Der ZEIT-Artikel über die „Rache aus dem Stall“ und auch der Vorwurf, Tierärzte seien Dealer werden keine mediale Eintagsfliege sein. Eine neue Form von journalistischen Recherchekooperationen greift gesellschaftlich brisante Themen auf und hält sie lange Zeit im öffentlichen Bewusstsein – durchaus auch als klug geplante journalistische Kampagne. Damit müssen sich auch Tierärzte auseinandersetzen.
von Jörg Held
Stiftungen als Geldgeber
Hinter den Recherchen zur ZEIT-Serie steht massgeblich das journalistische Investigativ-Projekt correct!v.org. Das von der Brost-Stiftung – Erich Brost war einer der Gründer der WAZ-/heutigen FUNKE-Gruppe – mit 3 Millionen Euro finanzierte Projekt hat ein einfaches Prinzip: Zuerst realisiert es aufwändige journalistische Recherchen „exklusiv“ mit Partnern (hier DIE ZEIT und derWesten(WAZ)) – und erzielt so eine aufmerksamkeitsstarken Auftakt.
Kostenloser Recherche-Zugriff für alle Medien
Dann aber folgt das besondere an correct!v: Nach der Erstveröffentlichung (hier in der gedruckten ZEIT und auf ZEIT.de am 20.11.2014 – es folgen noch drei weitere Teile der Serie) machen die Journalisten ihre Rechercheergebnisse online frei zugänglich, so dass andere Medien kostenlos auf die Daten zugreifen und das Thema auf ihr Verbreitungsgebiet und ihre Zielgruppe „herunterbrechen“ können. Das sichert eine enorme Reichweite der Themen – und führt dazu, dass diese so über einen längeren Zeitraum im öffentlichen Bewusstsein bleiben. Vorbild sind Projekte in den USA wie propublica oder das center for investigative reporting.
50 mal „gestohlen“ am Tag 1
Wie erfolgreich das Konzept ist, zeigt dieser Link: Bis zur ersten Veröffentlichung unseres Artikels (am 20.11.2014/ 17:06) wurde das Thema innerhalb nur eines Tages bereits von rund 50 andern Tageszeitungen und Online-Medien aufgegriffen – darunter zum Beispiel auch BuzzFeed.com, das als enorm reichweitenstarke Onlineseite eine ganz andere und deutlich jüngere Zielgruppen anspricht als etwa die ZEIT.
Für das Thema „Tödliche Keime“ hat Correct!v.org selbst eine eigene Seite eingerichtet, auf der sie andere Redaktionen mit einem Augenzwinkern auffordern: „Steal our story“.
Komplexe Daten einfach aufbereiten
Partner bei der Aufbereitung von Datenmaterial ist häufig – und auch in diesem Fall – das Projekt OpenDataCity. Die Hamburger sind bekannt dafür, komplexe Daten interaktiv und optisch ansprechend für Onlinenutzer aufzubereiten – und wurden dafür vielfach ausgezeichnet. Zum Antibiotika-Thema haben sie hier zum Beispiel eine interaktive Karte programmiert, auf der man sich durch Eingabe seiner Postleitzahl darüber informieren kann, wie die Situation in Krankenhäusern in der eigenen Umgebung aussieht.
Die Community als Informant
Mit solchen Vernetzungen und mit viralen Aktionen flankieren die Macher ihre Themen zusätzlich: So hat correct!v einen Tag vor der ZEIT-Veröffentlichung ein eigenes Teaser-Video online gestellt, es mit einem Vorab-Beitrag in die 19-Uhr-heute-Sendung des ZDF geschafft (ab Min 9) und seitdem zahllose Tweets zum Thema abgesetzt. Aktuell läuft die Aufforderung an die community, eigene Erfahrungen mit Hygiene & Keimen in Krankenhäusern zu melden – das schafft „Leserbeteiligung“ und liefert zugleich Informationen für weitere Geschichten.
Lesen Sie auch unseren Kommentar zu „Investicles – ist BuzzFeed seriöser als die Zeit“?
update 24.11.2014: Einen Teil des ZEIT-Themas gibt es jetzt auch als Multimediafeature