Schluß mit den Schulnoten: Der neue Röntgen-Leitfaden für Pferde wechselt das zehn Jahre alte Bewertungssystem. Ab 2018 gibt es dann nur noch zwei vom Normalzustand abweichende Befundgruppen – und nur eine gilt als „Risiko“. Das soll eine unnötige Abqualifizierung von Pferden beenden. Die klinische Untersuchung durch den Tierarzt wird im Gegenzug deutlich aufgewertet.
(aw) – Durch die schulnotenähnlichen Röntgenklassen des alten Leitfadens aus 2007 hat sich nach Ansicht der Röntgenkommission der Gesellschaft für Pferdemedizin (GPM) der Schwerpunkt bei der Pferdebeurteilung zu sehr auf die Röntgenbefunde verlagert. Dabei sollte stets die klinische Untersuchung der wichtigste Teil der Beurteilung eines Pferdes sein.
Deshalb hat die GPM ihren Röntgen-Leitfaden komplett überarbeitet. Die ab Januar 2018 geltende neue Fassung (PDF-Download hier) gibt Tierärzten eine umfangreiche Hilfestellung bei der Erstellung und Befundung von Röntgenbildern im Rahmen einer Kaufuntersuchung.
Neu: Tierarzt soll Befunde beschreiben statt benoten
„Die Röntgenklassen wurden abgeschafft. Abweichende Befunde sollen nun vom Tierarzt beschrieben werden. Wir unterscheiden dabei genau zwischen Befunden, bei denen beispielsweise das Risiko einer späteren Lahmheit nicht zuverlässig eingeschätzt werden kann und solchen, die tatsächlich mit einem Lahmheitsrisiko behaftet sind“, erklärt Professor Dr. Karsten Feige, Präsident der GPM und Vorsitzender des Ausschusses für Pferde der Bundestierärztekammer (BTK).
Der neue Leitfaden verzichtet also auf eine Klassifizierung im herkömmlichen Sinne und unterteilt die von der normalen Anatomie abweichenden Befunde nur noch in zwei Gruppen. Wie man solche abweichenden Befunde beschreiben kann, dazu gibt es im Leitfaden eine Liste mit Begriffen. Auch listet der Röntgenleitfaden 2018 für die verschiedenen Aufnahmen dann mögliche anatomische Abweichungen auf und hebt die risikobehafteten Befunde hervor.
Stellt der Tierarzt bei der röntgenologischen Untersuchung keine anatomischen Abweichungen fest, muss auch keine Befundung oder Klassifizierung vorgenommen werden. Die Bilder werden dann lediglich mit “o.b.B.“ bezeichnet.
Zahl der Röntgenaufnahmen erhöht
Neu ist neben der veränderten Befundbeurteilung auch die Zahl der vorgeschlagenen Standardaufnahmen. Die hat die Kommission von 14 auf 18 angehoben:
- An den Vorderbeinen sollten es drei Aufnahmen sein, nämlich Huf 90°, Zehe 90° und Huf 0° nach Oxspring.
- Die Oxspring Aufnahme Huf 90° gilt nicht als Standard, sondern als zusätzliche Aufnahme, die mit dem Auftraggeber abgesprochen werden sollte.
- An den Hinterbeinen hält die Kommission jeweils sechs Aufnahmen für notwendig: Zehe 90°, Sprunggelenk 0°, Sprunggelenk ca. 45°, Sprunggelenk ca. 135°, Knie ca. 90° und Knie 180°.
- In Absprache mit dem Auftraggeber können weitere Aufnahmen oder weiterführende bildgebende Untersuchungen angefertigt werden. Genauso können Standardaufnahmen entfallen, falls der Auftraggeber dies ausdrücklich wünscht.
Erwartung der Besitzer relativieren
Die Abschaffung des Schulnotensystems soll dazu beitragen, die Erwartungshaltung der Auftraggeber an die Röntgenbefunde zu relativieren. Es gebe keine realen prognostischen Möglichkeiten, mit Hilfe einer einmaligen Röntgenuntersuchung skelettbedingte Lahmheitsrisiken sicher zu identifizieren, sagt die Gesellschaft für Pferdemedizin. Trotzdem bleibe die röntgenologische Untersuchung ein wichtiger Teil jeder Kaufuntersuchung lahmheitsfreier Pferde ab einem Alter von drei Jahren.
Der BTK-Ausschuss für Pferde bewertet die Abschaffung der Röntgenklassen als absoluten Gewinn: „Besonders begrüßenswert ist die damit einhergehende höhere Bewertung der klinischen Untersuchung. Die gängige Praxis, Pferde mit einer Röntgenklasse über II abzuqualifizieren, obwohl nach tierärztlicher Gesamtbeurteilung dafür kein Grund besteht, wird damit beendet“, lobt Professor Feige.
- Den ab Januar 2018 gültigen neuen Leitfaden können sich Interessierte hier herunterladen.
- Der zugehörige Bilderkatalog wird erst ab Frühjahr 2018 bereit stehen – dann aber auch als App und Mobile-App.