Milchkühe: Auf antibiotische Trockensteller verzichten

Kuh: Euterinjektion mit antibiotischem TrockenstellerAntibiotikaeinsatz reduzieren, auch bei Mastitiden (Foto: © WiSiTiA/aw)

Unnötige Antibiotikabehandlungen vermeiden – das ist bei Nutztieren inzwischen zentraler Managementansatz. Bei Geflügel, Schweinen und Mastbullen ist so in Deutschland eine erhebliche Senkung der eingesetzten Antibiotikamengen gelungen. Doch auch bei Milchkühen sind noch Einsparungen möglich. Hier steht das antibiotische Trockenstellen im Fokus: Ab wann kann man guten Gewissens darauf verzichten?

von Annegret Wagner

Es galt lange als das wirkungsvolle Werkzeug zur Ausheilung chronischer Mastitiden und zur Vermeidung von Neuinfektionen während der Trockenstehzeit – das Trockenstellen der Milchkühe mit genereller Antibiotikaunterstützung. Doch in den letzten Jahren hat sich die Einstellung gegenüber dem generellen Trockenstellen verändert. In Skandinavien und den Niederlanden ist es nicht mehr erlaubt, grundsätzlich alle Tiere eines Betriebs unter Antibiotika zu stellen. Und auch in Deutschland ist dieses Prinzip nicht mit dem verantwortungsvollen Umgang mit Antibiotika vereinbar.

Wann sind antibiotische Trockensteller sinnvoll?

Peter Edmondson, Mastitsexperte der Shepton Veterinary Group aus England gibt einige Tipps zum richtigen Umgang mit Trockenstellern. Seine Empfehlungen basieren auf den Ergebnissen der Zellzahlmessungen der Sammelmilch beziehungsweise der einzelnen Tiere:

  • Im Herdendurchschnitt weniger als 200.000 Zellen
    Im Herdendurchschnitt sollten die Zellzahlen 200.000 nicht überschreiten. Liegen die Werte höher, sollte das generelle Trockenstellen so lange fortgesetzt werden, bis es gelungen ist, durch flankierende Maßnahmen die Zellzahlen entsprechend zu senken.
  • Weniger als 25 Prozent mit mehr als 200.000 Zellen
    Wenn mehr als 25 Prozent der Kühe Zellzahlen von mehr als 200.000 zeigen, ist davon auszugehen, dass das Mastitisproblem weit gestreut ist. Werden dann nicht alle Kühe mit Antibiotika behandelt, ist das Risiko groß, infizierte Tiere zu übersehen.
  • Hat die Herde ein Staph. aureus Problem?
    Wenn dem so ist müssen, zunächst alle Kühe mit Trockenstellern behandelt werden, da es nicht immer gelingt, die erkrankten Kühe zu identifizieren. Durch wiederholte Untersuchungen sollte man nach und nach aber die Problemtiere finden und dann gezielt behandeln können.
    Gerade Staph. aureus-Infektionen sollten während der Trockenstehzeit mit Langzeitantibiotika therapiert werden und nicht – unter Umständen mehrfach – während der Laktation.
  • Ist Strep. agalactiae in der Herde vorhanden?
    Wenn ja, sollten zunächst weiter alle Kühe mit Antibiotika trockengestellt werden, bis die Fallzahlen deutlich reduziert worden sind.
  • Gibt es vereinzelt Infektionen mit Strep. uberis?
    Wenn die Infektionsraten hoch sind, spricht das für viele subklinische und klinische Erkrankungen. Auch dann muss generell mit Antibiotika gearbeitet werden. Einzelne Infektionen können dagegen durch selektives Trockenstellen abgedeckt werden.
  • Sind Zellzahlerhebungen für jede einzelne Kuh vorhanden?
    Falls keine separate Milchqualitätsmessung der Tiere vorgenommen wird, rät Peter Edmondson dringend dazu, entsprechende Untersuchungen zu beginnen. Die Messungen müssen nicht unbedingt monatlich erfolgen. Wichtig für eine gute Beurteilung sind aber die Ergebnisse der letzten drei Monate vor dem Trockenstellen. Aufgrund dieser Befunde sollte dann die Entscheidung getroffen werden, ob eine Kuh einen antibiotischen Trockensteller benötigt oder nicht.
  • Aufzeichnungen von Mastitisbehandlungen
    Behandlungen wegen Euterentzündungen müssen dokumentiert werden und können zur Beurteilung des Gesundheitszustandes des Euters beim Trockenstellen heran gezogen werden.

Ab welcher Zellzahl ohne Antibiotika trocken stellen?

Die Empfehlungen, bis zu welchen Zellzahlen Kühe ohne Antibiotika trocken gestellt werden können, variieren je nach Land.

  • In den USA plädiert unter anderem Phil Durst von der Michigan State University dafür, dass nur die Kühe ohne antibiotische Abdeckung trocken gestellt werden, die Zellzahlen von unter 100.000 aufweisen und während der Laktation nicht an Mastitis erkrankt sind.
  • In Irland (Dr. Aideen Kennedy) und England (Dr. Ruth Wonfor) gelten Zellzahlen bis 200.000 als akzeptabel, um beim Trockenstellen auf Antibiotika zu verzichten. Darüber hinaus gibt in England eine Aktionsliste des NMR (National Milk Records) Entscheidungshilfen, wann eine Kuh trockengestellt werden sollte und ob mit Antibiotika oder nicht.
  • In Neusseeland gelten Zellzahlen von 120.000 während der ersten Laktation und 150.000 während der weiteren Laktationen als Obergrenze für antibiotikafreies Trockenstellen.
  • Auch in der Schweiz sieht man 150.000 Zellen als Grenze; darunter sei Trockenstellen ohne Antibiotika möglich

Antibiotikaverzicht dank Zitzenversiegler

Eine effektive Alternative zur Vermeidung von Neuinfektionen während des Trockenstehens sind Zitzenversiegler. Wie unter anderem Aideen Kennedy (Teagasc, Irland) zeigen konnte, unterscheidet sich die Zahl der Neuinfektionen während der folgenden Laktation nicht wesentlich – egal ob nur mit Versiegler oder mit Antibiotika und Versiegler gearbeitet wurde. Über 80 Prozent der Kühe beider Gruppen hatten sowohl vor dem Trockenstellen als auch beim Anmelken und in der weiteren Laktation weniger als 200.000 Zellen.
Bei den Vergleichsherden bewegten sich auch die Tankzellzahlen bis auf eine einmalige Überschreitung immer unter 200.000. Kennedy hält daher den Zitzenversiegler für eine gute Alternative zu Antibiotika.
Fast identische Ergebnisse hat Dr. Ruth Wonfor von der Aberystwyth University (England) in der Demonstration Fram Tyreglwys erhoben. Sie hat alle Kühe, die in den letzten drei Monaten vor dem Trockenstellen unter 120.000 Zellen lagen, nur mit Versieglern trockengestellt und damit bei 80 Prozent der Kühe auf Antibiotika verzichten können.

antibiotische Euterbehandlung

Es muss nicht immer eine antibiotischer Trockensteller sein: Eine Zitzenversiegelung ist kaum weniger erfolgversprechend. (Foto: © WiSiTiA/aw)

Dänemark: Renaissance von Strep. agalactiae

Der US-Amerikaner Jim Dickrell, Herausgeber von Dairy Herd Management hat sich in der Märzausgabe ebenfalls mit dem selektiven Trockenstellen beschäftigt und dazu Statistiken aus Dänemark und den Niederlanden ausgewertet:
In Dänemark wurde das generelle antibiotische Trockenstellen zeitgleich mit der Verwendung antibiotikahaltiger Leistungsförderer in 1994 verboten. Zunächst zeigten sich keine negativen Nebeneffekte. Aber mittlerweile ist es zu einem deutlichen Anstieg von Strep. agalactiae in den Herden gekommen. Während der Erreger im Jahr 2000 als so gut wie ausgerottet galt – unter ein Prozent der Mastitiden wurden durch diese Bakterien verursacht –, hat sich der Anteil an Strep. agalactiae-Euterentzündungen in den folgenden zehn Jahren auf 2,25 Prozent erhöht, Tendenz weiter steigend.

Niederlande: antibiotisch Trockenstellen nur mit Begründung

In den Niederlanden dürfen Landwirte seit 2012 ihre Kühe nicht mehr unbegründet mit Antibiotika trocken stellen. Dort ist die durchschnittliche Zellzahl pro Betrieb in den Jahren seit dem Verbot sogar gesunken und zwar von rund 200.000 auf 170.000 Zellen. Der Grund dürften vor allem allgemeine Verbesserungen im Hygienemanagement und der Tierhaltung sein, wie Tine van Werfen von der Universität Utrecht betont: Zunächst müsse ein Umdenken in den Köpfen der Landwirte stattfinden, denn nur durch flankierende Maßnahmen könne auf generelles antibiotisches Trockenstellen verzichtet werden.

Anderer US-Ansatz: Immer antibiotisch trocken stellen

Auch Jim Dickrell ist der Ansicht, dass selektives Trockenstellen funktioniert – wenn die Tierbeobachtung und die Haltung gut sind und die Landwirte belastbare Daten zur Milchqualität ihrer Kühe besitzen.
In seinem Artikel kommen aber auch Befürworter des generellen Trockenstellens zu Wort, etwa Larry Fox, Professor an der Washington State University. Der erinnert daran, dass durch das generelle Trockenstellen Neuinfektionen während des Trockenstehens verringert würden, chronische Mastitiden effektiver ausheilen und die Milchleistung der Kühe verbessert werde. Unter dem Aspekt der Kosten-Nutzen-Analyse sieht er keine deutlichen Vorteile des selektiven Trockenstellens und wünscht sich gezielte Studien zu diesem Thema.
Das ist ein typischer US-amerikanischer Ansatz, bei dem es selbst Tierärzten zunächst um die Wirtschaftlichkeit der Tiere geht. Prof. Fox sieht keinen Widerspruch zwischen dem generellen antibiotischen Trockenstellen und einem verantwortungsvollen Umgang mit Antibiotika.

Landwirt und Tierarzt sollen selbst entscheiden

So ist dann auch Dickrells Fazit, dass es noch keine belastbare Datenlage gibt, die dazu geeignet ist, das generelle Trockenstellen mit Antibiotika als unnötig zu verdammen. Die Methode hat eine Reihe von Vorteilen und daher sollte jeder Betrieb selbst entscheiden dürfen, wie er mit dem Thema umgeht.

Quellen im Artikel verlinkt

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Über den Autor

Annegret Wagner

Dr. Annegret Wagner (aw) hat in Gießen Tiermedizin studiert und arbeitet seit 1991 in der Großtierpraxis; seit 2005 niedergelassen in eigener Praxis mit Schwerpunkt Milchrind im Raum Rosenheim. Seit 2006 arbeitet sie auch als tiermedizinische Fachjournalistin. So hat sie für die VETimpulse die Nutztierthemen betreut und übernimmt diese Aufgabe auch bei wir-sind-tierarzt.de. Um nicht zum Mia-san-mia-Bayer zu mutieren, schaut sie intensiv über den Alpenrand hinaus, vorzugsweise ins englischsprachige Ausland. Kontakt: annegret.wagner(at)wir-sind-tierarzt.de
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