Tierschutzprobleme entstehen im Stall

Abgemagerte Kuh (Foto: © WiSiTiA / aw)

Immer wieder zeigen mit versteckter Kamera gefilmte Videos Tierschutzverstöße bei Schlachtung und Transport. Viele dieser Tierschutzprobleme entstehen aber schon früher im Stall. Auf dem bpt-Kongress in München wurde deutlich, dass beim Tierschutz auch dort einiges im Argen liegt – mit Konsequenzen für Tierhalter und auch für Tierärzte.

(aw) – Viele Probleme rund um Tiergesundheit (Abmagerung, Lahmheit, etc.) und Transportfähigkeit entstehen schon im Stall  – und nicht erst auf dem Transport zum oder im Schlachthof. Über Ursachen und auch Wege hier gegenzusteuern, referierte auf dem bpt-Kongress in München Dr. Iris Fuchs. Die Leiterin des Fachbereichs Veterinärwesen am Landratsamt Bayreuth sah hier vor allem die Tierhalter, aber auch den Hoftierarzt in der Pflicht.
Sie kritisierte insbesondere fragwürdige Anlieferungen. Das gelte sowohl für Landwirte, die die Tiere verkaufen, als auch für Viehhändler. Beide liessen offensichtlich kranke Tiere zu oft über weite Strecken transportieren, um sie an einen Schlachthof zu bringen, dessen Eingangskontrollen leichter zu umgehen sind.
Auch für die praktizierenden Tierärzte hat Dr. Fuchs in diesem Zusammenhang einige grundlegende Empfehlungen – speziell zum Thema Notschlachtung (sog. Anlage 8).

Notschlachtung ja oder nein? Die Entscheidung fällt allein der Tierarzt nach fachlichen Kriterien. (Folie © Dr. Iris Fuchs, LRA Bayreuth / bpt-Kongress 2019 )

Keine Gefälligskeitsbescheinigungen

Tierärzte dürften keine falsche Anlage 8 im Zusammenhang mit Notschlachtungen ausstellen. Es dürfen ausschließlich gesunde Tiere notgeschlachtet werden, die aufgrund eines akuten Unfalles (Knochenbrüche, Muskel-und Sehnenrisse, Nervenschädigungen, tiefe Wunden, innere oder äußere Blutungen, etc.) getötet werden müssen.
Amtstierärztin Fuchs warnte auch davor, für Tiere, die früher oft noch zur Schlachtung kamen (z.B. festliegende Kühe im Anschluss an eine Geburt) weiter eine Anlage 8 auszustellen: „Diese Kühe sind krank und fallen unter das Schlachtverbot.“ Auch Auszehrung, wie man sie vor allem bei HF-Kühen häufig sehe, sei eine Krankheit und bedeute: Diese Kühe dürfen nicht mehr geschlachtet werden. Da der Tierarzt bei der Ausstellung der Anlage 8 als amtlicher Tierarzt fungiert, könne er für falsche Angaben rechtlich belangt werden.

Unheilbar kranke Tiere sofort euthanasieren

Unheilbar kranke Tiere müssten sofort eingeschläfert werden. Der Hoftierarzt solle sich – das betonte Fuchs – nie darauf einlassen, dass der Landwirt das kranke Tier lieber später per Bolzenschuss von jemand anderem töten lassen wolle, weil es billiger sei: „Kosteneinsparung ist kein vernünftiger Grund, ein Tier leiden zu lassen.“
Unabhängig davon stellten grobe Tierschutzverstöße, wie etwa große Dekubitusstellen einen Strafbestand da. Der könne zur Anzeige gebracht werden. Dabei sei es egal, ob das entsprechende Tier im Stall getötet wurde oder ob der Tierbesitzer versucht hat, es zu vermarkten und der Befund später am Schlachthof erhoben wurde. Fuchs: „Bilder von chronischen kranken Tieren, die offensichtlich Schmerzen haben, müssen der Vergangenheit angehören.“

Die Kollegin betonte, dass nur gesunde Tiere geschlachtet werden dürften: „Nur aus gesunden Tieren kann man gesunde Lebensmittel gewinnen.“ Für hochgradig abgemagerte Tiere und solche, die an Gelbsucht (Stoffwechselstörung), Durchfall, Fieber sowie anderen Gesundheitsproblemen leiden, gelte ein Schlachtverbot – auch wenn sie noch laufen und selbstständig in das Transportfahrzeug gehen könnten.

Kriterien für die Transportfähigkeit eines Schlachttieres. (Folie © Dr. Iris Fuchs, LRA Bayreuth / bpt-Kongress 2019 )

Landwirte überschätzen ihre Tiergesundheitskompetenz

Probleme sieht die Kollegin dabei im Kontakt zwischen Landwirt und Tierarzt. Landwirte würden sich sehr häufig bei der Beurteilung der Tiergesundheit überschätzen, beziehungsweise das Leiden ihrer Tier unterschätzen. Viele holten zu selten rechtzeizig tierärztlichen Rat ein. Wohl weil sie sich nach Einschätzung von Dr. Fuchs nicht im Klaren darüber seien, wie schwerwiegend die Erkrankung eines Tieres tatsächlich ist.
Auch eine mangelnde Wertschätzung und Empathie den Schlachttieren gegenüber sei immer wieder zu beobachten. Das habe auch mit Überforderung und Abstumpfung der Landwirte zu tun. Sie seien immer häuiger mit ihrem täglichen Arbeitspensum überlastet.
Trotzdem ist es die Pflicht der tierhaltenden Landwirte, ihre Tiere verhaltensgerecht und tierschutzkonform unterzubringen sowie sie zu pflegen – und zu dieser Pflege gehöre auch eine tierärztliche Behandlung im Krankheitsfall.

Bestandsbetreuung verpflichtend machen

Dr. Fuchs stellte deshalb drei Forderungen auf.
Zum einen: Eine echte Bestandsbetreuung, die deutlich über die Abgabe von Medikamenten hinausgeht, muss verpflichtend werden. Ein verantwortlicher Hoftierarzt müsse sowohl die wesentlichen Bestandsdaten als auch den Zustand in den Ställen kennen und Tiere selber untersuchen. Neben konkreten Erkrankungen sei dabei auch auf den Pflegezustand zu achten, denn starke Verschmutzung oder gehäufte Dekubitusstellen gäben Rückschlüsse auf eine suboptimale Haltung und müssen beseitigt werden.

Tiergesundheit muss Pflichtfach in Landwirtschaftsschulen sein

Für Dr. Fuchs ist es außerdem ein unhaltbarer Zustand, dass das Fach Tiergesundheit an Landwirtschaftsschulen nicht zum Pflichtprogramm zählt, sondern fakultativ besucht werden kann. Immerhin sei die Tiergesundheit der wichtigste Wirtschaftsfaktor in der Tierhaltung. Die meisten Tierhalter wüssten außerdem nach wie vor nicht, dass sie seit der Änderung des Tierschutzgesetzes im Jahr 2014 eine Eigentkontrollpflicht haben (siehe Folie). Sie müssen tierbezogene Merkmale in ihrem Bestand erheben und – wenn sich Krankheitsfälle häufen – Änderungen bei Haltung, Fütterung etc. vornehmen.

Pflicht der Landwirte zur Eigenkontrolle. (Folie © Dr. Iris Fuchs, LRA Bayreuth / bpt-Kongress 2019 )

„Stall-TÜV“ gegen mangelhafte Stallsysteme

Häufig entsprächen schon die Stallsysteme nicht den Anforderungen der Tiere und begünstigen so Technopathien. Dr. Fuchs fordert daher eine Art Stall-TÜV: Stallsysteme müssten geprüft werden, bevor sie verkauft werden dürften. Nur so könne man vermeiden, dass Landwirte für viel Geld mangelhafte Ställe errichten und diese nicht zeitnah so umbauen können, dass sie den Ansprüchen ihrer Tiere genügen. Immerhin beginnt die Produktion eines sicheren Lebensmittels mit und im Stall.

(Folie © Dr. Iris Fuchs, LRA Bayreuth / bpt-Kongress 2019 )

Quelle:
Vortrag Dr. Iris Fuchs in der Auftaktveranstaltung  Rind/Schwein beim bpt-Kongress München 2019

Teilen
Über den Autor

Annegret Wagner

Dr. Annegret Wagner (aw) hat in Gießen Tiermedizin studiert und arbeitet seit 1991 in der Großtierpraxis; seit 2005 niedergelassen in eigener Praxis mit Schwerpunkt Milchrind im Raum Rosenheim. Seit 2006 arbeitet sie auch als tiermedizinische Fachjournalistin. So hat sie für die VETimpulse die Nutztierthemen betreut und übernimmt diese Aufgabe auch bei wir-sind-tierarzt.de. Um nicht zum Mia-san-mia-Bayer zu mutieren, schaut sie intensiv über den Alpenrand hinaus, vorzugsweise ins englischsprachige Ausland. Kontakt: annegret.wagner(at)wir-sind-tierarzt.de
Web Design MymensinghPremium WordPress ThemesWeb Development

Wildtiere: Hilfe kann auch Leid bedeuten

9. März 20169. März 2016
Ein Faltblatt gibt Tipps zum Umgang mit Wildtieren. (©Landestierschutzbeauftragte Hessen / Erni/Fotolia.com)„Wildtiere brauchen in den aller seltensten Fällen menschliche Hilfe," sagt die Landestierschutzbeauftragte Hessen. Was tun kann, wer ein Wildtier findet – oder aber auch besser lassen sollte – erklärt ein Flyer, den Dr. Madeleine Martin zusammen mit der Landestierärztekammer Hessen herausgegeben hat. (mehr …)