Grausame Fernsehbilder über die Misshandlung von Pferden zeigte „exklusiv“ das ARD-Magazin „FAKT“. Doch über den Fall, bei dem aus dem Blut trächtiger Stuten unter tierschutzwidrigen Bedingungen das Hormon PMSG gewonnen wird – hat schon 2015 das Schweizer Fernsehen mit gleichen Bildern berichtet. Was ist neu an den Vorwürfen?
Eine Einordnung von Jörg Held
Die grausamen Bilder sind durch nichts zu entschuldigen: Diese Tierqual gehört abgeschafft.
Genau das haben im Herbst 2015 die Gesellschaft Schweizer Tierärzte (Stellungnahmen hier und hier) und im Frühjahr 2016 deutsche Tierärzte (Stellungnahme hier), sowie die Politik (Forderung der Agrarministerkonferenz 2016 hier) einmütig verlangt: Deutsche Pharmafirmen müssten sicherstellen, dass Rohstoffe für ihre Produkte nicht unter derart skandalösen Umständen gewonnen werden.
Hat „FAKT“ neue Informationen?
Bildmaterial und Inhalt des „FAKT Beitrages 2017“ sind in vielen Passagen mit dem Schweizer TV-Material aus 2015 identisch. Das Schweizer Fernsehen und auch FAKT stützen sich wiederum auf ein Dossier (Quelle hier) erstellt vom Tierschutzbund Zürich und der Animal Welfare Foundation. Darin wird als Zeitpunkt der Aufnahmen März/April 2015 angegeben – das „exklusiv-Material“ ist also zwei Jahre alt. Das sagt der Film nicht.
Die Tierschutzorganisation selbst hat ihre damaligen Recherchen hier aufgelistet – aktuellster Eintrag: Gespräche mit der EU-Kommission im Juni 2016.
Dass einer der 2015/16 kritisierten Hersteller (MSD) inzwischen sein Blutplasma für Europa nur noch aus Europa bezieht, erwähnen weder der ARD-Beitrag noch die Tierschützer. Das wäre eine aktuelle positive Entwicklung.
Warum überhaupt PMSG – Hintergründe fehlen
Sowohl für den aktuellen TV-Beitrag als auch einen MDR-Online-Beitrag von Ende Januar war Dr. Andreas Palzer vom Bundesverband praktizierender Tierärzte Gesprächspartner. Doch seine zentralen Aussagen – die Erklärung des „Wer setzt warum so ein Hormon überhaupt ein“ – finden sich in der Berichterstattung nicht (TV) oder entstellt verkürzt (online) wieder:
- Nur wenn Mäster ihre Ferkel aus möglichst einer Herkunft beziehen können, entfällt der gefürchtete „Kindergartenffekt“: Tiere aus unterschiedlichen Herkünften bringen unterschiedliche Krankheitserreger mit und infizieren sich gegenseitig.
- Auch für ein optimales Hygienemanagement sind ausreichend große homogene Ferkelpartieen entscheidend. Zur Krankheitsvorbeugung setzen Schweinemäster wo immer möglich auf ein Rein-Raus-Verfahren: Schlachtschweine werden ausgestallt, der Stall dann gründlich gereinigt und desinfiziert und erst danach in einer Partie ein kompletter neuer Mastdurchgang eingestallt.
- Beides reduziert das Erkrankungsrisiko der Tiere deutlich. So lassen sich Antibiotika einsparen.
Es gibt also – wie so oft in der Nutztierhaltung – widerstreitende Ziele. Eine Brunstsynchronisation nutze auch gar nicht den großen „Massenferkelerzeugern“. Die hätten ausreichende Sauenzahlen, um die nötigen Ferkelpartieen zu liefern, sagt Palzer. Das Hormon helfe vor allem kleinen und mittelgroßen Familienbetrieben, denn ansonsten könnten sie nicht die notwendigen einheitlichen Ferkelpartien bereitstellen.
Die Tierarztposition zu diesem Thema ist dabei eindeutig: Die grausame Art der Blutgewinnung ist nicht zu tolerieren.
Das Hormon PMSG aber hat – ebenfalls unter Tierschutzaspekten – durchaus seine Einsatzberechtigung in der Tierhaltung.
Vorgefertigter Rechercheansatz?
Für Tierärzte ist es zunehmend frustrierend, Journalisten von TV-Magazinen Interviews zu derartigen Tierschutzthemen zu geben. Sie berichten von einer spürbar voreingenommenen Stimmung, entsprechender Fragestellung und anschließendem Beitragsaufbau.
Dass es auch in diesem Fall den MDR-Journalisten womöglich weniger um die Tierschutzproblematik in Südamerika, sondern um eine ganz andere Stoßrichtung gegangen ist, legt die Aufmachung des Online-Beitrages nahe:
Was ist der Anlass für die erneute Berichterstattung?
Die aktuellen Passagen im FAKT-Beitrag wurden Anfang des Jahres gedreht (etwa die Nachfrage bei Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt auf der Grünen Woche – Interview Dr. Andreas Palzer/bpt). In diesem Zeitraum versuchten Tierschützer mit mehreren Online-Petitionen das Thema politisch weiter auf der Agenda zu halten. Sie fordern entweder die EU (hier) oder das Bundeslandwirtschaftsministerium (hier) zu Importbeschränkungen auf; sie zielen auch direkt auf PMSG-produzierende Firmen wie MSD (hier) oder insbesondere IDT (hier).
Berichtet hat darüber im Januar zum Beispiel DRadio-Wissen (hier) und eben der Mitteldeutsche Rundfunk (hier), der auch FAKT verantwortet.
Die Ausstrahlung der „Exklusiv-Story“ mit zwei Jahre altem Archivmaterial erfolgte genau einen Tag vor der Agrarministerkonferenz der Bundesländer – deren Vorsitz der im Beitrag interviewte Grüne Landwirtschaftsminister Christian Meier (Niedersachsen) hat.
Fazit: Skandal mit Geschmäckle
Tierschutzrelevante Missstände dieser Art öffentlich zu machen, ist unstrittig Aufgabe der Medien.
Gerade von den finanziell vergleichsweise gut ausgestatteten ARD-Polit-Magazinen, darf man aber auch erwarten, dass sie derartige, von Tierschützern zugelieferte Bilder zwar aufgreifen, dann die Themen aber weiter recherchieren und einordnen: Worum geht es überhaupt? Ist das nachweislich aktuell? Was hat sich inzwischen getan?
Den „aktuellen Inhalt“ fasst der für die Bilder aus Südamerika verantwortliche Tierschützer York Ditfurth selbst wie folgt zusammen (Zitat/Quelle): „Auch anderthalb Jahre nach den ersten Enthüllungen hat sich das Wohl der Tiere bis heute mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht verbessert.“
Die „Wahrscheinlichkeit“ nachzurecherchieren und zu belegen, wäre die journalistische Aufgabe. Nicht die Wiedergabe von altem Material und Informationen.