Tierschutzaktivisten verletzen Landwirt

(jh) – Sie sind der Treibstoff für die mediale Debatte um die industrielle Massentierhaltung: Horrorbilder von toten, verkrüppelten und zusammengepferchten Nutztieren aus dunklen und dreckigen Ställen. Zuletzt veröffentlichte am Wochenende Animal-Equality solche „undercover“-Videoaufnahmen aus Bio-Legehennenhaltungen in Ostdeutschland und schaffte es damit in die Medien*. Fast zeitgleich haben Tierrechtsaktivisten in Baden-Württemberg einen Landwirt verletzt, der sie in seinem Stall überrascht hatte. In einem 70 Kilometer entfernten Stall starben am Wochenende nach einem Einbruch 250 Puten. Eskaliert jetzt der Kampf um die Bilder?

Konkret lieferte sich in Baden-Württemberg – laut Pressemeldung des Zentralverbandes der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) – einer von drei Tierrechtsaktivisten einen Kampf mit dem durch einen Bewegungsmelder alarmierten Putenhalter. Der Eindringling habe den Landwirt vom Stall bis in dessen Wohnhaus verfolgt, wo ihn  das Landwirtsehepaar dann in ein Zimmer einsperren – und schließlich der Polizei übergeben konnte. Zuvor aber habe er den Landwirt mit Pfefferspray so stark verletzt, dass der ins Krankenhaus eingeliefert werden musste.
Wenige Stunden zuvor war bereits in eine nur 70 Kilometer entfernte Putenhaltung eingebrochen worden. Dabei sollen rund 250 Puten bei einer offenbar durch den Einbruch verursachten Panik gestorben sein.

Öffentliches Interesse oder Hausfriedensbruch?

Das Thema ist rechtlich umstritten. Ein Eindringen in umfriedete Gebäude gilt zunächst als strafbarer Hausfriedensbruch. Juristen raten den Landwirten – wenn sie einen solchen Einbruch bemerken – nicht selbst einzugreifen, sondern die Polizei zu alarmieren.
Andererseits gewichten Gerichte das öffentliche Interesse, Missstände aufzuklären meist höher als die Schutzinteressen der Landwirte. Die Tierrechtsaktivisten bezeichnen sich den selbst auch als „Ermittler“, die „recherchieren“ und „Bildmaterial für journalistische Beiträge“ liefern.

Auf der Webseite der Albert-Schweitzer-Stiftung rechtfertigte 2013 ein Sprecher von Animals Right Watch (ariwa) solche Aktionen:

Der Begriff »Einbruch« sei alleinstehend als Straftat jedoch unbekannt und wird umgangssprachlich für den Straftatbestand des Einbruchdiebstahls verwendet. Einbruchdiebstahl sei in solchen Fällen jedoch nicht zutreffend, da beim Erstellen der Filmaufnahmen nichts entwendet, verändert oder aufgebrochen wird. Solche Handlungen könnten maximal einen – in sehr abgeschwächter Form vorliegenden – Hausfriedensbruch darstellen. Dabei werde lediglich die »Privatsphäre Stall« tangiert. Auf der anderen Seite werden tierschutzrechtliche Verstöße aufgedeckt und Missstände dokumentiert, die einem hohen öffentlichen Interesse unterliegen.

Geschäftsmodell oder gesellschaftliche Mission?

Landwirtschaftsverbände wiederum werfen den Tierschutzaktivisten vor, aus dieser Bildbeschaffung ein fragwürdiges Geschäftsmodell gemacht zu haben. Einzelne   Tierrechtsgruppen würden sich hauptsächlich über solche verkauften Bilder, bzw. im Nachgang über Spendensammelaktionen auf ihren Webseiten finanzieren. Sie profitierten enorm von der Aufmerksamkeit, die die Medienberichterstattung ihnen beschere.

Die Sender selbst „nutzen“ diese meist illegal gemachten Bilder gerne. Es sind selten Rechercheteams angestellter Journalisten, die derartige Missstände aufdecken. jetzt.de, das Jugendmagazin der Süddeutschen Zeitung, begleitete 2014 Tierrechtler in einer Reportage bei ihrer „nächtlichen Arbeit“ – aber auch hier waren es freie Journalisten, die über frei arbeitende(?) Aktivisten berichteten:

Unsere Begleiter sind seit Jahren regelmäßig nachts in geheimer Mission unterwegs. Ihre Filme und Fotos geben sie an Tierschutzvereine weiter, häufig auch an Fernsehsender. Christian und seine Kollegen haben so schon häufiger Skandale bei großen Lebensmittelherstellern aufgedeckt (ARD-Mediathek oder hier auf youtube).

Gewaltpotential steigt

Die Gefahr von gewalttätigen Konfrontationen dürfte steigen, da es auf der einen Seite immer günstiger wird, auch abseits gelegene Ställe via Mobilfunk mit Video und Bewegungsmeldern zu überwachen und so einen „stillen Alarm“ auszulösen. Umgekehrt ist nicht klar, in wie viele Ställe Aktivisten einbrechen müssen, bis sie die gewollten „aussagekräftigen“ Bilder zusammenbekommen.
Im Gegenzug suchen auch Landwirte mehr die Öffentlichkeit und berichten über sozialen Medien ihrerseits, wie Tierschutzaktivisten zum Teil bei ihren Dreharbeiten manipulativ vorgehen.

*Berichte über die animal equality Undercover-Aktion
ARD-Magazin Brisant
BILD Berlin

 

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