Corona: Wer zahlt, wenn eine Tierarztpraxis unter Quarantäne steht?

Praxisschliessung wegen Coronaverdacht: Wer zahlt? Wie vorbeugen? (Illustration/Montage: ©WiSiTiA/jh – Virus: © pixabay
Das momentan größte wirtschaftliche Risiko für eine Tierarztpraxis/Klinik ist eine Corona-Quarantäne von Mitarbeitern – ob sie nun erkrankt sind oder als Kontaktpersonen gelten. In der Folge kann der gesamte Praxisbetrieb zusammenbrechen. Welche Entschädigung gibt es dann von wem? Gilt der „Schutzschild“ der Bundesregierung auch für Freiberufler? Und wie kann man mit cleverer Organisation den Corona-Risiken zumindest etwas vorbeugen? Eine Übersicht mit weiterführenden Links. von Jörg Held (Stand: 23.3.2020 – 19:30) Ein Corona-Fall kann zur (vorübergehenden) Schließung einer Tierarztpaxis führen – wenn Inhaber und Mitarbeiter unter Quarantäne gestellt werden. Das muss nicht die Infektion eines Mitarbeiters sein, eventuell reicht schon der Umweg über Kontaktpersonen.

Quarantäne-Anordnung: Wer zahlt Gehälter und Kosten?

Ist ein Mitarbeiter nachweislich an Corona (COVID-19) erkrankt und krank geschrieben, gilt das normale Lohnfortzahlungsverfahren wie in jedem anderen Krankheitsfall. Wird eine Quarantäne behördlich angeordnet, oder die „berufliche Tätigkeit“ untersagt (Praxisschliessung) gelten für Tierarztpraxen – also für Inhaber und Angestellte – die gesetzlichen Regeln. Der § 56 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) regelt dann, welche Entschädigungen die Bundesländer in einem solchen Fall zahlen. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hat dazu für Humanmediziner eine Übersicht erstellt (PDF hier), die auf dem IfSG basiert und deshalb analog auch für Tierärzte gilt.
  • Bei Angestellten zahlt für die ersten sechs Wochen zunächst der Arbeitgeber das Gehalt weiter. Danach erhalten die Mitarbeiter eine Entschädigung in Höhe des Krankengeldes. Der Arbeitgeber hat aber Anspruch auf Erstattung dieser Kosten durch das Land. Diese muss er innerhalb von drei Monaten beantragen. Gibt es Liquiditätsengpässe, kann man einen Vorschuss beantragen. Das KBV-Dokument enthält auch eine Liste mit (Länder)Ansprechpartnern für diese Antragsstellung.
  • Wichtig: Auch Praxisinhaber haben Anspruch auf Entschädigung des Verdienstausfalls, aber zunächst nur in Höhe des Arbeitseinkommens, nicht in Höhe der Praxiskosten. Das Arbeitseinkommen ist in § 15 Sozialgesetzbuch IV definiert und errechnet sich aus der Einkommensteuererklärung. Selbständige können aber auch für Betriebsausgaben „in angemessenem Umfang“ entschädigt werden (§ 56 Abs. 4 IfSG). Dies müssen sie allerdings extra beantragen. Inwieweit eine Betriebsausfallversicherung greift, regelt der individuelle Vertrag. Eine Quarantäne muss mitversichert sein.
Eine Übersicht zu sonstigen arbeitsrechtlichen Auswirkungen im Zusammenhang mit Corona hat das Bundesarbeitsministerium hier zusammengestellt.

„Shutdown“: Sind Tierarztpraxen systemrelevant?

Aktuell noch völlig unklar ist, was im Falle eines „Shutdown“ gilt, wenn etwa wie in Italien, Österreich oder Frankreich ein Geschäftsbetrieb mit Publikumsverkehr eingestellt werden muss. Würden Tierarztpraxen dann zur „Kritischen Infrastruktur“, den sogenannten  systemrelevanten Einrichtungen zählen und dürften wie Arztpraxen und Apotheken geöffnet bleiben?
  • Fünf Tierarztverbände und der Deutsche Tierschutzbund haben die Bundesregierung in einem Brandbrief aufgefordert, diese Frage schnellstmöglich zu klären (Details hier).
  • Den aktuellen Stand der Einstufungen (Öffnungserlaubnis / Systemrelevanz) finden Sie hier:
Corona-Krise: Tierarztpraxen dürfen öffnen
Die Österreichische Tierärztekammer sagt, das sei so: „TierärztInnen tragen in der medizinischen (Grund-)Versorgung von Tieren sowie in der Lebensmittelproduktion und Hygiene eine ganz entscheidende Rolle.“ Daher seien die Ordinationen (Praxen) im Nachbarland aktuell auch nicht von einer Schließung betroffen, betont Kammerpräsident Kurt Frühwirth in einer Pressemitteilung.

Bundesregierung: Hilfszusage für Freiberufler

Die Bundesregierung hat zugesichert: Sollten „gesunde Unternehmen“ durch Auftrags-/Umsatzausfälle im Zusammenhang mit Folgen der COVID-19-Epedemie in Schwierigkeiten geraten, gebe es einen „Schutzschild“ mit „unbegrenzter Hilfszusage“.

Hilfszusage der Bundesregierung (Quelle: Twitter-Account des Bundeswirtschaftsministeriums)

Das gelte ausdrücklich auch für Kleinunternehmen und Freiberufler – also auch Tierarztpraxen, schreibt das Bundeswirtschaftsministerium (BMWI) auf Twitter.

Hilfszusage auch für Freie Berufe (Tweet BMWI)

Anspruch auf Kurzarbeitergeld besteht jetzt bereits, wenn zehn Prozent der Mitarbeiter vom Arbeitsausfall betroffen sind. Zuständig ist die Bundesanstalt für Arbeit (Informationen hier). Die Tierärztekammer Niedersachsen hat eine Schritt-für-Schritt-Anleitung für Tierarztpraxen (PDF) erstellt – von der (eigenen) Anspruchsprüfung bis zum Antrag auf Kurzarbeitergeld.

Akutversorgung einschränken?

Die Österreichische Tierärztekammer appelliert an die Eigenverantwortung der praktizierenden TierärztInnen und empfiehlt, sich aktuell nur auf die Akutversorgung zu beschränken, um die Weiterverbreitung des Coronavirus (SARS-CoV-2) zu minimieren. Auch Kliniken an vielen Veterinärmedizinischen Universitäten haben bereits den Betrieb auf die Versorgung von „Notfällen“ (Wien) und „dringenden Fällen“ (TiHo) zurückgefahren oder die regüläre Terminsprechstunde eingestellt (Kleintierklinik LMU).

Corona-Infektionen organisatorisch vorbeugen

Unabhängig von den Worst-Case-Szenarien (Quarantäne/Shutdown) gilt es also den Praxisbetrieb so zu organisieren, dass Mitarbeiter und Inhaber bestmöglich geschützt sind. Dabei gelten für Tierarztpraxen zunächst die gleichen Regeln wie für alle anderen Bereiche: Soweit es nicht sowieso schon Usus war, sollten Praxen nur noch Terminsprechzeiten anbieten und die offene Sprechstunde schließen. Eine telefonische Vorselektion von Patienten reduziert die Kontakte und entzerrt die Zahl der Menschen, die sich gleichzeitig in der Praxis aufhalten (siehe weitere Hinweise unten).

Arbeitsbereiche und Mitarbeiter soweit möglich separieren

Allgemeingültige Organisationsregeln kann es ansonsten nicht geben. Zu unterschiedlich sind die personellen und auch räumlichen Voraussetzungen der Praxen/Kliniken. Wenn irgend möglich, sollte man möglichst viele Arbeitsbereiche/-abläufe und wichtige Aufgaben separieren, also auf verschiedene Mitarbeiter aufteilen. Um eine Quarantäne für alle zu vermeiden, dürfen diese dann aber auch untereinander keine Kontakte mehr haben.
  • Eine Möglichkeit ist die „vertikale Trennung“: Man bildet Praxisteams, die in Schichten oder besser noch an Tagen jeweils getrennt arbeiten und untereinander keinen(!) Kontakt mehr haben. Fällt ein Team durch einen Corona-Verdacht aus, kann das andere evtl. einen Notbetrieb aufrecht erhalten – wenn gegenüber dem Gesundheitsamt diese Trennung belegt werden kann.
  • Eventuell kann man Arbeitsbereiche auch „horizontal“ trennen, zum Beispiel Patientenempfang und Behandlung so organisieren, dass nur wenige Mitarbeiter direkten Kontakt zum Tierbesitzer haben; die behandelnden Ärzte aber möglichst nicht. Auch hier müsste intern weiter separiert werden.
  • Je weniger Mitarbeiter eine Praxis hat, desto weniger dieser Möglichkeiten bleiben ihr. Dann kann man nur grundsätzliche Hygiene- und Verhaltensregeln für die Praxis definieren.

 Verhaltensregeln für Tierbesitzer

Praxen sollten ihre Kunden auf ihren Webseiten oder auch über die sozialen Medien informieren, wie die individuellen Abläufe sind. Vielfach hat sich folgendes Schema etabliert:
  • Keine offene Sprechstunde mehr
  • Telefonische Anmeldung notwendig … dabei abklären, …
    • … ob akute Behandlung nötig
    • … ob Patientenbesitzer Corona-/Erkältungssymptome hat (siehe Tabelle) – dann ggf. eine Übergabe des Tieres außerhalb der Praxisräume organisieren
  • Tier generell (möglichst) nur von einer Person in die Praxis bringen lassen
  • Zwischen Tierbesitzer und Team größtmöglichen Abstand halten (Tierhandling im Behandlungsraum ohne Tierbesitzer)
  • Nur so viele Patientenbesitzer in die Praxis lassen, dass ausreichend Abstand im Wartebereich gehalten werden kann
Die Schweizerische Vereinigug für Kleintiermedizin hat ebenfalls ein Merkblatt mit Empfehlungen (PDF-Download hier) zum Umgang mit dem Coronavirus veröffentlicht, das etwas ausführlicher auf diese Punkte eingeht. Der europäische Tierärzteverband FVE hat auf seiner Corona-Info-Seite eine Reihe von Links zusammengestellt – auch auf die Empfehlungen der Tierarztverbände in anderen Staaten. Auch als Handout oder für den Aushang in der Praxis gut zu nutzen, sind Empfehlungen für Kleintierpraxen und Tierbesitzer zur Vorbeugung einer COVID-19-Infektion (PDF-Download durch Klick auf das jeweilige Foto):

Die FAZ hat Corona-, Erkältungs- und „echte“ Grippe-Symptome gegenübergestellt. (Quelle: FAZ)

wir-sind-tierarzt kommentiert: In prevention is no glory

(jh) – Wie immer bei der Vorbeugung: Ruhm kann man damit kaum ernten. Passiert nix, wird einem später allzuoft aller Aufwand als übertrieben vorgehalten. Kommt es zum „Schlimmsten“ heißt es dann: Siehste, hat ja doch nix genutzt. 
Die Entscheidungen, wie weit man den eigenen Praxis-/Klinikbetrieb einschränkt und wie aufwändig man Notfallpläne etabliert, kann nur jede Praxis/Klinik für sich treffen. Ein guter Ratgeber ist da weniger das Schielen auf Entschädigung & Co oder externe Reaktionen. Es sollte schlicht der gesunde medizinische Sachverstand gelten. Der müsste in Sachen Epidemiologie bei Tierärzten eigentlich gut ausgeprägt sein. Es gilt die Maxime: Wie schütze ich mich und meine Mitarbeiter am besten und welchen Teil kann ich beisteuern, um eine Ausbreitung des Virus zu minimieren – und damit Risikogruppen weniger zu gefährden. Da lohnt sich dann auch einiger Aufwand, selbst wenn er Geld kostet und unbequem ist. Wenn man das nicht von (Tier)Ärzten erwarten kann, von wem dann?

Quellen: im Artikel direkt verlinkt – oder:

Eine FAQ-Übersicht zum Thema Corona in Unternehmen hat der Deutsche Industrie und Handelskammertag (DIHK) zusammengestellt

Der Bundesverband praktizierender Tierärzte hat für seine Mitglieder (LogIn erforderlich) ein kurze Übersicht zu „Corona – was Arbeitgeber und Angestellte beachten müssen“ auf der Verbandswebseite bereitgestellt.

*Aktualisierungen: 17.3.2020 – Verlinkung „Brandbrief von fünf Tierarztverbänden“ zur Systemrelevanz und Information der Bundestierärztekammer zu Corona 16.3.2020 – Verlinkung „Information zum Kurzarbeitergeld“ der Tierärztekammer Niedersachsen 15.3.2020 – Link zum Corona-Merkblatt der Schweizerische Vereinigung für Kleintiermedizin ergänzt 14.3.2020 – Hinweis auf den Schutzschirm der Bundesregierung, der auch für Freiberufler greifen soll

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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