch nicht weiter beachtet wurde, ist nicht geklärt. Bis zu diesem Urteil war es in der Tiermedizin üblich, beim TBC-Test die Kanülen deutlich seltener zu wechseln – ohne den Erfolg der Maßnahme zu schmälern.
Immerhin hatten Tierärzte im Jahre 1936 fast ein Drittel (31,3 Prozent) aller Rinder in Deutschland positiv auf Tuberkulose getestet. Fast zwei Drittel aller Betriebe hatten infizierte Tiere in ihren Ställen. In 1952 startete in Westdeutschland das zunächst freiwillige Bekämpfungsprogramm und bereits in 1961 galten 99,7 Prozent aller Rinderhaltungen staatlich anerkannt tuberkulosefrei. Sterile Kanülen für jedes Tier hat in diesen Jahrzehnten und bis zum Ende der regelmäßigen flächendeckenden Untersuchung im Jahr 1997 niemand benutzt  – auch nach der Änderung der Verordnung in 2002 nicht.

Krankheitsübertragung eher theoretischer Natur

Fachlich gesehen ist es nicht notwendig, innerhalb einer epidemiologischen Einheit von Rindern bei jedem Tier die Kanüle zu wechseln. In diesen Gruppen wären mögliche Krankheiten wesentlich effektiver und schneller durch direkten Kontakt der Tiere untereinander oder durch blutsaugende Insekten übertragen worden. Bei der intrakutanen Injektion sollte auch kein Blutgefäß punktiert werden, somit ist eine Erregerübertragung eher eine theoretische Überlegung. Daher haben Veterinärämter, Ministerien und Tierseuchenkassen bisher einen Kanülenwechsel pro epidemiologischer Einheit für absolut ausreichend erachtet.

 

Wir-Sind-Tierarzt meint:

Streng genommen müssten jetzt alle nach 2002 vorgenommen TBC-Tests rechtlich in Frage gestellt werden, da sie nicht mit sterilen Kanülen durchgeführt wurden. Das zeigt, wie seltsam das Urteil des Bayrischen Verwaltungsgerichtshofes eigentlich ist. Es wäre dringend nötig, die Richtlinie so zu ändern, dass die Einhaltung „guter tierärztlicher Praxis“ und damit die bekannten und über Jahrzehnte bewährten Empfehlungen rechtlich zulässig sind. (aw)

Quellen: Eigene Recherchen; Bayr. VGH, Beschluss vom 3.7.2014 – Az. 20 CS 14.1031

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Über den Autor

Annegret Wagner

Dr. Annegret Wagner (aw) hat in Gießen Tiermedizin studiert und arbeitet seit 1991 in der Großtierpraxis; seit 2005 niedergelassen in eigener Praxis mit Schwerpunkt Milchrind im Raum Rosenheim. Seit 2006 arbeitet sie auch als tiermedizinische Fachjournalistin. So hat sie für die VETimpulse die Nutztierthemen betreut und übernimmt diese Aufgabe auch bei wir-sind-tierarzt.de. Um nicht zum Mia-san-mia-Bayer zu mutieren, schaut sie intensiv über den Alpenrand hinaus, vorzugsweise ins englischsprachige Ausland. Kontakt: annegret.wagner(at)wir-sind-tierarzt.de
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