„Kliniksterben“ und die plötzliche Vielfalt der Tiergesundheitszentren

Tierklinik war gestern – heute gibt es vielfältigste "Zentren"-Namen. Ein Grund sind gesetzliche und kammerrechtliche Rahmenbedingungen. (Bild: screenshots div. Praxiswebseiten / Montage WiSiTiA/jh)

Es wird immer unübersichtlicher: Was unterscheidet eigentlich eine Tierärztliche Klinik von einem Tiergesundheitszentrum? Was eine Tierklinik von einem Tierärztlichen Fachzentrum oder einer Tagesklinik? Und warum wechseln immer mehr Praxen und Kliniken überhaupt ihre „Bezeichnung“?

von Jörg Held

Tierklinik war gestern. Stattdessen entwickelt sich eine kreative babylonische Sprachvielfalt: Tiergesundheitszentrum, Tierärztliches Fachzentrum, Diagnostikzentrum für Kleintiere, Tagesklinik, Fachtierarzt-Zentrum, usw … Dabei wollen sich die Betreiber nicht auf Teufel-komm-raus marketingtechnisch unterscheiden. Es geht oft um eines:
Sie können die für eine „Tierärztliche Klinik“ in 16 von 17 Landestierärztekammern (das Bundesland NRW hat zwei Kammern, Nordrhein und Westfalen-Lippe) berufsrechtlich verpflichtende „ständige Dienstbereitschaft“ nachts, an Wochenenden und Feiertagen nicht mehr leisten. Entweder geraten sie in Konflikt mit dem Arbeitszeitgesetz und ihren Mitarbeitern oder mit den Berufsordnungen und Klinikrichtlinien der Kammern. Die Konsequenz ist ein langsames aber stetiges „Kliniksterben“ – zumindest dem Namen nach.

Mehr zu den Auslösern lesen Sie hier:
Tierärztlicher Notdienst: Arbeitsrechtliche Zeitbombe mit Image-Sprengstoff
Verstoß gegen Arbeitszeitgesetz: 15.000 Euro Bußgeld für Tierklinik

Qualitätssiegel mit Nebenwirkungen: Die „Tierärztlichen Kliniken“ müssen kammerrechtliche Auflagen erfüllen, die viele nicht mehr leisten können (Foto: © Siegel der LTK-Hessen)

„Tierärztliche Klinik“ – Qualitätssiegel mit Nebenwirkungen

Die „Tierärztliche Klinik“ ist eine berufsrechtlich geschützte Bezeichnung und als solche an eine Reihe von Bedingungen geknüpft – an fachliche, personelle, räumliche und eben auch an die zeitliche Dienstbereitschaft. Die Regeln sind in den Klinikrichtlinien/-ordnungen der Landestierärztekammern festgeschrieben und Teil der tierärztlichen Berufsordnungen (Übersicht und Verlinkungen weiter unten). Nur wer alle(!) Vorgaben erfüllt, darf sich „Tierärztliche Klinik“ nennen.
Gab es früher öfter Streit um fachtierärztliche Kompetenzen oder Ausstattungen, ist die größte Hürde inzwischen die „ständige Dienstbereitschaft“.
Ob im Rhein-Main-Gebiet oder den neuen Bundesländern, deutschlandweit geben „Tierärztliche Kliniken“ deshalb ihren Status zurück – und benennen sich um. An der fachlichen Kompetenz oder der medizinischen Ausstattung ändert sich (zunächst) nichts. Aber die Standorte steigen aus der 24-Stunden-Dienstbereitschaft aus.

Vier Beispiele von vielen (Screenshots von Ex-Klinik-Webseiten):

Keine Auffangstation für alle mehr – eine Kleintierklinik wird zum Tiergesundheitszentrum und steigt aus dem „öffentlichen Notdienst“ aus.

Die ehemalige Tierklinik Bayreuth hat hier erklärt, warum sie den Klinikstatus zurückgegeben, den Namen gewechselt und die Nachtdienste aufgegeben hat.

Ex-Tierklinik Bayreuth: Als Tierärztliches Fachzentrum muss man keinen teuren nächtlichen Notdienst anbieten. (Screenshot Tierärztliches Fachzentrum Bayreuth)

Auch die „Tierklink Egelsbach–Fachtierärztezentrum für Kleintiere“ hat hier (und auf ihrer Webseite) vorgerechnet, warum echte Nachtdienste nicht mehr möglich sind und sie die Klinikzulassung zurückgegeben hat.

„Ansonsten ändert sich nichts“ – die Tierklinik Homberg in NRW informiert ihre Kunden ebenfalls im Netz darüber, warum sie sich umbenannt hat.

„Ansonsten ändert sich nicht“ – die Tierklinik Homberg in NRW benennt sich um. (Screenshot Tiergesundheitszentrum Homberg)

Im ganzen Bundesland Sachsen-Anhalt gibt es inzwischen keine Tierklinik mehr. Die nächtlichen Bereitschaftsdienste organisieren die niedergelassenen Praktiker nun komplett selbst (Beispiel Dessau hier – koordiniert über die Rettungsleitstelle der Stadt)

Was erkennen die Tierhalter?

Schwieriger wird es künftig für die Patientenbesitzer: Ob ein „Tierärztliches Zentrum“ nun den medizinischen Standard einer „Tierärztlichen Klinik“erreicht – was bei denen, die den Klinikstatus aus organisatorischen Gründen zurückgegeben haben, in der Regel der Fall ist – oder nur einen wohlklingenden Namen führt, können sie schwerer beurteilen. Unmittelbar spürbar ist aber vor allem eines: Die Notdienstversorgung wird zunehmend schwieriger, die Wege für die Halter weiter.

Juristisch gab es auch schon Streit um die Namensgebung: Ein Berliner Kammergerichtsurteil bestätigte 2013 (Az 5U 33712), dass die Bezeichnung „Tierärztliche Klinik“ zwar geschützt sei, eine Praxis sich aber auch dann „Tierklinik“ nennen darf, wenn sie nicht alle fachlichen Kammerstandards erfüllt – auch weil diese bundesweit nicht einheitlich seien.
Einige Kammern (etwa Sachsen) versuch(t)en deshalb in ihre Klinikrichtlinien alle „Klinik“-Begriffe und möglichst viele Synonyme einzuschließen. Doch Berufsordnungen, deren Änderung von der Selbstverwaltung beschlossen und den Länderaufsichtsbehörden genehmigt werden müssen, halten mit der dynamischen Namensentwicklung nicht Schritt.

Kammern machen keine einheitliche Vorgaben

Allerdings gilt: Schon bisher ist dieser „Mindeststandard“ der „Tierärztlichen Kliniken“ eben nicht bundesweit identisch und damit vergleichbar. Es gibt 17 Landestierärztekammern und damit 17 zum Teil abweichende Klinikordnungen. Zum Beispiel reicht die vorgeschriebene Mindest-Personaldecke von zwei (Bremen/Niedersachsen/Schleswig-Holstein) bis fünf (Berlin) Vollzeit-Tierärzten. Selbst mit fünfen liesse sich schwerlich ein arbeitszeitgesetzkonformer 24/7-Notdienst anbieten. Und auch bei der „ständigen Dienstbereitschaft“ unterscheiden sich die Kammern.

Für den Klinikalltag ist das letztlich allerdings egal. Auch eine ständige Bereitschaft (selbst ohne Präsenzpflicht) lässt sich für viele mit dem vorhandenen Personal nicht gesetzeskonform umsetzen. Mehr Mitarbeiter sind zum einen oft schwer zu finden, zum anderen, wenn sie denn überhaupt nachts arbeiten wollen – über die Nacht- und Notdienst auch gar nicht zu refinanzieren.

Was sagen die Klinikrichtlinien der  Kammern?

Die hundertprozentige ganzjährige Tag und Nacht Präsenz eines Tierarztes in der Klinik verlangt mit einer eindeutigen Formulierung nur die Klinikordnung der Kammer Berlin:

„Die tierärztliche und pflegerische Versorgung der Klinik muss ganzjährig Tag und Nacht gewährleistet sein. Die Klinik muss für Notfälle ständig dienstbereit gehalten werden. Die ständige Dienstbereitschaft ist dann gewahrt, wenn mindestens eine Tierärztin oder ein Tierarzt vor Ort ist.

Ansonsten wird die in 16 von 17 Kammern vorgeschriebene „ständige Dienstbereitschaft“ mit immer wieder leicht voneinander abweichenden Formulierungen gefordert – in Nordrhein und fast Wortgleich in Westfalen-Lippe zum Beispiel mit nuancenreichen Begriffsdefinitionen (Anm.d.Red.: Bedeutet „Person“ nun Tierarzt oder Hilfskraft?) 

„Die „Tierärztliche Klinik“ muss ständig dienstbereit und besetzt sein. Um diese Dienstbereitschaft sicherzustellen, müssen mindestens zwei Tierärzte oder ein Tierarzt und eine Hilfskraft dienstbereit sein. Dienstbereit bedeutet, auf Anforderung tätig zu werden. Besetzt sein bedeutet die ständige Anwesenheit einer Person. Anwesenheit bedeutet den Aufenthalt innerhalb von Einrichtungen, die zum Klinikbetrieb gehören.“

… oder ähnlich klingend, allerdings mit einer wichtigen Einschränkunge (Klinikrichtline Bayern):

„Die tierärztliche und pflegerische Versorgung in der Klinik muss ganzjährig Tag und Nacht gewährleistet sein. Die Klinik muss deshalb für Notfälle ständig dienstbereit gehalten werden. Die ständige Dienstbereitschaft ist gewahrt, wenn sich ein Tierarzt in der Klinik zur sofortigen Versorgung von Notfallpatienten aufhält oder unverzüglich erreichbar ist, d. h. in einer einem Notfall angemessenen kurzen Zeit in der Klinik eintreffen kann.

(Hervorhebungen wir-sind-tierarzt.de)

Ähnlich wie die Bayern formulieren die Klinikordnungen in vielen weiteren Kammern – nachzulesen (i.d.R. ist die Klinikordnung/richtlinie ein Anhang der Berufsordnung):

Einzig Hamburg erlaubt jetzt schon in der Berufsordnung ausdrücklich eine Ausnahme von der 24 Stunden-Bereitschaft, wenn „ein von der Tierärztekammer eingerichteter Notfall- und Bereitschaftsdienst anderweitig eine ausreichende tierärztliche Versorgung im Kammerbereich sicherstellt“. In Hamburg gibt es einen solchen zentralen Notdienst.

Die Kammern haben das Problem erkannt und suchen nach Lösungen. Die reichen von der Möglichkeit, den Klinikstatus (etwa bei Personalengpässen) vorübergehend „Ruhen zu lassen“ , bis zu geplanten Änderungen der Klinikvorschriften. Eine bundesweit einheitliche Regelung aber zeichnet sich (noch) nicht ab.

wir-sind-tierarzt meint: Sekt oder Selters

(jh) – So richtig überzeugend sind die Kammervorgaben für eine „Tierärztliche Klinik“ nicht mehr. Vor allem die Mindest-Personalzahlen haben keinen Realititätsbezug, weder was eine echte 24-Stunden-Dienstbereitschaft angeht, noch die Erwartung der Tierhalter an eine „Klinik“ – zwei oder selbst fünf Tierärzte sind dafür völlig unzureichend. Dass zeigt sich schon, weil selbst Standorte mit 20 Tierärzten den Klinikstatus zurückgeben.
Also steht eine Entscheidung an – sonst regelt es wie immer der Markt. Die Namenskreativität der „Zentren“ zeigt es schon:

  • Entweder die „Klinikrichtlinien“ fallen lassen und sich den Realitäten geschlagen geben.
  • Oder richtig draufsatteln und ein echtes „Kammer-Qualitätssiegel“ für „Tierärztliche (Fach)Kliniken“ entwickeln, dass den begrifflichen Erwartungen der Kunden an ein „Krankenhaus“, eben einen Klinikstandard entspricht. Dann müssen Kammern – und Tierärzte – aber akzeptieren, dass diese Standards bei weitem nicht jeder erfüllen kann. Es wird weniger Tierkliniken geben. 

Für die Mehrheit der Praxen gibt es einen anderen Weg ihre tiermedizinische Lesitungsfähigkeit zu beweisen: Qualitätsmangementsysteme und fachliche Qualifikationen (Fachtierarzt/Diplomate-Titel/Zusatzbezeichnungen/Fortbildungen). Mit denen lässt sich die fachlich/medizinische/organisatorische Kompetenz eines Tierarztes und des Standortes zertifzieren – und die ist unabhängig von der Praxis/Klinikgröße, von Mitarbeiterzahl und Notdienstzeiten. Meßbare Qualitätsstandards sind das Instrument der Zukunft, um Kundenvertrauen zu erhalten.
Kammern und Berufsverbände müssen darauf achten, dass sie es sind, die hier – schnell und bundesweit – diese Standards setzen. Sonst kann es sein, dass auch hier „der Markt“, sprich internationale Klinikketten die Treiber sind.
Die „Tierklinik“ und auch die „Tierarztpraxis“ der Zukunft muss sich anders aufstellen.

Quellen: direkt im Artikel verlinkt

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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